
Was muss noch passieren, um die AfD zu verbieten? Diese Frage geht vielen nicht aus dem Kopf. Die Geheimkonferenz in Potsdam hat eine Schockwelle ausgelöst.
Mitglieder der AfD, der CDU sowie andere Rechtsextremisten haben dort Pläne zur millionenfachen Vertreibung von Menschen mit Migrationshintergrund besprochen. Das ist ungeheuerlich.
Die Parallelen zur Wannseekonferenz, bei der die Nazis 1942 die Vernichtung der Juden geplant haben, sind so offensichtlich, dass einem vor Entsetzen übel wird. Die AfD-Vorsitzende Alice Weidel aber spricht von einem der „ungeheuerlichsten Medien- und Politikskandale der Bundesrepublik Deutschland.“
Wohlgemerkt: Weidel nennt nicht die Vertreibungs-Planungen skandalös, sondern, dass Journalisten darüber berichten. Wie alle rechten Parteien scheut die AfD unabhängigen Journalismus wie die Pest. Pressefreiheit ist ihnen ein Gräuel. Wer wie Weidel redet, erklärt unserer freiheitlich-demokratischen Grundordnung den Krieg.
Die Angst vor dem Untergang des Staates
Bernd Baumann, Geschäftsführer der AfD-Bundestagsfraktion, kommentiert die Empörung der anderen Parteien über das Potsdamer Geheimtreffen höhnisch-triumphierend so: „Panik macht sich breit. Man kann Ihre Angst geradezu riechen.“
Ja, Baumann hat recht, Angst geht um. Allerdings ist es nicht die Angst vor Wahlniederlagen, wie er meint. Es ist die Angst vor dem Untergang des Staates, der uns 75 Jahre lang Frieden und Wohlstand beschert hat.
Vielen scheint erst jetzt zu dämmern, was auf dem Spiel steht. Dass unsere Demokratie, die uns mit all ihrer zuweilen langweiligen, aber eben auch verlässlichen Routine zur Selbstverständlichkeit geworden ist, ernsthaft in Gefahr schwebt. Viele hunderttausend Menschen gehen deshalb in diesen Tagen auf die Straße. Großartig.
Nochmals: Sollte man die AfD verbieten? So sehr ich der AfD mit ihren rassistischen Parolen keine Träne nachweinen würde, so sehr bin ich skeptisch, ob ein Verbot klug wäre.
Das Grundgesetz sagt: „Parteien, die nach ihren Zielen oder nach dem Verhalten ihrer Anhänger darauf ausgehen, die freiheitliche demokratische Grundordnung zu beeinträchtigen oder zu beseitigen oder den Bestand der Bundesrepublik Deutschland zu gefährden, sind verfassungswidrig.“
Was gegen ein Verbot spricht
Für verfassungsfeindliche Einstellungen und Verhaltensweisen der AfD lassen sich viele Belege finden. Gleichwohl ist der Ausgang eines Verfahrens ungewiss, wie die gescheiterten Versuche gegen die NPD 2003 und 2017 gezeigt haben.
Das gilt im Übrigen auch, wenn – wie am Dienstag bei der NPD, die jetzt „Heimat“ heißt, geschehen – einer Partei die Finanzierung aus Steuermitteln gestrichen werden soll.
Zudem dauern solche Verfahren in der Regel Jahre. Haben wir so viel Zeit? Im September wird in drei Ländern im Osten gewählt, in denen die AfD bei über 30 Prozent liegt.
Hinzukommt der politische Aspekt: Ein Verbot ist letztlich das Eingeständnis, dass man der AfD mit politischen Mitteln nicht beikommen konnte. Das könnte Rechtsextremisten neuen Auftrieb geben. Zudem verändert ein Partei-Verbot nicht zugleich das rechtsextremistische Denken der Anhänger. Sie würden sich ein neues Ventil suchen.
Noch immer sind Rechtsextremisten eine kleine Minderheit, zum Glück. Viele der Menschen, die zuletzt AfD gewählt haben oder das vorhaben, handeln nicht aus Überzeugung, sondern in der Absicht, den „etablierten Parteien eins auszuwischen“. Dass das Denkzettel-Motiv ein Spiel mit dem Feuer ist, dürfte vielen erst durch die Vertreibungs-Konferenz aufgegangen sein.
Wie sich der Staat jetzt schützen könnte
Besser und schneller als mit einem Verbot könnte sich unsere Demokratie auf andere Weise schützen. Der frühere Präsident des Bundesverfassungsgerichts, Andreas Voßkuhle, hat jüngst in der Wochenzeitung „DIE ZEIT“ daran erinnert, dass Autokraten in aller Welt, sobald sie an der Macht sind, als erstes die Macht der Verfassungsgerichte beschneiden.
Das könnte auch bei uns passieren, denn: Bisher stehen die entscheidenden Normen zum Verfassungsgericht nicht im Grundgesetz selbst, sondern in einem eigenen Gesetz. Das ist gefährlich, sagt Voßkuhle.
Ein Gesetz kann mit einfacher Mehrheit geändert werden. So könnte eine Regierung mit AfD-Beteiligung etwa beschließen, dass für die Wahl von Richtern künftig nur noch die einfache Mehrheit genügt. Ebenso könnte eine einfache Mehrheit zwei neue Senate im Verfassungsgericht schaffen, sie mit Parteigängern besetzen und diesen neuen Senaten alle heiklen Fälle zuweisen.
Um eine solche Entmachtung des Verfassungsgerichts zu verhindern, müsste, so Voßkuhle, eine Zwei-Drittel-Mehrheit bei der Richter-Wahl oder der Bildung eines neuen Senats im Grundgesetz stehen. Der Bundestag könnte das reinschreiben, mit einer Zwei-Drittel-Mehrheit, versteht sich. Noch gäbe es eine solche Mehrheit – ohne AfD. Noch. Nach der nächsten Wahl vielleicht nicht mehr.
Die Zeit drängt. Viele Menschen meiner Generation haben ihre Eltern gefragt: „Und Ihr, was habt Ihr getan, als die Nazis an die Macht kamen?“ Ich möchte nicht, dass meine Enkel mich eines Tages fragen: „Und wo warst du, Opa?“
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