Die womöglich unrechtmäßige Abrechnung von entgangenem Verdienst bringt jetzt wahrscheinlich das dritte Mitglied des Kreistags von Unna vor den Richter: Die Staatsanwaltschaft Dortmund hat Anklage am Amtsgericht Unna erhoben.
Der Direktor des Amtsgerichts Dirk Brahm teilte auf Nachfrage dieser Redaktion mit, dass eine Anklageschrift bereits am 21. März in Unna eingegangen sei. Das entsprechende Aktenzeichen war der Redaktion zuvor von der Staatsanwaltschaft mitgeteilt worden; Brahm selbst nannte keinen Namen der Angeschuldigten.
Gewerbsmäßiger Betrug in 59 Fällen
Nach den bereits erfolgten Anklagen gegen Werner Sell und Dr. Hubert Seier aus Selm hat die Strafverfolgungsbehörde demnach nun Marion Küpper angeklagt, wie sich aus dem Aktenzeichen ableiten lässt.
Die Staatsanwaltschaft ermittelt seit März 2022; zwischenzeitlich war in den einzelnen Fällen immer wieder neues Datenmaterial aufgetaucht und zu prüfen. Auch Fraktionsräume der damaligen Fraktion Bündnis 90/Die Grünen waren im November 2022 durchsucht worden. Die Anklageschrift im Fall Marion Küpper umfasst nun 29 Seiten.

Vorgeworfen wird der Selmerin, die aktuell fraktionsloses Mitglied des Kreistages ist, gewerbsmäßiger Betrug in 59 Fällen. Laut Anklageschrift soll Marion Küpper im Zeitraum vom 2. November 2020 bis zum 31. Dezember 2021 beim Kreis Unna Entschädigung für Verdienstausfall zu Unrecht beantragt und auch erhalten haben.
Durch ihre Teilnahme an Sitzungen des Kreistages und seiner Ausschüsse sowie an Sitzungen ihrer damaligen Fraktion Bündnis 90/Die Grünen, so Küpper in den Anträgen, sei ihr Verdienst aus ihrer selbstständigen Berufstätigkeit entgangen.
Keine Berufstätigkeit oder kein Verdienstausfall
Die von Küpper angegebenen Tätigkeiten hatten in der fraglichen Zeit laut Staatsanwaltschaft aber entweder nicht mehr bestanden oder waren nur in einem solchen Umfang ausgeübt worden, dass sie auch ohne Einschränkung durch die politischen Sitzungen hätten ausgeführt werden können.
Vor der Kommunalwahl im September 2020, als sie sich zur Wahl stellte, hatte sich Marion Küpper selbst als Hartz-IV-Aufstockerin bezeichnet. Dem Kreis Unna hatte sie nach ihrer Wahl gemäß Korruptionsbekämpfungsgesetz Nachhilfeunterricht und Yogakurse als Tätigkeiten angegeben.
Jede einzelne Beantragung durch Küpper werten die Ermittler als jeweils selbstständige Handlung, sodass in Summe 59 Fälle angeklagt worden sind. Weil die Entschädigung jeweils ausgezahlt worden war, soll der Kreiskasse ein Schaden von 10.039,60 Euro entstanden sein.
Kreis führte Verdienstausfall-Richtlinie ein
Aus der wiederholten Geltendmachung von Verdienstausfall schließt die Anklagebehörde offenbar die Gewerbsmäßigkeit. Gewerbsmäßiger Betrug gilt laut Strafgesetzbuch als besonders schwere Begehungsweise und ist mit einer entsprechend höheren Strafandrohung von mindestens sechs Monaten bis zu zehn Jahren Gefängnis bewehrt.
Bei einer Strafe bis zu zwei Jahren ist wie stets Bewährung möglich; nicht in Betracht kommt jedoch eine Geldstrafe. Die Staatsanwaltschaft hat Anklage am Schöffengericht erhoben; dieser Spruchkörper – und nicht der Einzelrichter am Amtsgericht – ist zuständig, wenn die Anklagebehörde eine Strafe von mindestens zwei Jahren erwartet.
Die Entschädigungsverordnung des Landes NRW sieht vor, dass Mitglieder des Kreistages Verdienstausfall geltend machen können; die Hauptsatzung des Kreises Unna verwies in der Zeit, als Marion Küpper und auch die anderen Beschuldigten Verdienstausfall geltend machten, auf die Verordnung des Landes, machte aber keine genaueren Angaben über die Abrechnungsmodalitäten.
Gericht prüft Eröffnung des Hauptverfahrens
Mittlerweile hat der Kreistag eine Verdienstausfallrichtlinie verabschiedet, die nähere Einzelheiten, etwa zu den üblichen Arbeitszeiten von Selbstständigen, regelt. Die neue Vorschrift soll damit eine Überprüfung von Anträgen durch die Kreisverwaltung erleichtern und umgekehrt Missbrauch erschweren.
Marion Küpper war trotz wiederholter Kontaktversuche dieser Redaktion nicht für eine Stellungnahme erreichbar. Die Anklage ist ihr nach Angaben des Amtsgerichts mittlerweile zugestellt worden; allerdings ließ ihr Empfangsbekenntnis ungewöhnlich lange auf sich warten. Ihr selbst bzw. ihrer Strafverteidigung steht ein Recht auf Stellungnahme zu den Vorwürfen gegenüber dem Gericht zu.
Der Vorsitzende des Schöffengerichts prüft daher derzeit noch, ob das Hauptverfahren gegen Marion Küpper eröffnet wird. Dafür muss das Gericht eine Verurteilung für wahrscheinlicher halten als einen Freispruch.
Hinweis der Redaktion: Dieser Artikel erschien ursprünglich am 22. April 2024.