
Die Zeit des Handelns ist gekommen, Bürgermeister Tesche und Landrat Klimpel. Die Enthüllungen unserer Redaktion über die Fehleinschätzungen beim Rettungseinsatz nach dem Zugunglück vom Februar 2023 und dem, was danach geschah, lassen keinen Spielraum. Wenn Landrat und Bürgermeister jetzt nicht sofort energisch einschreiten, machen sie sich selbst angreifbar.
Dabei sollten wir zwei Dinge deutlich auseinander halten. Da ist zunächst der Rettungseinsatz. 90 Minuten dauerte es, bis nach dem Zusammenprall mit einem Güterzug zwei Kinder überhaupt gefunden wurden. Allem Anschein nach stand der Rettungseinsatz sogar vor dem Abbruch. Was in diesem Fall geschehen wäre, mag ich mir gar nicht vorstellen.
So etwas darf einfach nicht passieren. Da sind fatale Fehler gemacht worden, das dürfte unbestreitbar sein, aber: So schlimm diese Fehler auch sind, sollten wir bedenken, dass überall Fehler passieren. Die Folgen von Fehlern sind nicht überall gleich. Wenn ein Bäcker einen Fehler macht, sind vielleicht ein paar Brötchen verbrannt. Ärgerlich, aber verkraftbar. Wenn Rettungskräfte Fehler machen, kann das tödliche Folgen haben.
Das zu sagen, gehört der Fairness halber dazu. So schwer die Fehler beim Rettungseinsatz in Recklinghausen auch waren, sie selbst sind kein Grund, den Stab über alle Beteiligten zu brechen. Kritisch wird es erst bei der Art und Weise, wie mit den Fehlern umgegangen wird.
Richtig wäre es gewesen, nach dem Einsatz eine Analyse vorzunehmen. Alle Fehleinschätzungen hätten auf den Tisch gehört: Was ist falsch gelaufen? Was fehlte am Einsatzort, an Personal, an Material, an Plänen, was müssen wir künftig anders machen?
So eine Aufbereitung muss schonungslos sein, sonst lernt man nicht aus Fehlern. Im Fall des Zugunglücks aber hat es sie nicht wirklich gegeben. Im Gegenteil. Notarzt Dr. Segbers hatte von Anfang an die aus seiner Sicht bei dem Einsatz gemachten Fehler und Versäumnisse benannt. Viel später hatte er sie in einer Dienstaufsichtsbeschwerde gegen die Verantwortlichen Schild, Grunwald und Weber - nicht gegen die Feuerwehrleute - zusammengefasst. Doch diesen kritischen Menschen, den hat man gar nicht zur Nachbesprechung eingeladen.
Da blieb man lieber unter sich und zog sogar noch über den Kritiker her. Kein Unternehmen kann sich eine solche fehlende Fehlerkultur leisten. Und die Feuerwehr kann das auch nicht. Die Verantwortung dafür tragen der Chef der Feuerwehr und sein Vorgesetzter, der Beigeordnete in der Stadtverwaltung.
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Doch es blieb ja nicht beim Ignorieren des kritischen Notarztes, sondern die Feuerwehrspitze setzte ihn auch unter Druck. Man versuchte, ihn bei seinem Arbeitgeber schlecht zu machen. Erfolglos.
Da die Versuche scheiterten, ihn mit Unterstützung des Arbeitgebers kaltzustellen, eskalierte die Lage mit absurden und gefährlichen Folgen. Der Feuerwehrchef ordnete mit Zustimmung des Leiters der Kreisleitstelle an: Ist Dr. Segbers im Dienst, soll er wegen eines Brandes, eines Unfalls oder einer anderen Katastrophe nicht alarmiert werden. Wird er doch zum Unglücksort geschickt, weil er am nächsten dran ist, soll ein zweiter Notarzt, notfalls aus einer Nachbarstadt, zusätzlich alarmiert werden.
Das heißt: Zwei Notärzte werden zu einem Einsatz geschickt, obwohl das aus medizinischen Gründen unnötig ist. Einer dieser Notärzte steht dann nicht zur Verfügung, wenn an anderer Stelle ein Alarm losgeht und dringend ärztliche Hilfe benötigt wird. Das kann man nur als Versuch einstufen, Dr. Segbers zu schikanieren, denn: Einen medizinisch-fachlichen Grund kann es für eine solche Anweisung nicht geben, da Segbers in medizinischen Notfällen (Herzinfarkt, Schlaganfall etc.) problemlos eingesetzt werden darf.
Ähnlich abstrus ist das vom Feuerwehr-Chef gegen Segbers ausgesprochene Betretungsverbot für die Feuer- und Rettungswache. Der Fahrer muss, wenn er Material aus der Wache holen muss, zusätzliche Umwege fahren, sofern Dr. Segbers in Dienst ist. In dieser Zeit soll er sich in der Leitstelle als „nicht einsatzbereit“ abmelden.
All diese Schikanen sind nicht nur menschlich schäbig gegenüber dem Notarzt, sondern aus professioneller Sicht auch ungeheuerlich. Diese Anweisungen haben zur Folge, dass die notärztliche Versorgung in Recklinghausen und Umgebung zu bestimmten Zeiten schlechter ist als sie sein könnte, und das aus einem einzigen Grund: Weil es persönliche Differenzen zwischen der Führung der Feuerwehr sowie der Kreisleitstelle und einem kritischen Notarzt gibt. Sie nehmen für diesen Kleinkrieg Risiken für die notärztliche Versorgung der Region bewusst in Kauf.
Das ist in jeder Hinsicht inakzeptabel und muss sofort gestoppt werden. Daher sollte Bürgermeister Tesche Feuerwehr-Chef Thorsten Schild und den Ersten Beigeordneten Ekkehard Grunwald bis zur restlosen Klärung der im Raum stehenden Vorwürfe von ihren Aufgaben freistellen. In gleicher Weise sollte Landrat Klimpel gegen den Leiter der Kreisleitstelle, Oliver Weber, vorgehen.
Unterlassen Bürgermeister und Landrat diesen Schritt, setzen sie sich der Gefahr aus, selbst in die Kritik zu geraten. Dann müsste man sich fragen: War all das, was hier geschieht, den beiden bekannt, haben sie es vielleicht sogar toleriert? Dann hätte der Fall eine noch größere Dimension.
Hinweise der Redaktion: Dieser Artikel erschien bereits am 7. März 2024.