Das deutsche Fernsehen ist politisch wie selten: Flucht und Migration, Rechtsextremismus und besonders Gewalt gegen Frauen werden nicht nur journalistisch beleuchtet, auch in Serien und der Unterhaltung sind sie Thema. „Es ist ein toller 61. Jahrgang“, schwärmt die neue Direktorin des Grimme-Instituts, Çiğdem Uzunoğlu: Die Produktionen, die am 4. April in Marl mit dem Grimme-Preis ausgezeichnet werden, „zeigen, was Fernsehen leisten kann: informieren, reflektieren und immer wieder aufklären.“
Viele junge Talente werden prämiert, auch für den frischen Blick, mit dem sie soziale Missstände aufgreifen. Anders als im Vorjahr haben die Jurys ihr Kontingent voll ausgeschöpft. Sie werden im Marler Theater 16 Grimme-Preise und drei Sonderpreise vergeben.
Superstark und superwütend
Eine Produktion wird gleich doppelt prämiert: In „Angemessen Angry“ (RTL/RTL+) entwickelt das Zimmermädchen Amelie nach einer Vergewaltigung Superkräfte: die Fähigkeit, Sexualstraftäter zu erkennen. Die junge Frau bekämpft sie in pinkfarbener Sturmhaube und richtet mit Superwut über Gut und Böse. Das ist nicht nur dramatisch, sondern an manchen Stellen auch angemessen absurd und witzig - die Serie überzeugte gleichermaßen die Publikumsjury Marler Gruppe und die Jury Fiktion.
Letztere vergab ihre Preise ausschließlich an Serien: Erstmals geht das klassische Fernsehspiel bei einer Grimme-Preis-Verleihung leer aus. Die amüsante Reihe „Die Zweiflers“ über eine jüdische Familie in Frankfurt (hr) räumte schon beim Festival in Cannes ab, jetzt auch bei Grimme: Mit Sunnyi Melles, Martin Wuttke und Ute Lemper ist sie starbesetzt.

Oliver Masucci glänzt in „Herrhausen – Der Herr des Geldes“ (rbb/SWR/hr) als mächtiger Wirtschaftsboss, der drei Wochen nach dem Mauerfall einem bis heute ungeklärten Bombenattentat zum Opfer fiel. Der Polit-Thriller beleuchtet die Machtverflechtungen zwischen Staat und Wirtschaft, auch die Rolle von Altkanzler Helmut Kohl, der mit Herrhausen befreundet war. Absolut preiswürdig.
„Es war ein sehr intensives und herausforderndes Preisjahr für die Kommissionen und Jurys“, betont Grimme-Preis-Leiterin Lucia Eskes. 64 nominierte Produktionen mussten von den sechs Jurys gesichtet werden. Die Auszeichnung für die besondere journalistische Leistung erhalten Isabell Beer und Isabel Ströh für ihre intensiven digitalen Recherchen zu sexueller Gewalt. In dem jungen Reportageformat Strg_F (NDR/funk) enthüllen sie „Das Vergewaltiger-Netzwerk auf Telegram“ und zeigen, wie sicher sich Pädokriminelle vor der Kamera fühlen.
Schräge Comedy-Show mit Martin Brambach

Über ihren dritten Grimme-Preis freut sich die Journalistin Isabel Schayani, die mit Mareike Wilms die Doku „Deutschland am Limit? Abschiebung, Abschottung, Asyl“ (WDR) recherchierte. Sie filmte an der türkisch-bulgarischen Grenze - wo Grenzschützer mit Hunden direkt hinter dem Stacheldrahtzaun patrouillieren.
In der Sparte Kinder & Jugend wird mit „Sisterqueens“ (ZDF) erstmals ein langer Dokumentarfilm ausgezeichnet: Das Team begleitet drei Mädchen in Berlin, die für Selbstbestimmung und Chancengleichheit rappen.
Selbst die Unterhaltung punktet politisch: In der schrägen Comedy-Reality-TV-Show „Player of Ibiza“ mit Martin Brambach landen Rapper, Pumper und andere sexistische Herren in einem Feminismus-Bootcamp - allerdings nicht auf der Partyinsel sondern in der norddeutschen Provinz.

Die Schauspielerin und Satirikerin Maren Kroymann, vor zwei Jahren vom Deutschen Volkshochschulverband (DVV), dem Stifter des Grimme-Preises besonders geehrt, erhält ihren vierten Grimme-Preis für das Show-Finale „Kroymann – Ist die noch gut?“ (btf für RB/SWR/NDR/WDR).
In diesem Jahr erhalten Ulrike von der Groeben und Peter Kloeppel die Besondere Ehrung für ihre langjährige journalistische Arbeit. Beide moderierten über Jahrzehnte die Nachrichtensendung „RTL aktuell“. Das taten sie „handwerklich erstklassig, seriös und immer nah an den Menschen“, lobt DVV-Präsidentin Annegret Kramp-Karrenbauer.
Anchorman Peter Kloeppel erhielt bereits 2002 den Grimme-Preis für seine aktuelle Berichterstattung zu den Terroranschlägen vom 11. September 2001.

3sat strahlt die Gala aus
Die Grimme-Preis-Verleihung am 4. April im Theater Marl wird von 3sat
zeitversetzt ab 22.25 Uhr im Fernsehen ausgestrahlt. In diesem Jahr führt die Journalistin Jana Pareigis durch die Gala, Helmut Zerlett und Band begleiten den Preisreigen wieder musikalisch.