Verbrechen der Nazis im April 1945 SS ermordet Verschwörer aus dem Kreis Unna

Vor 80 Jahren: SS ermordet Mitwisser des Hitler-Attentats aus Fröndenberg
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Man möchte sich nicht vorstellen, welche Gedanken diese 16 gefesselten Männer, begleitet von einem SS-Sonderkommando, in der Nacht des 23. April 1945 geplagt haben: Unter einem Vorwand aus einem Gefängnis abgeholt und nach einem kurzen Marsch durch die Bombenkrater von Berlin, ermordete man die Widerstandskämpfer, unter ihnen Wilhelm zur Nieden aus Fröndenberg, in einem Hinterhof.

Was fanatische Nationalsozialisten im Angesicht des untergehenden „Dritten Reiches“ noch an perfiden Untaten begangen, löst bis heute Bestürzung aus: Eine dieser heute „Endphaseverbrechen“ genannten Mordaktionen traf vor nunmehr genau 80 Jahren, nur knapp zwei Wochen vor der Kapitulation Deutschlands, einen Mitwisser des Attentats vom 20. Juli 1944.

Goerdeler weiht zur Nieden in Attentatspläne ein

Oft wird eine niederträchtige Drohung von Nazis gegen Oppositionelle, Gefangene und KZ-Häftlinge aus den letzten Wochen der Hitler-Diktatur sinngemäß zitiert: „Wenn wir untergehen, nehmen wir euch mit.“ Wilhelm zur Nieden, Vertrauter des ungleich prominenteren Carl-Friedrich Goerdeler wurde Opfer dieses Fluches, weil es willfährige SS-Schergen so wollten.

Der 1878 in Fröndenberg geborene zur Nieden hatte in seiner Zeit als Generaldirektor der Stadtwerke in Leipzig in den frühen 1930er-Jahren den damaligen Oberbürgermeister Goerdeler kennengelernt. Die Wege trennten sich zunächst. Nach einem ersten Gespräch am 30. Dezember 1943 konnte Goerdeler den erfahrenen Verwaltungsfachmann zur Nieden, der zunächst abgelehnt hatte, in mehreren konspirativen Treffen für die leitende Mitarbeit in einer Reichsregierung nach einem erfolgreichen Attentat auf Hitler gewinnen.

Bildmontage mit dem Fröndenberger Wilhelm zur Nieden und seiner Schwester Else.
Wilhelm zur Nieden und seine Schwester Else, der gebürtige Fröndenberger und Widerstandskämpfer gegen Hitler wurde als Mitwisser des Attentats vom 20. Juli 1944 zum Tode verurteilt und in der Nacht auf den 23. April 1945 von einem SS-Sonderkommando ermordet. © privat

Die Geschichte ist bekannt, das Attentat misslang und das Nazi-Regime rächte sich an den Beteiligten des Umsturzversuches. Einen Monat nach dem gescheiterten Anschlag auf Hitler spürte die Gestapo Wilhelm zur Nieden in Mecklenburg auf – es war wie ein vorweggenommenes Todesurteil.

Bormann berichtet über zur Nieden

Zur Nieden, der laut seinem Biograph Uwe Wehnert offenbar keinen Plan B hatte und nicht wusste, wo er hätte unterschlüpfen können, wurde eine der den Ermittlern in die Hände gefallenen vielen Kabinettslisten zum Verhängnis, die Goerdeler für den Fall der Regierungsübernahme angefertigt hatte und auf denen auch zur Niedens Name stand.

Von den Verhören zur Niedens durch die Polizei sind keine Niederschriften erhalten. Allerdings geht indirekt aus einem Bericht des Hitler-Sekretärs Martin Bormann an den Chef des Reichssicherheitshauptamtes Ernst Kaltenbrunner hervor, dass der Fröndenberger versuchte, sich von einem Attentat auf Hitler zu distanzieren.

Uwe Wehnert hält seine Biografie über den Fröndenberger Widerstandskämpfer Wilhelm zur Nieden in den Händen.
Uwe Wehnert hat eine Biografie über den Fröndenberger Widerstandskämpfer Wilhelm zur Nieden geschrieben. Das Buch ist in einer Reihe der Gedenkstätte Deutscher Widerstand veröffentlicht worden. © Montage: Martin Klose

„Mit besonderem Pathos“, schreibt Bormann, habe sich zur Nieden in seiner Vernehmung gegen einen tödlichen Anschlag ausgesprochen. Der Hitler-Vertraute spricht abfällig von einem großen Kreis „von Heuchlern mit der moralischen, meist christlichen Maske“.

Tatsächlich war Wilhelm zur Nieden, dessen Großvater Pfarrer in Fröndenberg gewesen war, gläubiger Christ und gehörte Zeit seines Lebens als politisch neutraler Beamter, wie er sich sah, keiner Partei an. Bereits im Oktober 1933 hatte ihn die NSDAP in Leipzig in seiner Funktion als Technischer Bürgermeister abgesetzt.

Freisler verurteilt Fröndenberger zum Tode

Vor dem Volksgerichtshof stand Wilhelm zur Nieden denn auch auf verlorenem Posten. Der zentrale Vorwurf an den Angeklagten lautete Hochverrat. In einem kurzen Prozess am 18. und 19. Januar 1945 verurteilte ihn das Gericht unter seinem berüchtigten Vorsitzenden Roland Freisler zum Tode.

Besonders schwer fiel laut der erhalten gebliebenen Urteilsbegründung ins Gewicht, dass zur Nieden von einem gewaltsamen Vorgehen gegen Hitler gewusst und dieses Wissen von den Attentatsplänen nicht bei der Polizei angezeigt habe. Er habe damit „dem Verrat sein weiteres Reifen ermöglicht“, heißt es wörtlich im Urteil.

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Zweiter Verschwörer am Hitler-Attentat aus Schwerte

  • Ein weiterer Mitwisser des Attentats vom 20. Juli 1944 auf Hitler, der aus dem heutigen Kreis Unna stammte, ist Ulrich Sporleder.
  • Sporleder wurde am 7. Juli 1911 in Schwerte geboren, war evangelischer Geistlicher, Pfarrer der Bekennenden Kirche, Offizier und gehörte dem militärischen Widerstand gegen den Nationalsozialismus an.
  • Am 20. Juli nahm Sporleders Abteilung mit ihren schweren Panzerjägern über das KZ Majdanek Kurs auf das Stadtzentrum von Lublin. In der Stadt wurden Befehlsstellen von SS und Wehrmacht von Sporleders Einheit besetzt. Von dort erging in der Folge der Befehl zur Entlassung der letzten Häftlinge aus dem KZ Majdanek.
  • Welche Rolle Sporleder dabei zukam, ist unbekannt, da die unter dem Datum vom 19. bis 25. Juli verzeichneten Einträge des Kriegstagebuches, wohl in der Folge des 20. Juli, vernichtet wurden. Sporleder wählte nach Angaben eines Augenzeugen am 23./24. Juli 1944 in aussichtsloser Lage gemeinsam mit fünf weiteren Offizieren den Freitod.

(Quelle: Wikipedia)

Die Kriegswirren im allmählich vollständig von russischen Soldaten umstellten Berlin zögerten den Tod zur Niedens noch wenige Monate hinaus. Mitte April schöpften er und weitere Verurteilte Hoffnung: Ein Gestapo-Beamter hatte zur Niedens Schwestern mitgeteilt: „Todesurteile sollen nicht mehr vollstreckt werden.“

Es kam anders. Kurz vor Mitternacht am 22. April 1945 wurden die Gefangenen von einem SS-Sonderkommando aus dem Lehrter Zellengefängnis in Berlin-Moabit herausgeholt mit den Worten: „Ihr werdet verlegt. Wer einen Fluchtversuch macht, wird erschossen.“ Diese Worte konnte ein zufällig überlebender Häftling aus der Gruppe später schildern. Einen Fluchtversuch unternahm weder Wilhelm zur Nieden noch einer der anderen: Man schoss den arglosen Männern auf dem Gelände eines zertrümmerten ehemaligen Vergnügungsparks hinterrücks ins Genick.