Gutachten hält neue Grundsteuer für verfassungswidrig Sie gilt in elf Bundesländern

Gutachten hält neue Grundsteuer für verfassungswidrig: Sie gilt in elf Bundesländern
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Das in elf Bundesländern geltende Bundesmodell für die Grundsteuer verstößt nach einem Gutachten des renommierten Verfassungsrechtlers Gregor Kirchhof gegen das Grundgesetz. Mit der Anbindung der Grundsteuer an den Bodenrichtwert werde unter anderem der Gleichheitsgrundsatz verletzt, heißt es in der am Montag vorgestellten Ausarbeitung im Auftrag des Steuerzahlerbundes und des Verbandes Haus und Grund.

Zwar habe der Gesetzgeber bei Steuergesetzen einen weiten Spielraum für Vereinfachungen durch eine Pauschalierung und Typisierung, heißt es in dem Gutachten. Die Bodenrichtwerte seien aber – wie der Name schon sage – lediglich reine Richtwerte, sagte Kirchhof. Sie hätten mit dem tatsächlichen Wert eine Immobilie nur wenig zu tun, so der Inhaber des Lehrstuhls für Öffentliches Recht, Finanzrecht und Steuerrecht an der Universität Augsburg. Die beiden Verbände rieten allen Betroffenen, Einspruch gegen den Grundsteuerbescheid einzulegen.

Die Grundsteuer wurde neu gestaltet, nachdem das Bundesverfassungsgericht das alte Modell 2018 für verfassungswidrig erklärt hatte. Durch die Neufassung dürfen die Länder vom Bundesmodell per Öffnungsklausel abweichen, was Baden-Württemberg, Bayern, Hamburg, Niedersachsen und Hessen nutzen. Dort orientiert sich die Grundsteuer weitgehend an der Fläche. Das sogenannte Bundesmodell, das in den restlichen elf Ländern gilt, beruht dagegen auf zahlreichen Parametern. Dazu gehört neben dem Bodenrichtwert zum Beispiel auch das Alter der Immobilie.

Verfahren ist fehleranfällig

Die Bodenrichtwerte seien allerdings nur Kaufpreissammlungen mit unterschiedlicher Qualität, wird in dem Gutachten argumentiert. Gerade in guten Wohnlagen könne es vorkommen, dass es kaum Verkäufe gebe, sodass aktuelle Preise nicht zur Verfügung stünden und Werte aus zurückliegenden Jahren genutzt werden müssten. Das sei aber fehleranfällig. Zudem gebe es strukturelle Fehler, weil der konkrete Bodenrichtwert immer von der möglichen Bebauungshöhe abhänge.

Kirchhof führt in dem Gutachten Berlin als Beispiel an: So hat danach die begehrte Wohnlage Wannsee einen vergleichsweise niedrigen Bodenrichtwert von 1500 Euro je Quadratmeter, weil dort die mögliche Bebauung („Geschossflächenzahl“) stark limitiert ist. In der weniger begehrten Lage Neukölln liegt der Bodenrichtwert dagegen bei 3200 Euro, weil eine umfangreichere Bebauung möglich ist. Kirchhof sprach von einer „halbherzigen Bewertung, die nicht folgerichtig ist“ und damit zu einer Ungleichbehandlung der Steuerzahler führe.

Auch das Alter einer Immobilie ist nach Ansicht Kirchhofs kein faires Kriterium. So könne eine Gründerzeitvilla mehr wert sein als ein günstiger Bau aus den 2020er Jahren. Auch ein Passivhaus aus den 1990er Jahren sei aufgrund des maßvollen Energieverbrauchs voraussichtlich begehrter und teurer als ein Betonbau aus den vergangenen fünf Jahren. Kirchhofs Fazit: „Die geregelte Bewertung ist nicht realitäts- und gleichheitsgerecht.“

Musterklagen geplant

„Zu kompliziert, intransparent und ungerecht“, sagte Haus-und-Grund-Präsident Kai Warnecke zum Bundesmodell. Das Gutachten soll nun als Grundlage für Musterklagen der beiden Verbände in allen betroffenen Ländern dienen. Zusammen mit Steuerzahlerbund-Präsident Reiner Holznagel empfahl Warnecke aber allen betroffenen Steuerzahlern, vorsichtshalber selbst Einspruch gegen den Steuerbescheid einzulegen.

Holznagel sagte, die Sicherheit, dass der Bescheid nicht rechtskräftig werde, hätten die Steuerzahler erst, wenn die Grundsteuer bei einem höheren Gericht anhängig werde. Das sei aber bisher nicht der Fall, weil sich die Länder offenbar verabredet hätten, auf die Einsprüche vorerst nicht zu reagieren. Auch weigerten sich die elf Länder, die Bescheide grundsätzlich für vorläufig zu erklären. Holznagel verwies auch auf das Risiko für die Kommunen, wenn am Ende das Bundesmodell vor Gericht scheitert.

Kirchhof empfahl den elf Ländern, noch auf eines der Ländermodelle umzuschwenken. Insbesondere das Vorgehen in Hamburg, Niedersachsen und Hessen nannte er vertretbar.

RND

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