„Er hatte Todesangst“, sagt Christian Rüße. Was ihrem Sohn Moritz im Januar dieses Jahres widerfahren ist, können er und seine Frau Susanne noch immer kaum fassen. „Es fühlt sich an wie ein schlechter Film“, sagt Susanne Rüße. Ihr Sohn wurde schwer verletzt – von einem erwachsenen Mann, der sich in den Streit zweier Jungs einmischte.
Doch einmal ganz von vorn: Die Geschichte, die einen so dramatischen Ausgang nahm, begann eigentlich schön. „Moritz hat über die Sozialen Medien ein 12-jähriges Mädchen aus Dortmund kennengerlernt“, erzählt Christian Rüße. Die beiden hätten viel Kontakt gehabt und schließlich habe das Mädchen Moritz erzählt, dass ihr Ex-Freund sie mobbe und beleidige. „Moritz hat eine soziale Ader und seine Hilfe angeboten. Er hat den Ex-Freund angeschrieben.“
Doch die Konversation der beiden Jungs sei ausgeartet, erzählen Moritz‘ Eltern, die bemerkt hätten, wie sehr das ihren Sohn belastete. Schließlich erzählte Moritz seinen Eltern von der Konversation mit dem anderen Jungen und zeigte ihnen auch den Chat.
„Das ist verbal eskaliert, die beiden haben sich gegenseitig bedroht und beleidigt“, erzählt Moritz‘ Vater. Es sei von beiden Seite gekommen, auch von Moritz. Die Eltern hätten ihrem Sohn dann angeboten, ein Treffen mit den Jungs und Eltern zu vereinbaren. „Aber er wollte das selber klären und hat den Chat dann beendet und die Nummer gesperrt.“
Ein Treffen am Bolzplatz endete blutig
Der Fall sollte damit beendet sein, doch dann habe sich das Mädchen wieder gemeldet, das Moritz bat, die Nummer wieder zu entsperren. Der andere Junge habe ihr wieder gedroht.
Moritz habe daraufhin die Nummer entsperrt und die Nachricht bekommen, dass er sich mit dem anderen Jungen am Bolzplatz treffen sollte. „Er hat gesagt, er geht kurz mit dem Hund raus“, erzählt seine Mutter im Nachhinein. Die Eltern wussten nichts von der Verabredung – die dann ganz anders lief als Moritz sich das vorgestellt hatte. „Er kam nach zehn Minuten wieder, hatte eine Kopfwunde, ein aufgeplatztes Ohr, kaputte, zerrissene Sachen und war total aufgeregt“, berichten die Eltern, die sofort Polizei und Krankenwagen gerufen hätten.
Wie Moritz seinen Eltern erzählte, soll folgendes passiert sein: Der Junge mit dem er sich treffen wollte, stand an einer Laterne. Moritz ging auf ihn zu, als plötzlich ein Mann hinter einem Busch herkam und auf ihn losging. Er hat ihn zusammengeschlagen, mit einer Schaufel getroffen und ihn dann ein paar Meter in Richtung Auto geschleift. Dabei hat er ihn bespuckt und beleidigt und Moritz fürchtete, er würde ihn mitnehmen. Doch er ließ ihn irgendwann los und verschwand mit seinem Sohn, der alles mit angesehen hat.
Moritz schilderte das auch der Polizei, die sofort an die Arbeit ging, wie Moritz‘ Eltern berichten. Sie hätten Spuren aufgenommen und Beteiligte befragt. „Sie waren total bemüht“, so Christian Rüße.
Weil Moritz wusste, wer der Mann war, konnte die Polizei ihn ausfindig machen. Denn wie schnell herauskam, hat Moritz gar nicht mehr mit dem Jungen geschrieben: „Nachdem Moritz die Nummer entsperrt hat, hat er mit dem Vater geschrieben“, erzählt Susanne Rüße. Der Vater habe also das Treffen eingefädelt, sei mit dem Sohn zum Treffpunkt gefahren und habe Moritz dort dann verprügelt. Während die körperlichen Wunden verheilt sind, leide ihr Sohn noch immer unter der Erfahrung und sei schreckhafter als sonst, so die Eltern des Opfers.
Vor Gericht habe der Vater alles gestanden – bis auf den Vorwurf, den Jungen auch mit der Schaufel geschlagen zu haben. Und das war am Ende das Zünglein an der Waage, wie Moritz Eltern erklären: „An der Schaufel wurden keine DNA-Spuren von Moritz gefunden, sondern nur von dem Vater. Deshalb handelt es sich nicht um schwere Körperverletzung, sondern um leichte.

Angeklagter bekommt zehn Monate Freiheitsstrafe auf Bewährung
Auf Anfrage erklärt das Amtsgericht Unna, das einen Vorfall am 16. Januar bestätigt, warum das Jugendschöffengericht es nicht als erwiesen ansah, dass der Angeklagte mit einem Kehrblech zugeschlagen hat. „Das Opfer hat eine blutende Verletzung erlitten, sodass sich bei einem Kontakt mit dem Kehrblech eigentlich DNA auf diesem hätte befinden müssen, was aber gutachterlich nicht festgestellt werden konnte“, so die Direktorin des Gerichts, Annette Rodehüser.
Rodehüser erklärt auf Nachfrage auch, was den Unterschied zwischen einer einfachen und einer gefährlichen Körperverletzung ist: „Die (einfache) Körperverletzung (§ 223 StGB) hat den Strafrahmen Freiheitsstrafe bis zu fünf Jahren oder Geldstrafe. Die gefährliche Körperverletzung nach § 224 StGB hat den Strafrahmen Freiheitsstrafe von sechs Monaten bis zu zehn Jahren, in minder schweren Fällen von drei Monaten bis fünf Jahren“, so Rodehüser. Es liege also ein unterschiedlicher Strafrahmen vor, aus dem das Gericht unter Berücksichtigung aller Umstände die Strafe bestimmt.
Welche Strafe ausgeurteilt worden wäre, wenn eine gefährliche Körperverletzung festgestellt worden wäre, lässt sich nicht so einfach beantworten, da das Jugendschöffengericht die Entscheidung zu treffen gehabt hätte, erklärt sie.
Das Jugendschöffengericht hat laut Gericht am 22. September dieses Jahres den zum Tatzeitpunkt 41-jährigen, nicht einschlägig vorbestraften Mann „wegen tateinheitlich begangener Körperverletzung, Beleidigung und Bedrohung zu einer Freiheitsstrafe von zehn Monaten verurteilt, die zur Bewährung ausgesetzt wurde.“ Eine Auflage der Bewährung ist ein Schmerzensgeld von 1.500 Euro an das Opfer.
Auch die Gerichtskosten müsse der gewalttätige Vater zahlen, erzählen die Eltern von Moritz. Christian und Susanne Rüße können nachvollziehen, wie die Strafe zustande kam, weil sie sich durch das Rechtssystem erklären lässt. Einerseits sind sie froh, dass der Fall nun abgeschlossen ist, andererseits ist das Urteil für sie nicht „befriedigend“. „Ein Mann schlägt einen Minderjährigen und darf auf freiem Fuß bleiben. Das fühlt sich einfach nicht richtig an.“