Wie ein Recklinghäuser zu 21 Sturmgewehren kam Gefährlicher Behördenirrtum

Gefährlicher Irrtum: Wie ein Recklinghäuser zu 21 Sturmgewehren kam
Lesezeit

Waffen sind im Leben von Ralph Herrmann ständige Begleiter. Der Mann aus Recklinghausen-Hochlar arbeitet seit vielen Jahren als Gutachter und Sachverständiger für Polizeiwaffen, Handfeuer- und Maschinenwaffen. Er sucht und verkauft Waffen an Sammler. Dass er eines Tages mit 21 voll funktionstüchtigen Kriegswaffen durch die Stadt fahren würde, hätte sich der 75-Jährige allerdings nicht träumen lassen, sagt er im Gespräch mit dieser Redaktion.

Doch der Reihe nach: Im Sommer 2019, so erzählt es Ralph Herrmann, habe er für einen Bekannten drei Pistolen aus der Asservatenkammer des Polizeipräsidiums Recklinghausen abholen sollen. Die Waffen seien im Zuge steuerrechtlicher Ermittlungen vorübergehend beschlagnahmt geworden.

Vor Ort hätten ihm die Beamten mit Verweis auf das Aktenzeichen jedoch nicht die drei Pistolen, sondern 41 Waffen überreicht. „Ich konnte die Sache vor Ort nicht aufklären, weil der Bekannte im Urlaub und nicht erreichbar war. Deshalb nahm ich die Waffen an“, erzählt Ralph Herrmann.

Bei den Asservaten habe es sich um 20 Jagdgewehre sowie 21 Sturmgewehre und Maschinenpistolen gehandelt. Die Kriegswaffen seien jedoch unbrauchbar gemacht worden, erklärten die Beamten laut Herrmann. Sie waren als reine Dekowaffen deklariert, die man damals auch noch handeln durfte.

Überraschung beim Säubern der Waffen

Mithilfe eines Bekannten lud Ralph Herrmann das Arsenal ins Auto, fuhr damit nach Hause. Dort, beim Säubern der vermeintlichen Dekowaffen, folgte dann die große Überraschung: „Die Läufe waren völlig intakt“, sagt Herrmann. Unter den Kriegswaffen hätten sich Kalaschnikow-Sturmgewehre, Maschinenpistolen und auch das einst von der Bundeswehr genutzte Sturmgewehr G3 befunden. Der Waffenexperte sagt: „Wenn ich Böses im Schilde führen würde, hätte ich die ganze Reichsbürgerszene der Region bewaffnen können.“

Doch Ralph Herrmann rüstet keine Terroristen aus. Er meldet seine Entdeckung bei der Polizei, gibt die Waffen schließlich nach einigen Wochen zurück. „Ich musste warten, bis mein Bekannter aus dem Urlaub wieder zu Hause war und ich die Sache mit ihm besprechen konnte“, sagt Herrmann. Gegen die Polizeibehörde erhebt er nun schwere Vorwürfe wegen des aus seiner Sicht fahrlässigen Umgangs mit tödlichen Waffen. Denn das Kriegsgerät hätte auch ihm als Sachverständigen niemals ausgehändigt werden dürfen.

Was für den Recklinghäuser nicht zusammenpasst: Auf der anderen Seite würden die Auflagen für den Erwerb und die Lagerung von scharfen Schusswaffen für Sammler und Sportschützen immer weiter angehoben und seien in der Praxis kaum noch zu erfüllen – auch Herrmann selbst fühlt sich von der Polizeibehörde schikaniert. Auf der anderen Seite stehe die freizügige Herausgabe vonseiten der Polizei im Sommer 2019.

Sturmgewehre liegen auf einem Tisch.
Auch diese Kriegswaffen lud Ralph Herrmann in seinen Kofferraum, damals noch in der Annahme, es handele sich um unbrauchbar gemachte Dekowaffen. © Ralph Herrmann

Das Polizeipräsidium Recklinghausen möchte sich auf Anfrage dieser Redaktion nicht zu dem Sachverhalt äußern. Die Behörde verweist auf das Innenministerium in Düsseldorf. Dieses wiederum verlangt für eine Stellungnahme eine Einverständniserklärung von Ralph Herrmann. Diese möchte der Hochlarer nicht erteilen, auch weil es mittlerweile ein Verfahren am Oberverwaltungsgericht Münster zwischen ihm und der Polizei gibt. Die Polizei ihrerseits wirft Hermann Verstöße gegen das Waffenrecht vor, will ihm seinen Status als Sachverständiger entziehen. Der Recklinghäuser weist diese Vorwürfe zurück.

Um die Richtigkeit seiner Schilderungen zu untermauern, hat Ralph Herrmann unserer Redaktion eine eidesstattliche Versicherung vorgelegt. Im Oktober vergangenen Jahres schrieb er eine E-Mail an nahezu alle NRW-Landtagsabgeordneten und das Innenministerium.

Ende April nun erhielt er eine Antwort des Landeskriminalamtes Nordrhein-Westfalen. Das Schreiben trägt das Datum 26. April 2024 und liegt der Redaktion vor. Darin heißt es: „Ihre Beschwerde ist zumindest teilweise begründet...“ Der Ausgabe der Waffen habe ein Irrtum zugrunde gelegen. Demnach seien „bei zwei betroffenen Personen diverse Waffen sichergestellt“ worden. Aufgrund eines „zusammenhängenden zugrundeliegenden Ermittlungsverfahrens“ seien diese Waffen unter „dem gleich lautenden Aktenzeichen asserviert“ worden.

Außenansicht des Polizeipräsidiums Recklinghausen.
Das Polizeipräsidium Recklinghausen hat seine Kontrollen und Abläufe rund um die Ausgabe von Waffen aus der Asservatenkammer nachgeschärft. © picture alliance/dpa

Weiter heißt es in dem an Ralph Herrmann gerichteten Schreiben: „Nach Freigabe der Staatsanwaltschaft der Waffen eines der beiden Betroffenen ist sodann irrtümlich – vermutlich aufgrund des gemeinsamen Aktenzeichens – davon ausgegangen worden, dass sämtliche 41 unter ebendiesem Aktenzeichen erfassten Gegenstände an Sie als Waffensachverständiger und Waffenhändler übergeben werden sollten.“

Herrmann selbst habe sich nicht strafbar gemacht. Im Gegenteil: „Zunächst ist festzuhalten, dass Ihr zum damaligen Zeitpunkt aufmerksames Handeln den Anforderungen voll entsprach, was von jedem zuverlässigen Waffenbesitzer, insbesondere beim Vorliegen besonderer Fachkunde – zu jeder Zeit erwartet wird.“

LKA: „Konsens zu besonderer Sorgfalt“

Die seinerzeit verantwortlichen Sachbearbeiter seien heute „nicht mehr im Bereich der Waffenbehörde des PP Recklinghausen beschäftigt“. Der unterzeichnende Regierungsrat fährt fort: „Ich beabsichtige, die Waffenbehörden im Allgemeinen und das PP Recklinghausen im Besonderen in Hinsicht auf die Anforderungen einer ordnungsgemäßen Asservierung zu sensibilisieren.“ Mit den „derzeit verantwortlichen Mitarbeitenden des PP Recklinghausen“ bestehe ein Konsens hinsichtlich „des Erfordernisses einer besonderen Sorgfalt im Umgang mit Asservaten“.

Das Polizeipräsidium Recklinghausen habe seine Asservatenverwaltung und die damit verbundene Dokumentation bereits angepasst, heißt es weiter. So werde nun „zwingend sichergestellt, dass die erwerbende Person die erforderlichen Voraussetzungen erfüllt“ und Willenserklärungen und Einzugsermächtigungen vorliegen. Mitarbeiter würden fortlaufend geschult, in Zweifelsfällen eine Expertise von Experten des LKA eingeholt.

Hinweis der Redaktion: Dieser Artikel erschien ursprünglich am 6. Mai 2024.