
Es ist eine Seuche, die sich immer stärker ausbreitet. Mit brachialer Gewalt und ohne Rücksicht auf Verluste sprengen skrupellose Verbrecher Geldautomaten in die Luft, um an das darin schlummernde Bargeld zu kommen. Nicht nur die Beute ist enorm, sondern die Schäden an den Gebäuden sind es ebenfalls.
Und dass in vielen Fällen das Leben von Menschen akut gefährdet wird, nehmen die Verbrecher billigend in Kauf. Im vergangenen Jahr gab es fast 500 solcher Fälle in Deutschland. Zehn Jahre zuvor, 2012, waren es gerade einmal 45. Eine ganz üble Entwicklung.
Jetzt wird die Sache zum Fall für die Politik. Neben Bundesinnenministerin Nancy Faeser (SPD) wollen eine Reihe von Innenministern der Länder – unter anderem Herbert Reul (CDU) aus NRW – Banken und Sparkassen notfalls per Gesetz zwingen, ihre Sicherheitsvorkehrungen zu erhöhen.
Durch Vernebelungsanlagen, das Entwerten der Geldscheine durch Farbe oder Klebstoff oder auf anderen Wegen. Die Banken halten nichts von solchen neuen Vorschriften.
Das eigentliche Problem sind nicht die Verbrecher
Auf mich wirkt diese Diskussion skurril. Sie erinnert an einen Menschen, in dessen Wohnung die Badewanne überläuft. Hektisch versucht er, die Wasserflut in den Griff zu bekommen. Ganz primitiv mit Eimern, Lappen und Gummiflitsche, oder technisch versiert mit einer Tauchpumpe. Schließlich ruft er Nachbarn und Freunde zur Hilfe. Nur auf eine Idee kommt er nicht: Er dreht den Wasserhahn an der Badewanne nicht zu.
Genauso wirkt die Sache mit den Geldautomaten-Sprengungen auf mich. Das eigentliche Problem sind nämlich nicht die Verbrecher. Das Kernproblem ist das Bargeld. Oder, um ein schon im 16. Jahrhundert geprägtes Sprichwort zu benutzen: „Gelegenheit macht Diebe“. Wer viel Geld in einer öffentlich zugänglichen Kiste lagert, muss sich nicht wundern, dass Gangster versuchen, die Kiste zu knacken.
Überall, wo Geld im Spiel ist, wird‘s gefährlich
Das gilt im Übrigen nicht nur für Geldautomaten. Überall da, wo Bargeld im Spiel ist, wird’s gefährlich. Ein paar Zahlen aus der Verbrechensstatistik des Bundeskriminalamtes belegen das. 2022 gab es in Deutschland 38.195 Raubdelikte, in den allermeisten Fällen war dabei Bargeld das Beuteziel.
215 Spielhallen wurden überfallen, 628 Tankstellen, 42 Banken und 25 Geldboten. 2020 (eine aktuellere Zahl habe ich nicht gefunden) wurden zudem 2.177 Geschäfte – vom Kiosk bis zum Supermarkt – überfallen. Immer ging’s um Bargeld.
Wir Deutschen lieben unser Bargeld, andere nicht
Wir Deutschen lieben unser Bargeld. Nach einer im August 2022 veröffentlichten Studie der Deutschen Bundesbank bezahlten im Jahr 2021 noch immer 58 Prozent der Deutschen ihre Waren und Dienstleistungen mit Bargeld. 2017 waren es sogar noch 74 Prozent, dann gab Corona dem bargeldlosen Bezahlen – ob vorübergehend oder nicht, ist offen – Rückenwind.
Noch immer also 58 Prozent Bargeld-Fanatiker. Die absolute Mehrheit der Deutschen. In den Ländern Skandinaviens, vor allem in Norwegen, werden dagegen inzwischen selbst kleinste Beträge per Smartphone oder Karte bezahlt. 2019 wurde in Norwegen laut einer Studie nur noch in 11 Prozent der Fälle bar bezahlt.
Wie die alten Römer und Griechen
Wir Deutschen aber halten an unserem Bargeld fest. Wie die alten Römer und Griechen schleppen wir Bargeld mit uns herum. Heute zwar nicht mehr schwere Münzen in kleinen Stoff- oder Ledersäckchen, aber mehr oder weniger dicke Bündel von Geldscheinen in unseren Brieftaschen und Portemonnaies. Warum nur?
Aus meiner Sicht sollte sich unser Land schleunigst auf den Weg ins 21. Jahrhundert aufmachen und die Jahrtausende alte Bargeld-Epoche hinter sich lassen. Wir sollten uns innerhalb der nächsten 5, spätestens innerhalb der nächsten 10 Jahre vom Bargeld ganz verabschieden. Das geht.
2018 war ich in den USA. Dort konnte man selbst im kleinsten Ort auf dem winzigsten Wochenmarkt an fast jedem Obst- und Gemüsestand mit Karte bezahlen. Sage mir niemand, dass das in Deutschland unmöglich ist.
Einer ganzen Palette von Verbrechen würde der Boden entzogen
Ohne Bargeld würden sich keine Überfälle auf Banken, Tankstellen und Spielhallen mehr lohnen. Und auch nicht mehr auf Menschen, die ihr Bargeld unter der Matratze oder in der Teekanne horten. Dann gäbe es keine Bargeldkassen mehr zu stehlen und keine Geldautomaten, die man sprengen könnte.
Und: Einer ganzen Batterie an Straftaten, die erst durch Bargeld möglich werden, könnte der Treibstoff ausgehen. Glücksspiel, Prostitution, Korruption und Drogenhandel, um nur einige zu nennen, funktionieren eben schlecht mit Kartenzahlung.
Was von den Gegenargumenten zu halten ist
Wer Bargeld abschaffen will, hört schnell das Killer-Argument, durch bargeldloses Bezahlen werde man zum gläsernen Menschen. (Das sagen übrigens nicht selten ausgerechnet Menschen, die ihr Smartphone mit all seinen Tracking-Tools ständig griffbereit haben.) Außerdem sei das nichts für Technik-ferne Menschen.
Diesen Skeptikern sei gesagt: Ja, da könnte etwas dran sein, aber: Wäre es für Politik und Banken nicht eine überaus lohnende Aufgabe, digitales Bezahlen zu optimieren? Um es zum einen so sicher zu machen, dass meine persönlichen Daten vor Missbrauch nachprüfbar geschützt sind? Um es zum anderen so einfach zu machen wie einen 5-Euro-Schein auf die Ladentheke zu legen?
Aus meiner Sicht wären solche Anstrengungen deutlich lohnender, als immer neue Sicherheits-Hürden rund um Geldautomaten zu errichten. Wie gesagt: Am besten den Hahn zudrehen. Beim Wasser und beim Bargeld.
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