„Unerlaubtes Entfernen vom Unfallort“ ist der amtliche Name des Straftatbestandes, der entschärft werden soll. Die Fallzahl im Kreis Unna ist hoch, die Aufklärungsquote mäßig. Polizei, Gerichte und Staatsanwaltschaften sind dennoch gut beschäftigt.
In den Polizeimeldungen des Kreises Unna spielt das Delikt nahezu täglich eine Rolle. Typisch ist ein Zeugenaufruf der Polizei in Kamen am 6. Dezember 2022: „In der Nacht zu Dienstag hat ein bisher unbekanntes Fahrzeug einen Am Langen Kamp geparkten schwarzen VW Up erheblich beschädigt.
Der Geschädigte bemerkte den Schaden an seinem Fahrzeug gegen 4.30 Uhr. Aufgrund der Spuren ergibt sich folgender Unfallhergang: (...) Der oder die Unfallbeteiligte entfernte sich unerlaubt von der Unfallstelle, ohne eine Schadenregulierung zu ermöglichen.“
Fahrerflucht künftig Ordnungswidrigkeit?
Es kommt auch zu völlig untypischen Verläufen, bei denen eine Fahrerflucht juristisch überhaupt erst eingehend geprüft werden muss. So touchierte im vergangenen November in Fröndenberg ein Pkw eine 17-Jährige auf einem Pedelec. Die junge Frau fiel auf die Motorhaube und anschließend zu Boden.
„Der PKW-Fahrer stieg aus, erkundigte sich nach ihrem Befinden und bot Hilfe an. Dieses lehnte die Geschädigte ab und der Autofahrer fuhr davon. Die 17-Jährige verspürte anschließend starke Schmerzen und begab sich in ein Krankenhaus“, schrieb seinerzeit die Polizei, die daher den Autofahrer und Zeugen suchte.
Nach einem Papier des Bundesministeriums der Justiz soll Fahrerflucht künftig nur noch eine Ordnungswidrigkeit sein, solange es bei dem Unfall bei einem Sachschaden bleibt.
Für solche Fälle bringt das Ministerium die Einrichtung einer Meldepflicht und Meldestelle ins Spiel. „Denkbar wäre etwa eine Meldung über eine standardisierte Online-Maske, gegebenenfalls auch mit hochzuladenden Bildern vom Unfallort“, heißt es in dem Dossier.
Werden Menschen bei einem Unfall verletzt, soll sich nichts ändern und die Unfallbeteiligten weiter verpflichtet sein, am Unfallort eine angemessene Zeit zu warten, um sich Geschädigten zu erkennen zu geben.
Im Kreis Unna rund 1.900 Fahrerfluchten
Im Jahr 2022 sind bei der Kreispolizeibehörde Unna 1.873 Verkehrsunfallfluchten bei der Polizei angezeigt worden. Zahlen aus der Stadt Lünen sind darin gar nicht erfasst, weil dort das Polizeipräsidium Dortmund zuständig ist.
Einen Tatverdächtigen konnte die Polizei in 766 Fällen ermitteln, damit gilt die Straftat für die Polizei als aufgeklärt; die Aufklärungsquote lag damit bei 41 Prozent.
Bedeutender Schaden
- Für die Entziehung der Fahrerlaubnis muss laut OLG Hamm eine Erheblichkeitsschwelle des Sachschadens überschritten werden. Fixe gesetzliche Werte gibt es nicht. „Man bezieht sich auf Richterrecht“, so Oberstaatsanwalt Dr. Gerhard Pauli.
- Den Begriff des bedeutenden Schadens definiert der Gesetzgeber im Strafgesetzbuch im Zusammenhang mit der (auch vorläufigen) Entziehung der Fahrerlaubnis nach einem unerlaubten Entfernen vom Unfallort.
- Maßgeblich hierbei kann zum einen das äußere Bild des angerichteten Fremdschadens sein – z. B. bei eindeutiger Zerstörung des Fahrzeugs oder eines beschädigten Baumes oder Mauerwerks; es kann aber auch auf die Höhe der Reparaturkosten abgestellt werden.
- Die Rechtsprechung hat die erforderliche Reparaturkostensumme im Laufe der Zeit immer wieder angepasst. Sie liegt nach überwiegender Auffassung in der Zeit von 2015 bis 2020 bei etwa 1.500 bis 1.600 Euro. (Quelle: verkehrslexikon.de)
In den Augen von Bernd Pentrop könnte ein entschärfter Straftatbestand die Polizei kaum entlasten. „Wir fahren ohnehin zum Unfallort und verfolgen eine Ordnungswidrigkeit“, so der Sprecher der Kreispolizeibehörde.
Bei dem Klassiker, dass beim rückwärts Ausparken auf dem Supermarktparkplatz eine Delle in ein anderes Auto gefahren wurde, liege nämlich unabhängig von einer Fahrerflucht auch eine Ordnungswidrigkeit wegen eines Verkehrsverstoßes vor, der ein Verwarnungs- oder Bußgeld nach sich ziehe. Diese Verwaltungsstrafe erwartet den Flüchtigen, so er ermittelt wird, neben der Justizstrafe.
Polizei kommt bei Anruf stets zum Unfallort
Selbst zu Blechschäden, bei denen alle Beteiligten am Unfallort warten, fahre die Polizei immer, wenn sie gerufen werde. Es gehe schließlich um die zweifelsfreie Feststellung einer Personenidentität, um zivilrechtliche Ansprüche erfolgreich geltend machen zu können. „Die Polizei kommt gern und hilft den Bürgern weiter“, betont Bernd Pentrop.
Auch wenn im Gesetz nichts davon stehe – er könne, so Pentrop, jedem Verursacher nur raten, einen Unfall der Polizei zu melden, „gerade wenn es Verletzte gibt.“ Gerade Kinder könnten überhaupt nicht einschätzen, ob sie ernsthaft zu Schaden gekommen sind. Man dürfe sich dann nicht einfach aus dem Staub machen. Pentrop: „Man sollte sich lieber einmal zu viel als zu wenig melden, bevor man sich einer Straftat schuldig macht.“

Die von der Polizei ermittelten Unfallflüchtigen landen nicht vor Gericht, wenn die Staatsanwaltschaft zum Beispiel wegen Geringfügigkeit keine Anklage erhebt. Am Amtsgericht Unna, das auch für Bönen, Holzwickede und Fröndenberg Recht spricht, ist die Zahl der Strafverfahren in den vergangenen Jahren auf konstantem Niveau.
Entziehung der Fahrerlaubnis als Sanktion
„Es sind durchaus nicht ganz wenige“, sagt Amtsgerichtsdirektor Dirk Brahm. Einer seiner Strafrichterkollegen schätzt grob, dass die Unfallfluchten immerhin fünf Prozent aller Strafprozesse ausmachen.
Interessant dabei ist, dass ganz überwiegend Erwachsene wegen Fahrerflucht angeklagt werden, das Delikt im Jugendstrafrecht – das bis zum 21. Lebensjahr angewendet werden kann – aber keine große Rolle spielt.
Zu Haftstrafen, weiß Oberstaatsanwalt Dr. Gerhard Pauli, komme es beim unerlaubten Entfernen vom Unfallort nur äußerst selten. Der Pressesprecher der Staatsanwaltschaft Hagen, die im Kreis Unna nur für die Stadt Schwerte zuständig ist, verweist hingegen auf eine „Maßregel der Besserung und Sicherung“, die Unfallflüchtige neben einer Geldstrafe treffen kann: der zeitweilige Entzug der Fahrerlaubnis.
„Das trifft die Täter viel mehr“, so Pauli. Und der Lappen kann heutzutage eben auch bei reinen Blechschäden entzogen werden, wenn der Schaden nur groß genug ist.