In weniger als zwei Wochen soll die Fußball-Europameisterschaft in München angepfiffen werden. Doch statt an ein mögliches „Sommermärchen“ denken viele Menschen in Deutschland gerade vor allem die erhöhte Terrorgefahr. Der mutmaßlich islamistisch motivierte Messerangriff von Mannheim am vergangenen Freitag hat diese Sorge noch einmal verstärkt. Wie sicher kann ein internationales Fußballgroßereignis in diesen Tagen sein? „Wir erwarten 2,7 Millionen Menschen in den Stadien und bis zu 12 Millionen in den Fanzones“, sagte Bundesinnenministerin Nancy Faeser (SPD) am Montag bei einer gemeinsamen Pressekonferenz mit NRW-Innenminister Herbert Reul (CDU). „Die Sicherheit der Fußball-Europameisterschaft in Deutschland hat für uns oberste Priorität“, sagte Faeser.
Euro 2024: Abstrakte Terrorgefahr vor dem Turnierstart
Die größte islamistische Bedrohung gehe derzeit von der der Terrormiliz ISPK (Islamischer Staat Provinz Khorasan) aus. „Wie wachsam unsere deutschen Sicherheitsbehörden sind, haben zuletzt die zwei weiteren Festnahmen von Terrorverdächtigen der ISPK vor wenigen Wochen gezeigt“, sagte Faeser. Die Terrormiliz zeichnete etwa für den schweren Terroranschlag mit mehr als 140 Toten im März in einem Vorort von Moskau verantwortlich und hat auch die Europameisterschaft öffentlichkeitswirksam in den Blick genommen: In der letzten Ausgabe des englischsprachigen Terror-Magazins „Voice of Khurasan“ veröffentlichte der ISPK eine Fotomontage, die einen von hinten fotografierten IS-Kämpfer vor einem Fußballstadion zeigt. Berlin, München und Dortmund werden darauf als mögliche Orte genannt, um „das letzte Tor“ zu schießen.
Solche „einschlägigen Bilder“ würden die Sicherheitsbehörden nicht überraschen, erklärte Herbert Reul in Berlin. Aus den Bildern ließen sich jedoch nicht unbedingt konkrete Anschlagspläne ableiten. „Das sind manchmal auch Fotos, die eine Verunsicherung der Bevölkerung organisieren sollen“, sagte der NRW-Innenminister. Reul und Faeser wiesen darauf hin, dass es bislang keine Hinweise auf konkrete Terrorpläne, wohl aber eine hohe „abstrakte Gefährdungslage“ gebe. Die Polizei analysiere neue Gefahren fortlaufend und passe ihre Einsatzkonzepte entsprechend an.
Reul und seine nordrhein-westfälische Landespolizei spielen für die Sicherheit der Europameisterschaft eine besonders wichtige Rolle: Vier der zehn EM-Austragungsorte liegen in NRW. Im niederrheinischen Neuss wird zudem bereits am kommenden Montag das „International Police Cooperation Center“ eröffnet. In dem internationalen Koordinierungszentrum kommen deutsche Polizisten, aber Vertreter anderer Sicherheitsbehörden und der Nachrichtendienste mit ausländischen Polizisten zusammen. Insgesamt würden 350 ausländische Polizeikräfte während der EM in Deutschland eingesetzt, sowohl in Neuss als auch im gemeinsamen Streifendienst an den Spielorten oder im Bahnverkehr, sagte Faeser. Besonders eng sei die Zusammenarbeit mit der französischen Polizei bei der EM und den darauffolgenden olympischen Spielen in Paris.
Fans zur Fußball-EM: Gefahren durch Hooligans
Neben der Terrorgefahr bereiten sich die Sicherheitsbehörden auch auf mögliche Hooligan-Gewalt vor. Bei der letzten regulären Fußball-EM vor der Corona-Pandemie hatten Krawalle im französischen Marseille für Entsetzen gesorgt. Russische Hooligans hatten dort Jagd auf englische Fans gemacht. Die russische Nationalmannschaft darf wegen des russische Angriffskriegs gegen die Ukraine in diesem Jahr nicht am Turnier teilnehmen. Verschärfte Einreisebestimmungen der EU würden russischen Fans und Hooligans die Einreise ohnehin erschweren. Potenzielle Gewalttäter aus anderen Ländern will Faeser möglichst schon bei der Einreise stoppen. Dazu hat sie während der Europameisterschaft stationäre Grenzkontrollen an allen deutschen Binnengrenzen angeordnet.
Die Gewerkschaft der Polizei (GdP) sieht die deutsche Polizei kurz vor Turnierbeginn gut auf die EM vorbereitet. „Alle denkbaren Szenarien wie Hooligan-Ausschreitungen, Terrorattacken, die Drohnen- und Cyberabwehr, jedoch auch die Sicherung der Fanströme, Verkehrswege, der Stadien und des Public Viewing sind unsere Kolleginnen und Kollegen bei der Vorbereitung des Sicherheitskonzeptes gründlich durchgegangen“, sagte der stellvertretende GdP-Bundesvorsitzende Michael Mertens dem RedaktionsNetzwerk Deutschland (RND). „Mit dem IPCC in Neuss haben wir eine gut geölte internationale Datendrehscheibe, die jeden Einsatzleiter an allen Spielorten maßgeblich unterstützen wird.“ Für die Polizistinnen und Polizisten werde die Sicherheit der EM trotzdem zur Herkulesaufgabe. „Klar ist, wenn es für unsere Nationalmannschaft gut läuft, dann haben sie sieben Spiele, die deutsche Polizei wird 51 Spiele absolvieren müssen.“
NRW-Innenminister Reul verwies in Berlin darauf, dass auch die Allgemeinkriminalität während des Turniers nicht stoppe, weshalb die Polizei doppelt belastet sei. In Nordrhein-Westfalen komme Ende Juni noch der Bundesparteitag der AfD mit erwarteten Gegenprotesten dazu und sorge für einen Polizei-Großeinsatz. Für die Polizistinnen und Polizisten gelte während der EM eine Urlaubssperre.
Anteilnahme am Tod eines Mannheimer Polizisten
Faeser und Reul nutzten die Pressekonferenz in Berlin auch, um ihre Anteilnahme am Tod des Mannheimer Polizisten Rouven L. auszudrücken, der nach dem Messerangriff am vergangenen Freitag verstarb. „Wir lassen uns von Extremisten und Terroristen nicht spalten. Wir unterscheiden zwischen Muslimen, die zu uns gehören, und Islamisten, die wir mit aller Härte bekämpfen“, sagte Faeser. „Unser größter Respekt, unsere größte Anerkennung gilt allen Polizeibeamtinnen und -beamten, die tagtäglich für Sicherheit in unserem Land sorgen.“ Es sei gut, dass der Bundesanwalt am Montag aufgrund klarer Hinweise auch ein islamistisches Motiv die Ermittlungen übernommen habe.
Die Öffentlichkeit sei nach Taten wie in Mannheim stets aufgeschreckt, sagte Reul. „Ich würde mir wünschen, dass dieses Erschrecken und dieses Unruhigsein ein bisschen länger hält als ein paar Tage“, sagte er. „Nicht weil ich möchte, dass alle Menschen unruhig durch die Gegend rennen, aber damit sie begreifen, was Polizistinnen und Polizisten leisten und welches Risiko sie eingehen – und wenn sie Entscheidungen treffen, dass das auch schwierige Entscheidungen sind und manchmal auch nicht die Richtigen sein können.“ Den Angriff von Mannheim nannte Reul eine feige Tat.
RND