
© Stefan Milk
Ersatz für Erdöl erfunden: Kamener Firma testet neues Produkt erfolgreich
Wirtschaft in Kamen
Durch ein partielles Rohstoff-Embargo auf Erdöl soll Russland mit Blick auf den Ukraine-Krieg geschwächt werden. Ein Kamener Unternehmen ist Teil der Lösung sein, Mineralöl zu ersetzen.
Wie ist ein Verzicht auf Erdöl, Steinkohle und Erdgas aus Russland möglich? Das ist die Frage, die Wirtschaft, Politik und auch jeden Bürger beschäftigt, seitdem der Angriffskrieg Russlands auf die Ukraine Tag für Tag neue furchtbare Nachrichten liefert. Und ein erster, kleiner Schritt ist beim Verzicht auf russisches Erdöl durch ein partielles Embargo gemacht.
Einen Teil der Lösung, dieses zu ersetzen, bietet ein Unternehmen aus Kamen an, genauer: die Firma „Fluid Competence“ aus Heeren-Werve. Diese hat eine spezielle Hydraulikflüssigkeit entwickelt, eine Art Bio-Öl, das in großen Maschinen eingesetzt wird und Mineralöl ersetzen kann. Die Hoffnung: Das Produkt wird in Zukunft mehr und mehr eingesetzt.
Jetzt gab es eine große Feuertaufe: Die Erfindung aus Kamen wurde mit einer durchzugskräftigen Tunnelbohrmaschine auf einer Großbaustelle in Burscheid bei Leverkusen eingesetzt – bei der Bohrung des Tunnels für eine Gasleitung unter der Landstraße (L58).

Eine Maschine, die ihre Arbeit mit einer in Kamen entwickeltem Spezial-Öl verrichtete: Zum Ende des Projektes in Burscheid bei Leverkusen wurde der an die Tagesoberfläche durchbrechende Bohrkopf mit Hilfe eines tonnenschweren Krans gesichert, aus dem Endloch gehoben und zum Abtransport vorbereitet. © Volker Wiciok
200 Tonnen Gewicht mit Spezial-Öl aus Kamen gestemmt
Bei der schweren Maschine handelt es sich um eine sogenannte Vortriebsmaschine des Herstellers Herrenknecht, die nicht nur einen ca. 96 Meter langen Tunnel bohrte, sondern auch gleich die Rohre setzte, die pro Meter zwei Tonnen auf auf die Waage bringen.
„Insgesamt haben wir 200 Tonnen Gewicht eingebaut“, berichtet Michele Rossi von der Firma SaarGrundbau aus Saarbrücken. „Dabei haben wir unsere Produkte auf Fluid Competence umgestellt, die einen grünen Fußabdruck hinterlassen.“ Sprich: Die Maschine, eine AVN 1200 C, stemmte die schweren Materialien mithilfe des Spezial-Öls aus Kamen. Auf der Baustelle, die sich in einem Wasserschutzgebiet befindet, habe man mit der Flüssigkeit aus Kamen keine negativen Einflüsse gegenüber herkömmlichen Ölen festgestellt, so Rossi, der den Baustelleneinsatz als erfolgreich bewertete.

Bei dem Gastrassen-Projekt in Leverkusen überwand der Bohrkopf einen Höhenunterschied von 31,40 Metern. Bedingt durch die extreme Steigung waren unglaubliche Kräfte notwendig, die mit dem in Kamen erfundenen Hydrauliköl gemeistert wurden. © Volker Wiciok
Künstlich erzeugtes Hydrauliköl aus Kamen als Ersatzstoff
Wenn derlei Vortriebsmaschinen oder Bagger, Kräne und Hebebühnen ihre Arbeit verrichten, benötigen sie durchzugskräftige Hydraulikzylinder, um ihre Kraft zu entfesseln. Wenn in ihnen das künstlich erzeugte Hydrauliköl aus Kamen verwendet wird, könnte dabei ein Großteil des bisher benötigten Mineralöls ersetzt werden. Bundesweit werden jährlich etwa 150.000 Tonnen Hydrauliköl benötigt.
„Bis zu 130.000 Tonnen könnten wir ersetzen“, sagt Dieter Mantwill, der als Chef der jungen Firma die Entwicklung weiter vorantreibt. Der Bergbau-Ingenieur hat mit seinem kleinen Team, das an der Wideystraße 36 an neuen Ersatzstoffen für Mineralöl tüftelt, bereits international agierende Konzerne wie Thyssenkrupp und Bosch-Rexroth überzeugt. Jetzt kam die Flüssigkeit erstmals in einer Herrenknecht-Maschine der Saarbrücker Baufirma zum Einsatz. „Wir haben festgestellt, dass es mittlerweile eine Menge Unternehmer gibt, die darüber nachdenken, Öl zu substituieren“, sagt Volker Bremer, Sprecher von Fluid Competence.
Der Wunsch, fossile Betriebsstoffe zu ersetzen
Die Erfindung aus dem Kamener Labor gewinnt durch die vom Krieg beschleunigte Verknappung an Rohstoffen an zusätzlicher Bedeutung. Antrieb für Entwicklung war die Krise aber nicht, sondern der Wunsch, fossile Betriebsstoffe zu ersetzen. Die in Kamen hergestellte Flüssigkeit ist nahezu zu 100 Prozent biologisch abbaubar. „Theoretisch könnte man unsere Flüssigkeit trinken“, sagt Mantwill.
Falls irgendwo eine Havarie entsteht, soll im Gegensatz zu Mineralöl kein Schaden entstehen. Mantwill: „Die Flüssigkeit kann in Klärwerken verarbeitet werden.“
Auch Rossi war nach der Arbeit überzeugt. „Für unsere Arbeit auf Baustellen in naturnahen Räumen ist es wichtig, sich auch auf die Leistungsfähigkeit der Betriebsflüssigkeiten in unseren Maschinen verlassen zu können. An den Hydraulikflüssigkeiten der Fluid Competence schätzen wir zusätzlich die Eigenschaften der biologischen Abbaubarkeit sowie die Steigerung des Arbeits- und Gesundheitsschutzes bei der Verwendung und im Umgang durch unsere Mitarbeiter.“
Weitere Einsätze in weitaus größer dimensionierten Maschinen
„Es handelte sich hier um einen erfolgreichen und anspruchsvollen Praxiseinsatz. Diesem Einsatz werden weitere Einsätze in weitaus größer dimensionierten Maschinen mit höheren Bohrdurchmessern folgen“, ist Mantwill nun überzeugt. Seine Produkte mit unterschiedlichen Eigenschaften tragen Namen wie Lubesave, Freezesave und Corsave. „Es gibt keinen Grund mehr, dass man einen Gabelstapler, Holzspalter, eine Hebebühne oder einen Lkw noch mit Öl befüllt. Die Frage ist: Wieviel Zeit haben wir?“
Jahrgang 1968, aufgewachsen in mehreren Heimaten in der Spannbreite zwischen Nettelkamp (290 Einwohner) und Berlin (3,5 Mio. Einwohner). Mit 15 Jahren erste Texte für den Lokalsport, noch vor dem Führerschein-Alter ab 1985 als freier Mitarbeiter radelnd unterwegs für Holzwickede, Fröndenberg und Unna. Ab 1990 Volontariat, dann Redakteur der Mantelredaktion und nebenbei Studium der Journalistik in Dortmund. Seit 2001 in Kamen. Immer im Such- und Erzählmodus für spannende Geschichten.
