Seit wenigen Wochen ist die Gaspreisbremse in Kraft. Nachdem die Gaspreise seit Beginn des russischen Überfalls auf die Ukraine in exorbitante Höhen geschossen waren, sollte sie Erdgas für ganz normale Menschen wieder bezahlbar machen.
Daher gilt: Wenn eine Kilowattstunde mehr als 12 Cent kostet, übernimmt der Staat aus Steuermitteln die über diese Grenze hinausgehenden Kosten. So hat es der Bundestag am 15. Dezember 2022 beschlossen.
Inzwischen aber hat sich die Lage auf den Energiemärkten gewandelt. Die Beschaffungspreise für Erdgas und Strom sind deutlich gefallen. Nach Angaben der Bundesnetzagentur liegen sie aktuell bei etwa 4,347 Cent je Kilowattstunde Erdgas.
Eigentlich müssten die Preise doch sinken, oder?
Da müssten doch eigentlich auch die Preise für die Endverbraucher stark gesunken sein, oder? Wir haben 74 willkürlich in NRW ausgewählte Städte und Gemeinden untersucht und dabei sehr, sehr Merkwürdiges gefunden. Unter anderem den Energieriesen E.ON, der durch die Gaspreisbremse viel Geld vom Staat kassiert.
Für unseren Vergleich haben wir eine 100 Quadratmeter große Wohnung mit einem durchschnittlichen Jahresverbrauch von 12.000 Kilowattstunden Erdgas angenommen. Dann haben wir zum einen mit Hilfe der Vergleichsplattform Verivox ermittelt, welche Kosten der örtliche Grundversorger in Rechnung stellt. Zum anderen, was die gleiche Leistung beim günstigsten Alternativanbieter kosten würde.
Bei Alternativanbietern haben wir ausschließlich solche berücksichtigt, die den angegebenen Preis für mindestens zwölf Monate garantieren. In den von uns genannten Preisen sind Bonus-Zahlungen eingerechnet. Bei den Grundversorgern gibt es keine Preisgarantie. Diese Verträge sind grundsätzlich mit einer Frist von zwei Wochen kündbar.
Auf einer interaktiven Karte haben wir die von uns ermittelten Daten eingetragen. Sie können mit einem Klick auf die jeweilige Stadt abgerufen werden.
Bei diesem Vergleich zeigt sich: In ausnahmslos allen 74 von uns untersuchten Städten und Gemeinden liegt der von den günstigsten Alternativanbietern aufgerufene Gesamtpreis für die 100-Quadratmeter-Musterwohnung unter dem Preis, der Mitte Januar verlangt wurde.
Genauer gesagt: Aktuell liegt der Durchschnittspreis bei 104,80 Euro pro Monat. Dabei spielt die Gaspreisbremse keine Rolle, denn ausnahmslos alle günstigen Alternativanbieter liegen beim Kilowattpreis unter 12 Cent und damit unterhalb der Marke, ab der die Gaspreisbremse greift.
Gegenüber dem Januar, als wir die Daten bereits einmal erhoben hatten, liegen in allen von uns untersuchten 74 Städten die Preise der Alternativanbieter heute deutlich niedriger. Im Schnitt lag der Preis im Januar bei den Alternativanbietern noch bei 143,23 Euro.
Bei fast allen Grundversorgern trägt der Staat einen Teil der Gasrechnung
Bei den Grundversorgern sieht die Sache anders aus. Ohne Gasreisbremse liegt der durchschnittliche Gesamtpreis jetzt bei 174,52 Euro pro Monat. Berücksichtigt man die Gaspreisbremse, liegt der Gesamtpreis im Schnitt jetzt bei 140,48. Das heißt: Im Durchschnitt bezuschusst der Staat jeden Grundversorger, der das Gas für eine unserer Musterwohnungen liefert, mit 34,05 Euro pro Monat. Das macht im Jahr 408,60 Euro.
Im Vergleich zu Mitte Januar ist der Gesamtpreis in der Grundversorgung nur in sieben Städten und Gemeinden gesunken, in einem sogar gestiegen und in 66 konstant geblieben. Der durchschnittliche Gesamtpreis hat sich kaum verändert. Lag er Mitte Januar noch bei 178,51 Euro, liegt er jetzt – ohne Gaspreisbremse – bei 174,53.
Hinzu kommt, dass die Grundversorger lediglich in fünf Städten unter der Grenze von 12 Cent pro Kilowattstunde liegen, 69 aber darüber. Die Grundversorger kassieren also in 69 Städten und Gemeinden Geld vom Staat, die günstigen Alternativversorger in keiner einzigen.
So viel Geld kassiert E.ON jeden Monat in einer Durchschnitts-Wohnung vom Staat
Der Energiekonzern E.ON ist in 16 der von uns untersuchten Städte und Gemeinden der Grundversorger, unter anderem in Castrop-Rauxel, Werne, Dorsten, Datteln, Marl und Holzwickede. Überall ruft er für die Kilowattstunde Gas einen Preis von 16,99 Cent auf. Das bedeutet für eine 100-Quadratmeter-Wohnung: 146,50 Euro zahlt der Kunde und der Staat legt wegen der Gaspreisbremse weitere 39,93 Euro aus Steuermitteln obendrauf.
E.ON ist aber auch der Energiekonzern, der im Februar für das Jahr 2022 einen Reingewinn von rund 2,7 Milliarden Euro gemeldet hat. Ein Rekordgewinn, mit dessen Höhe selbst die Optimisten des Konzerns nicht gerechnet hatten.
Bund der Steuerzahler: „Das können wir nur ablehnen“
In einer Stellungnahme zu dieser Entwicklung erklärt Jens Ammann vom Bund der Steuerzahler gegenüber unserer Redaktion: „Das können wir natürlich nur ablehnen. Die Gaspreisbremse ist ja dafür gedacht, dass die Menschen bezahlbare Gaspreise haben, nicht, damit die Konzerne ihre Gewinne erhöhen. Das ist sicherlich nicht im Sinne des Erfinders.“
Ammann verweist allerdings auch auf die besonderen Aufgaben der Grundversorger: „Die müssen die Menschen mit Gas versorgen, andere Anbieter müssen das nicht.“ Daher seien sie in einer besonderen Situation, hätten möglicherweise langfristige Verträge zu hohen Preisen geschlossen, als eben das Sinken der Preise sich noch nicht abzeichnete. „Dafür kann man ihnen schwerlich Vorwürfe machen, weil sie es eben nicht besser wussten“, sagt Ammann.
Die Einschätzung der Verbraucherzentrale
„Preise deutlich oberhalb der Preisbremse sollte sich das Bundeskartellamt ansehen, um einen möglichen Missbrauch auszuschließen“, antwortet Christina Wallraf, Referentin der Verbraucherzentrale in Düsseldorf für den Energiemarkt, auf eine Anfrage unserer Redaktion.
Allerdings müsse man auch beachten, dass die Grundversorger aufgrund längerfristiger Verträge immer mit einer gewissen zeitlichen Verzögerung auf Veränderungen am Markt reagierten. Deshalb gelte: „Wenn Grundversorger Preise leicht oberhalb der Preisbremse nehmen und im letzten Jahr die Preise eher niedrig gehalten haben, dann ist das in Ordnung. Sollten Grundversorger allerdings schon im letzten Jahr die Preise deutlich erhöht haben, dann sind nun Preissenkungen angebracht“, sagt Christina Wallraf.
CDU: „Bundeskartellamt muss Missbrauch einen Riegel vorschieben“
Und wie war das bei E.ON? Im August 2022 berechnete E.ON für die Gaslieferung für unsere 100-Quadratmeter-Musterwohnung einen monatlichen Preis von 153,34 Euro, im Oktober von 137,88 Euro und im November von 206,05 Euro. Im Januar 2023 lag der Preis bei 151,12 Euro und jetzt beträgt er 186,43 Euro.
Auf Anfrage erklärte Dr. Christian Untrieser, wirtschaftspolitischer Sprecher der CDU-Landtagsfraktion: „Wenn ein Energieversorger künstlich hohe Preise abrechnet und sich die Differenz zur Gaspreisbremse beim Staat abholt, handelt er grob unsolidarisch und rechtswidrig. Die Preisbremsen-Gesetze verbieten eine missbräuchliche Ausnutzung. Das Bundeskartellamt muss dem einen Riegel vorschieben. Wir gehen davon aus, dass die Behörde allen Verdachtsfällen nachgeht und sie eingehend prüft.“
SPD: Rettungsschirm für Grundversorger
„Energiekonzerne, die in der Krise durch die rapide gestiegenen Energiekosten exorbitante Gewinne machen, sind an den Kostenexplosionen für die Verbraucherinnen und Verbraucher und vor allem auch zur Stabilisierung des Versorgungssystems zu beteiligen“, sagt André Stinka, wirtschaftspolitischer Sprecher der SPD-Landtagsfraktion. „Das gilt nach wie vor auch für Konzerne wie RWE, E.ON und andere, die teilweise Milliardengewinne im Jahr 2022 erzielt haben – zumal oft auch mit fossilen Energien“.
Andererseits müsse man beachten, dass die Gaspreisbremse aus Verbrauchersicht grundsätzlich ein Erfolg sei. Zudem sei es so, dass viele Verbraucher jetzt wieder in die günstigeren Tarife von Alternativanbietern wechselten.
Die Folge: „Nun sind es wiederum viele der Grundversorger, die aufgrund der fallenden Preise zeitlich nach den teureren Vertragsabschlüssen in finanzielle Schwierigkeiten geraten. Das sind oftmals die Stadtwerke als kommunale Unternehmen. Hier muss die Landesregierung aktiv werden, damit der Rettungsschirm für die Stadtwerke nicht nur auf dem Papier besteht, sondern auch an dieser Stelle wirksam zur Stabilisierung des Energieversorgungssystems beiträgt“ so Stinka.
Ulrich Thoden, energiepolitischer Sprecher der Linken in NRW, sprach bei der Gaspreisbremse von einem „Geburtsfehler des Kapitalismus“: „Anstatt die Preise einfach zu deckeln, führt die Gaspreisbremse zu milliardenschweren Subventionen auf Kosten der Steuerzahler. Die Zeche zahlt die Bevölkerung doppelt. Zum einen durch die gestiegenen Preise, zum anderen durch Steuergelder, mit denen die Rekordgewinne von Energiekonzernen weiter getrieben werden.“
So argumentiert der Energiekonzern E.ON
Und was sagt E.ON? Unternehmenssprecher Christian Bretschneider verweist auf die Situation im Jahr 2022: „Wir haben seit Herbst 2021 eine außergewöhnlich hohe Zahl an Kundinnen und Kunden in unsere Ersatz- und Grundversorgung aufgenommen, während andere Anbieter in der Krise teilweise einfach die Belieferung eingestellt und sich damit ihrer Verantwortung entzogen haben.“
E.ON verfolge „grundsätzlich eine langfristige, seriöse Beschaffungsstrategie“: „Auf diese Weise haben wir die teils massiven Preissteigerungen der vergangenen Monate möglichst lange für unsere Kundinnen und Kunden abgefedert. Natürlich mussten aber auch wir – wie alle anderen Anbieter auch – Energiemengen zu den vielfach höheren Großhandelspreisen einkaufen und diese Kosten teilweise weitergeben. Klar ist daher auch, dass auch wir über einen längeren Zeitraum gestiegene Beschaffungskosten zeitverzögert in unseren Endkundenpreisen abbilden müssen“, so Bretschneider.
Übrigens: Die Grünen, die FDP und die AfD haben unsere Fragen nicht beantwortet.
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