Halina Birenbaum meldet sich aus Herzlia „Es gab Krieg oder Waffenruhe, aber nie Frieden“

„Es gab Krieg oder Waffenruhe, aber nie Frieden“
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Halina Birenbaum geht es nicht gut. „Alles, was gerade passiert, kommt jedem in die Seele“, sagt die 94-Jährige. Es ist nicht schwer zu verstehen, was sie damit meint. Man erreicht sie telefonisch in ihrem Haus in Herzlia, Marls Partnerstadt. Sie dreht das Radio leise, um besser zu verstehen. Es laufe seit Kriegsbeginn ständig, sagt sie. Sie spricht deutsch mit Akzent. Sie hört und sie sieht nicht mehr gut. 1929 wurde sie in Warschau geboren. Zeit ihres Lebens hat sie wenig Frieden und viel Unmenschlichkeit erlebt. Trotzdem hat sie ein Buch geschrieben mit dem Titel „Die Hoffnung stirbt zuletzt“.

Ob sie daran auch heute noch glaubt, mehr als 50 Jahre nach der Erstveröffentlichung? Dass es Hoffnung auf Frieden in Israel gibt - vor allem jetzt, da die Lage wieder eskaliert? Eigentlich, sagt sie, habe es in Israel immer nur einen Zustand „zwischen den Kriegen gegeben“. Selbst wenn es ein paar Jahre still war, kam es immer wieder zu Zwischenfällen. Sie sagt: „Es gab Krieg oder Waffenruhe, aber nie Frieden.“ Seit 1948 sei das so, als die Vereinten Nationen das Gebiet teilen wollten, die Juden den Staat Israel ausriefen und die Palästinenser nicht einverstanden waren. „Juden haben so lange kein Land gehabt. Überall Pogrome“, sagt Halina Birenbaum. Für sie folgte eine Bedrohung auf die nächste.

Halina Birenbaum bei einem ihrer Besuche in Deutschland.
Halina Birenbaum war immer wieder an Marler Schulen zu Gast und hat vor Schülern über ihr Martyrium im Warschauer Ghetto und im Konzentrationslager Auschwitz gesprochen. © Udo Hennes

Die massivste Form der Menschenverachtung hat sie als Jüdin selbst erlebt. Sie hat das Warschauer-Ghetto, die Konzentrationslager in Auschwitz und Ravensbrück und einen Todesmarsch überlebt. Seit sie zehn ist, gehört der Krieg zu ihrem Leben. 1947 kam sie über Österreich, Frankreich, die Türkei nach Tel Aviv. Die Nazis hatten ihr Mutter und Vater geraubt und die Kindheit. Noch heute hat sie den Geruch von verbranntem Menschenfleisch in der Nase und die Bilder vor Augen. Gerade als sie von einem Krieg befreit gewesen sei, folgte 1948 in Israel der erste Konflikt zwischen Israelis und Arabern. Den Sechs-Tage-Krieg in den 60er- und den Jom-Kippur-Krieg in den 70er-Jahren - Halina Birenbaum hat sie alle miterlebt.

Mehr als 80 Jahre Ausnahmezustand: Halina Birenbaum sagt mit feiner Ironie, bis sie 100 werde, wolle sie ihre „Doktorarbeit über die Zeit im, zwischen und nach dem Krieg“ schreiben.

Der Krieg ist auch im Norden nah: „Hier ist es nicht ruhig“

Die Nachrichten aus dem Süden Israels seien „schrecklich“, sagt sie und auch im Norden des Landes gebe es derzeit „keine Sicherheit“. Am Vortag noch musste sie den Schutzraum aufsuchen - sie selbst, ihre ukrainische Betreuerin und die Katze. Ihr Mann ist mittlerweile verstorben, die beiden Söhne leben ganz in der Nähe. Herzlia liegt nördlich von Tel Aviv. Auch wenn die Menschen weiter in den Cafés säßen, sagt Halina Birenbaum: „Hier ist es nicht ruhig.“ Der Krieg ist nah, geografisch sowieso, emotional ebenso. Halina Birenbaum wünscht sich, dass die Hamas die gefangenen Geiseln freilässt. Sie sagt, die Verbrechen an den Menschen - viele davon Kinder - seien „unmenschlich“. Auch deshalb müsse Israel nun antworten.

Online-Vortrag vor 10.000 italienischen Schülern

1989 sei sie zum ersten Mal „als freier Mensch in Deutschland“ gewesen, sagt Halina Birenbaum. Seitdem hat sie immer wieder ihre Geschichte erzählt. Vor allem vor Schülern - auch in Marl. Sie hat auch Freunde hier. Im Moment telefonierten sie fast täglich. Vor Kurzem noch habe sie vor über 10.000 italienischen Jugendlichen über Zoom gesprochen. Ob sie noch einmal nach Marl kommen wird? Sie glaube es nicht, sagt sie. Die Gesundheit lasse es wohl nicht zu. Sie schickt ein Bild aus Herzlia. Im Arm hält sie ihre Urenkelin Shay. Die Kleine erlebt ihren ersten Krieg. Sie ist jetzt ein halbes Jahr alt.

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