Zum Schlussapplaus am Samstagabend standen gar die Servicekräfte des gemeinsamen Abendessens auf der Bühne und nahmen kräftigen Applaus in Empfang. Ein Zeichen des Intendanten und Regisseurs Johann Simons, dass „Die Brüder Karamasow“ weit mehr sein sollte als das Abspielen einer Bühnenfassung eines der berühmtesten Romane der Weltliteratur. Denn gespielt wurde mehr als sieben Stunden, inklusive zweier längerer Pausen, auf beiden Bühnen des Hauses.
Zunächst auf der großen Bühne, über die hinweg, durchs Inneres des Theaters, das Publikum in die Kammerspiele wechselte. Von dort ging nach dem zweiten Teil derselbe Weg zurück zum gemeinsamen Abendessen (hervorragender Borschtsch) ins große Haus. Eine logistische Meisterleistung des Teams.
Die Beziehung der Brüder
Doch gab es auf der Bühne Meisterliches? Ja. „Die Brüder Karamasow“ stellt die großen Fragen der Menschheit. Nach der Existenz Gottes, der Unsterblichkeit, der Möglichkeit oder Unmöglichkeit von Liebe. Exemplifiziert anhand der Brüder Ivan, Dimitrij und Aljoscha sowie Vater Fjodor.
Während sich der Roman einer Krimihandlung bedient, die sich um die Frage dreht, wer denn den Vater ermordet hat, dreht sich die Theaterfassung von Angela Obst weitgehend um die Beziehungen der Brüder. Ivan (Steven Scharf) ein arroganter, doch zweifelnder Intellektueller, Dimitrij (Victor IJdens) irrlichternd zwischen Liebeskrankheit und Wahn, ein Auftritt mit viel physischer Präsenz. Aljoscha (Dominik Dos-Reis) nach Reinheit und Glaubenstiefe suchend mit körperlich sichtbaren Verrenkungen. Den Vater zelebriert Pierre Bokma bös-närrisch, raffiniert-gemein, ganz der fiese Patriarch, nachvollziehbar hassenswert.

Das Problem in Sachen Liebe ist die erotische Sirene Gruschenka, wunderbar naiv-kurzsichtig gespielt von Anne Rietmeijer. In sie ist Vater Karamasow ebenso nachhaltig verschossen wie Sohn Dimitrij.
Auch Aljoscha leidet an einer Amoure, ihn verfolgt die verletzte Lise (Danai Chatzipetrou). Ausgespielte Konstellationen, die den Dostojewski in Bochum fast schon zum Tschechow machen.
Tolle Bühnenbilder
Die Bühnenbilder von Wolfgang Menardi sind eine Sensation. Einmal eine gewaltige Kathedrale mit fragmentierten Bildern und Symbolen russischer Kultur, dann eine hyperrealistisch eingerichtete alte Küche in den Kammerspielen.
Eine für den Zuschauer extrem fordernde buchstäbliche Reise in die Nacht (15 bis 22 Uhr), die aber grandiose Bilder, herausragendes Sprechtheater (ohne Micro-Ports) und intellektuelle Herausforderungen im Dauerfeuermodus liefert. Eine Erfahrung, die in der Erinnerung wächst.
Termine: 4. / 5. 11., 9. / 10. 12.2023; Karten: Tel. (0234) 33 33 55 55.www.schauspielhausbochum.de
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