Grundsteuerreform in Recklinghausen Kämmerer Ekkehard Grunwald warnt vor „bösem Erwachen“

Grundsteuerreform: Kämmerer warnt Grundbesitzer vor „bösem Erwachen“
Lesezeit

Die neue Grundsteuer, die ab 1. Januar 2025 gelten soll, treibt Recklinghausens Kämmerer Ekkehard Grunwald um. Zum einen würden durch die Neuberechnung rund vier Millionen Euro an Steuereinnahmen wegfallen. Zum anderen rechnet er fest damit, dass der Zorn der Bürger, die künftig gegebenenfalls eine höhere Grundsteuer zahlen müssen, auf die Stadtverwaltung niederprasseln wird.

Im Haupt- und Finanzausschuss brachte Grunwald die Lokalpolitik auf den aktuellen Stand der Dinge. Oder eigentlich ist es ein Schwebezustand, in dem die Gemeinden sich seit Jahren befinden.

Der Auslöser war ein Urteil des Bundesverfassungsgerichts von 2018. Ein Grundeigentümer aus Westberlin hatte geklagt, weil der Nachbar auf der anderen, in Ostberlin liegenden Straßenseite deutlich weniger Grundsteuern zahlen musste. Dass das nicht gerecht ist, leuchtet ein. „Man muss nicht Jura studiert haben, um zu begreifen, dass Gerechtigkeit nur hergestellt werden kann, wenn entweder der eine Steuersatz herabgesenkt wird auf den niedrigen Satz oder der andere heraufgezogen auf den hohen. Oder beide werden aneinander angepasst.“ Auf jeden Fall: „Man kann es drehen und wenden, wie man will: Bei einem Verstoß gegen den Gleichheitssatz muss es am Ende Leute geben, die mehr zahlen.“

Dass der Bund mit dem damaligen Finanzminister Olaf Scholz anfangs den Bürgern weismachen wollte, dass es nur minimale Abweichungen geben könnte, ärgert Grunwald darum bis heute. Zumal die Reform nicht nur Immobilien- und Grundbesitzer betrifft. Die Steuern dürfen, wenn es im Mietvertrag geregelt ist, an die Mieter weitergegeben werden.

Eine sommerliche Ansicht vom Altstadtmarkt Recklinghausen, Menschen flanieren an der Außengastronomie vorbei.
In der Altstadt von Recklinghausen, hier auf dem Markt, gibt es viele Gewerbeimmobilien. Deren Besitzer werden ab 2025 wahrscheinlich eine niedrigere Grundsteuer zahlen müssen. © Jörg Gutzeit

In den folgenden Jahren wurde also die Steuer reformiert. Der Bund legte einen Gesetzesentwurf vor, die Bundesländer hatten durch eine Öffnungsklausel aber auch die Möglichkeit, eigene Wege zu gehen. Das hat die Landesregierung NRW nicht getan, sondern das Bundesmodell übernommen. Und genau deshalb droht Unbill. Denn künftig werden Geschäftsgrundstücke weniger als bislang zum Grundsteueraufkommen beitragen. Der Ausfall wird durch die große Gruppe der Wohngrundstücke nicht kompensiert.

Für Recklinghausen bedeutet das in (vorläufigen) Zahlen: Die Grundsteuereinnahmen sinken damit nach neuesten Berechnungen von 25 Mio. Euro in 2024 auf rund 21 Mio. Euro.

Mit einer höheren Grundsteuer müssen vor allem die Besitzer von Wohnraum rechnen. Für Einfamilienhäuser steigen die Abgaben um durchschnittlich 19,6 Prozent, für Zweifamilienhäuser um 11,3 Prozent, für Eigentumswohnungen nur um etwa 3 Prozent, wenn der jetzige Hebesatz angewendet würde. Wobei da die Berechnungen auch noch sehr variieren werden: Wer in einem Altbau wohnt, hatte bisher das Glück, dass Grundstückswerte von „Anno tuck“ als Grundlage genommen wurden. Da künftig für alle Immobilien der gängige Grundstückswert als Bemessungswert gilt, wird die Grundsteuer in der Regel für alte Immobilien teurer.

Widersprüche nur an das Finanzamt

Bei Grundeigentümern, die nie die geforderten Angaben gemacht haben, schätzt das Finanzamt den neuen Grundsteuerwert (ehemals Einheitswert). Andere haben zwar alle Angaben gemacht, den Bescheid vom Finanzamt aber oft ohne genaue Prüfung beiseitegelegt, weil noch nichts gezahlt werden muss. „Das böse Erwachen kommt erst, wenn wir die Bescheide verschicken“, ahnt Christina Haak, Abteilungsleiterin Finanzbuchhaltung. Sie hat sich in den vergangenen Jahren intensiv mit dem Thema beschäftigt: „Die Bürger werden bei uns Widersprüche einlegen, die nicht beschieden werden können. Diese hätten vier Wochen nach dem Eingang des Grundsteuerwertbescheids beim Finanzamt eingelegt werden müssen.“ Daher lautet ein Appell an die Bürger, die die Frist noch nicht verpasst haben: Umgehend die Post des Finanzamtes prüfen und gegebenenfalls dort den Widerspruch einlegen. „Die Stadt Recklinghausen ist der falsche Adressat“, betont Christina Haak.

Das Luftbild zeigt Wohnhäuser am Quellberg und an der Ostseestraße in Recklinghausen.
Die Grundsteuer für Wohnraum – hier an Quellberg und Ostseestraße – kann, je nach Alter der Immobilie, steigen. Die Eigentümer dürfen die Kosten auf die Mieter umlegen. © Jörg Gutzeit

Tatsächlich sprechen die Zahlen, die die Oberfinanzdirektion NRW auf Anfrage mitteilt, für Haaks Befürchtungen. Für rund 98 Prozent der zu bewertenden wirtschaftlichen Einheiten seien Bescheide ergangen. „Bis zum 28. Mai 2024 wurden im Finanzamt Recklinghausen gegen rund 12.700 (rund 14,1 %) Grundsteuerwertfeststellungsbescheide Einsprüche eingetragen. Damit liegt das Finanzamt Recklinghausen unter dem landesweiten Durchschnitt von 15,5 %“, heißt es weiter aus der Behörde. Das Finanzamt Recklinghausen ist allerdings auch für die Städte Castrop-Rauxel, Datteln, Oer-Erkenschwick und Waltrop zuständig, die Angaben beziehen sich auf insgesamt rund 91.000 Grundstücke im gesamten Bezirk.

Bei allen Anforderungen, die eine Gesetzesreform mit sich bringt, ärgert den Kämmerer vor allem, dass die Landesregierung und das Finanzministerium alle Warnungen, Appelle und Proteste der Kommunen und der Spitzenverbände ignoriert hätten. Das Land selbst will die Reform nicht nachbessern, aus dem vermuteten Grund, dass der Arbeitsaufwand für die Finanzämter wohl nicht mehr bis zum 31. Dezember 2024 zu schaffen sei. Dafür sollen die Städte nun die Möglichkeit bekommen, nach Grundstücksart unterteilte Hebesätze zu erheben. Dass damit der Arbeitsaufwand für die Kommunen in die Höhe schnellen wird, ist logisch. Zumal die Computerprogramme dafür noch gar nicht existieren und bis zum Jahresende wohl kaum einsatzfähig sein werden. In Recklinghausen liegt der Hebesatz für die Grundsteuer B aktuell bei 695 Prozent.

„Ich muss dem Rat im September eine Lösung präsentieren, über die die Politik diskutieren und abstimmen wird“, sagt der Kämmerer. Auf die Frage, ob es konkrete Ansätze gibt, wie diese Lösung aussehen könnte, antwortet Ekkehard Grunwald ganz ehrlich: „Nein.“

Übrigens: Kurz nach dem Gespräch unserer Redaktion mit dem Kämmerer hat auch der Bundesfinanzhof am 12. Juni Zweifel an der reformierten Grundsteuer geäußert. In einer ersten Klage im Eilverfahren wurde zugunsten der Eigentümer entschieden. Grunwald: „Es wird immer doller!“