Griechischer Wein von Udo Jürgens statt Techno-Wummern als musikalische Pausenunterhaltung, viel Stückwerk statt ungezügelter Spielfreude – am Ende aber ein Kunstschuss des eingewechselten Pascal Groß (89.), der der deutschen Fußball-Nationalmannschaft den 2:1-Siegtreffer im letzten Test gegen Griechenland und Rückenwind für die anstehende Heim-EM brachte. Der hart erarbeitete Sieg konnte allerdings über viele Mängel im deutschen Spiel nicht hinwegtäuschen.
In die finale Vorbereitungswoche nimmt Bundestrainer Julian Nagelsmann trotz des Erfolgs einige Denkaufgaben mit. Haperte es bei vielen guten Ansätzen beim 0:0 gegen die Ukraine zu Wochenbeginn vorrangig an konsequenten Torabschlüssen, ließ die deutsche Mannschaft bei ihrer Generalprobe viele Wünsche offen. Es hakte in vielen Bereichen. Angefangen bei der Passgenauigkeit, vielen schlechten ersten Kontakten, über zu wenig Laufbereitschaft hin zu fehlender Schärfe im Spiel.
Neuer erst weltklasse, dann mit Patzer
Knappe 30 Minuten waren gespielt, da spürte das Publikum im Borussia-Park in Mönchengladbach, dass ihre Mannschaft Hilfe benötigte. Erste Anfeuerungsrufe verhinderten, dass die einschläfernde Darbietung auf dem Rasen auch auf die Ränge überschwappte. Den Gegentreffer konnte die Aufmunterung nicht verhindern. Und die Entstehung des 0:1, von den griechischen Fans frenetisch gefeiert, hat das Zeug dazu, eine Debatte neu zu entfachen, die beim DFB auf dem Index steht. Hat die deutsche Fußball-Nationalmannschaft kurz vor Turnierstart der Heim-Europameisterschaft möglicherweise ein Torwartproblem?
Schon beim 0:0 in Nürnberg fiel Manuel Neuer bei seinem Comeback nach mehr als 15-monatiger Pause neben einigen gewohnten Neuer-Paraden auch durch eine übertriebene Lässigkeit auf, die das deutsche Team kurz vor Ende der Partie in arge Bedrängnis gebracht hatte. Genie und Wahnsinn dann auch in Gladbach: Neuer verhinderte ein eigentlich sicheres und frühes Gegentor, als er gegen den Düsseldorfer Christos Tzolis gleich zweimal klasse abwehrte (7.). Aber er leistete sich anschließend ähnlich wie im Champions-League-Halbfinale der Bayern gegen Real Madrid einen folgenschweren Patzer. Wieder Tzolis, diesmal aus 20 Metern, statt zur Seite wehrte Neuer den nicht allzu scharfen Ball vor die Füße von Giorgos Masouras ab, der locker einschob – der Treffer überstand den Abseitscheck, es stand 0:1 (34.).
Das Tor war die Quittung für einen sehr pomadigen Auftritt ohne jeden Esprit, ohne Tempo, ohne Biss und Zweikampfhärte. Viele kleine Nachlässigkeiten prägten den deutschen Auftritt, niemand investierte den extra Meter an Laufarbeit, der notwendig gewesen wäre, um die griechische Defensive in Verlegenheit zu bringen. Im pinken Auswärtsdress leistete sich Deutschland einen schwer zu verstehenden Auftritt.
Immerhin: Das Gegentor weckte endlich die Lebensgeister, so konnte, so durfte es nicht weitgergehen, wenn wie von Bundestrainer Julian Nagelsmann gewünscht dieses Spiel Rückenwind für den EM-Start bringen sollte. Jonathan Tahs Kopfball war in der 40. Minute tatsächlich die erste gefährliche Torannäherung der deutschen Elf, die dann mit ihrem Kombinationsfußball auf engstem Raum endlich einmal durchkam. Über Jamal Musiala kam der Ball zu Kai Havertz, der Vlachodimos im griechischen Tor keine Chance ließ – mitten hinein in die neue deutsche Tormusik ging die Fahne des Assistenten nach oben. Das Gespann aus Spanien lag auch hier richtig (43.).
Kai Havertz trifft zum 1:1
Nagelsmann reagierte, er brachte Leipzigs David Raum für den unsichtbaren Maximilian Mittelstädt, wie angekündigt bekam dazu Leroy Sane wichtige Praxisminuten. Mehr Einsatz und mehr Emotionen brachten der deutschen Elf sofort mehr Zug zum Tor – und ein Tor, das diesmal zählte. Sane bediente auf engstem Raum Havertz, der nach einer schnellen Drehung mit etwas Glück zum 1:1 traf (56.).
Ganz ohne Schreckmomente ging es aber danach nicht weiter. Antonio Rüdiger ließ sich von Tzolis düpieren, Neuer machte sich ganz breit und blieb diesmal Sieger (64.) im direkten Duell. Auch die vor der Pause eklatant schwache Restverteidigung blieb ein Thema. Griechenland nutzte die Riesenlücken zu einigen gefährlichen Kontern, die die großen Abstimmungsprobleme im Rückzugsverhalten der DFB-Elf offen legten. Am Ende erzwang Deutschland durch den sehenswerten Treffer von Groß den knappen Sieg. Zufrieden konnte Nagelsmann aber nicht sein.