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Explodierende Corona-Daten überall, aber der eine, alles entscheidende Wert ist gut
Corona-Wochen-Bilanz
Mehr als siebenmal so viele neue Corona-Fälle wie vor einem Jahr. Sechsmal so viele Tote. Viermal so viele Covid-19-Kranke auf Intensivstationen. Aber der alles entscheidende Wert ist gut.
Wer sich die aktuellen Zahlen zur Corona-Pandemie anschaut und diese mit den Werten des Vorjahres vergleicht, der könnte es mit der Angst bekommen. In der Woche zwischen dem 23. und 30. August 2021 infizierten sich in Deutschland 65.241 Menschen neu mit dem Coronavirus. In der letzten Augustwoche des vergangenen Jahres waren es gerade einmal 8.806 neue Fälle.
Am 30. August 2020 lag die Sieben-Tage-Inzidenz bei 9,2. Ein Jahr später liegt der Wert bei 75,8.
Bei den Todesfällen ein ähnliches Bild: In diesem Jahr starben innerhalb einer Woche 160 Menschen an oder mit einer Coronainfektion. Das sind mehr als sechsmal so viele wie im selben Zeitraum 2020, als 26 Corona-Tote registriert wurden.
Auch auf den Intensivstationen sind die Zahlen ähnlich: 246 Covid-Patientinnen und -Patienten wurden in der letzten Augustwoche 2020 dort behandelt, von denen 128 beatmet wurden. Jetzt sind es viermal mehr: 1.018 Patienten, 487 davon beatmet.
Wie kann all das sein, wo doch inzwischen rund 60 Prozent der Bevölkerung vollständig und rund zwei Drittel mindestens einmal gegen das Virus geimpft sind? Zum einen mag das eher kühle und nasse Sommerwetter seinen Teil dazu beitragen, dass sich das Virus besser verbreitet als im vergangenen Jahr.
Das Problem der Delta-Variante
Zum anderen haben wir es heute mit einer viel aggressiveren Virus-Variante zu tun als vor einem Jahr. Man kann sich mit der Delta-Variante, die mehr als 99 Prozent aller Fälle in Deutschland ausmacht, viel leichter anstecken als mit dem Ursprungs-Virus.
Daher trifft es inzwischen vor allem jüngere Menschen, die sich mit dem Virus infizieren und das ist logisch: In diesen Altersgruppen ist der Anteil der ungeimpften Menschen noch besonders hoch.
Hätte es solche Daten wie jetzt vor einem Jahr gegeben, wäre mit Sicherheit schon Ende August 2020 intensiv über neue Schutzmaßnahmen debattiert worden. Heute sieht die Sache trotz schlechter Daten ganz anderes aus.
Es herrscht weitgehende Einigkeit, dass es keinen erneuten generellen Lockdown geben wird. Zudem, auch da ist man sich halbwegs einig, sollen Geimpfte und Genesene ein halbwegs normales Leben ohne große Einschränkungen führen dürfen – wobei Maskenpflicht und die Einhaltung von Hygieneregeln uns sicherlich noch lange an vielen Stelen erhalten bleiben. Wie es mit nur Getesteten weitergeht, darüber wird noch debattiert.
Zwei Gründe für die Gelassenheit
Diese relative Gelassenheit im Angesicht steigender Zahlen hat ihren Grund in zwei Ursachen:
Erstens: Auch wenn die Zahl neuer Fälle, die der Corona-Toten und der Intensiv-Patienten im Vergleich zum vergangenen Jahr stark gestiegen sind, sind die absoluten Zahlen noch Welten von denen auf dem Höhepunkt der zweiten und dritten Welle entfernt. Um die Jahreswende gab es mehr als 170.000 neue Fälle in einer Woche, mehr als 6.100 Corona-Tote und über 5.000 Covid-Kranke auf den Intensivstationen. Und niemand hatte einen Impfschutz.
Zweitens: Schon in der dritten Welle hat sich gezeigt, dass eine steigende Zahl von Fällen nicht zu einer vergleichbar hohen Steigerung der Todesfälle führt. Weil inzwischen die am meisten gefährdeten Gruppen einen hohen Impfschutz haben, soll künftig die Situation in den Krankenhäusern entscheidend sein bei der Verhängung neuer Schutzmaßnahmen.
Daher müssen wir uns an einen neuen Wert gewöhnen: die Hospitalisiserungs-Inzidenz. Dieser Wert beschreibt die Zahl der Neuaufnahmen von Corona-Kranken in einer Klinik pro 100.000 Einwohner in den vergangenen sieben Tagen. Dieser Wert liegt aktuell bei 1,56 - und das ist ein wirklich guter Wert.
Auf dem Höhepunkt der zweiten Welle schoss nämlich die Hospitalisierungs-Inzidenz Ende Dezember auf 15,79 hoch, in der dritten Welle erreichte sie Mitte April angesichts der Impffortschritte nur noch den Wert von 9,71, obwohl die Zahl neuer Fälle ähnlich hoch war wie Ende Dezember. Von diesen Werten der letzten beiden Wellen sind wir heute also noch sehr, sehr weit entfernt.
Die Frage der Überlastung des Gesundheitswesens
Das bedeutet, dass unserem Gesundheitssystem derzeit keine Überlastung droht. Seit Beginn der Pandemie-Bekämpfung ist allen klar, dass dieses Virus nie wieder ganz verschwinden wird. Daher war es immer das Ziel aller Schutzmaßnahmen, eine Überlastung des Gesundheitssystems zu vermeiden. Das scheint derzeit dank der wirksamen Impfungen auch ohne drastischere Maßnahmen, wie sie bis zum Frühsommer erforderlich waren, möglich zu sein.
Ulrich Breulmann, Jahrgang 1962, ist Diplom-Theologe. Nach seinem Volontariat arbeitete er zunächst sechseinhalb Jahre in der Stadtredaktion Dortmund der Ruhr Nachrichten, bevor er als Redaktionsleiter in verschiedenen Städten des Münsterlandes und in Dortmund eingesetzt war. Seit Dezember 2019 ist er als Investigativ-Reporter im Einsatz.
