Der Berliner Koalitionsvertrag von CDU/CSU und SPD ist geschmiedet. Auch die Städte und Gemeinden kommen darin vor: Auch der Bund will sich an der Entschuldung der Kommunen beteiligen. Im Kreis Unna sitzt der Nerv allerdings viel tiefer: Man vermisst eine grundlegend bessere Finanzausstattung.
Etliche Städte zwischen Selm und Schwerte tragen schon bald seit Jahrzehnten Schulden vor sich her, die sie nicht abbauen können: Mitte 2023 hatten alle zehn Kommunen einmal von 427 Millionen Euro im Dispo gesprochen.
Nach der angekündigten Hilfe der Landesregierung hatten die kommunalen Kämmerer auch auf eine Beteiligung des Bundes gehofft – die soll nun zumindest kommen.
Kommunen wollen mehr als Übernahme ihrer Schulden
Der bald 150 Seiten lange Koalitionsvertrag, der am Mittwoch (9.4.) veröffentlicht worden ist, sagt zur Entschuldung der Kommunen Folgendes:
- Zur Lösung der kommunalen Altschuldenproblematik wird sich der Bund in dieser Legislatur mit 250 Millionen Euro pro Jahr an Maßnahmen der Länder, die ihre Kommunen durch eine landesseitige Übernahme übermäßiger Kassenkredite entlasten, finanziell zur Hälfte beteiligen.
Praktisch geholfen wird damit vor allem den besonders stark verschuldeten Kommunen in NRW, in Rheinland-Pfalz und im Saarland. „Reichere“ Bundesländer bekommen daher einen Ausgleich vom Bund. „Das ist der Deal“, sagte dazu der heimische SPD-Bundestagsabgeordnete Oliver Kaczmarek im Gespräch mit unserer Redaktion.

Kaczmarek räumte ein, dass die Vereinbarung der Bundesregierung in spe „konkreter als der Entwurf der Ampelkoalition ist“. Letztlich gehe es um die notwendige Entschuldung. „Den Kommunen ist egal, woher das Geld kommt“, so Kaczmarek.
Allerdings erwarten die Kommunen im Kreis Unna nicht nur eine Entschuldung, sondern durch die Bank auch eine strukturell bessere finanzielle Ausstattung, wie eine Umfrage noch vor Abschluss der Koalitionsverhandlungen zeigt.
Kein Blatt vor den Mund nimmt Kämmerer Andreas Heinrich von der Gemeinde Holzwickede. Die schon vor einigen Wochen verkündeten Pläne der Landesregierung, die kommunalen Altschulden anteilig übernehmen will, finde er zwar gut. „Dies kann aber nicht alles sein“, so Heinrich.
Kassenkredite für laufende Ausgaben, um die es bei der Frage der Entschuldung geht, habe Holzwickede aktuell keine. Nicht gemeint sind übrigens Kredite für Investitionen, für die ein bilanzieller Gegenwert geschaffen wird. Die Kommunen, so Heinrich, würden aber auch anderweitig immer stärker finanziell belastet.
„Den Kommunen geht aktuell das Geld aus und wir bekommen immer mehr Aufgabe auferlegt. Es muss wieder zurück auf ein ,Wer bestellt, bezahlt‘“, fordert der Finanzchef im Rathaus der Gemeinde. Auch diese „Konnexität“ will die neue Bundesregierung laut Koalitionsvertrag künftig beachten.
Auf den Punkt bringt es exemplarisch ein Statement der Gemeinde Bönen. Nachhaltig sei eine Schuldenlösung nur, wenn die Kommunen künftig auch ausgeglichene Haushalte aufstellen könnten.
„Anderenfalls werden zukünftig neue Verbindlichkeiten in erheblicher Höhe aufgebaut“, heißt es aus dem Rathaus in Bönen. Altschulden, also aufgehäufte Verbindlichkeiten aus Liquiditätskrediten, hat die Gemeinde aktuell keine.
Lünen mit fast 2.800 Euro pro Kopf verschuldet
Wie hoch sich die Altschulden vor Ort schon aufgetürmt haben, zeigt dagegen das Beispiel der Stadt Lünen anschaulich. Die größte Kommune im Kreis Unna hat derzeit einen Bestand an Liquiditätskrediten von rund 240 Millionen Euro.
Dies entspricht einer Pro-Kopf-Verschuldung von rund 2.745 Euro in der 86.000-Einwohner-Stadt. „Wenn man Lünen nun auf maximal 1.500 Euro je Einwohner (...) ,herunterdrücken wollte‘, müsste man Lünen rund 85 Millionen Euro an Schulden aus Liquiditätskrediten abnehmen“, hat Beigeordneter und Stadtkämmerer Dr. André Jethon errechnet. Dadurch hätte man zudem einen jährlicher Zinsvorteil in Höhe von rund 2 Millionen Euro.
So will das Land NRW die Kommunen entschulden
- Das Land NRW hat vorgeschlagen, ab dem Haushalt 2025 über einen Zeitraum von 30 Jahren jährlich 250 Mio. Euro für eine anteilige Altschuldenlösung für die Kommunen aus eigenen Mitteln zur Verfügung zu stellen.
- Maßgeblicher Stichtag für die Betrachtung der Altschulden ist der 31. Dezember 2023. Zu diesem Stichtag belief sich der Stand der hier in Rede stehenden Liquiditätskredite der Kommunen in NRW auf rund 20,9 Milliarden Euro.
- Die Teilnahme an dem Landesprogramm soll für die Kommunen freiwillig sein. Als „übermäßig“ im Sinne dieses Gesetzes gilt der Bestand von Verbindlichkeiten zur Liquiditätssicherung in einer Kommune dann, wenn dieser eine Pro-Kopf-Verschuldung von 100 Euro je Einwohnerin und Einwohner übersteigt.
- Der Antrag auf Teilnahme an dem Entschuldungsprogramm wird bei der landeseigenen Förderbank, der NRW.BANK, gestellt. Das für Finanzministerium löst dann die Verbindlichkeiten bis spätestens zum 31. Dezember 2026 bei den Gläubigerinnen und Gläubigern der teilnehmenden Kommunen ab.
Diese erste, grobe Berechnung stehe aber noch unter Vorbehalt. Denn die kommunale Familie, so Jethon, könne rechnerisch bislang noch nicht nachzuvollziehen, wie das Land zugleich die Hälfte der „übermäßigen“ Schulden der Kommunen übernehmen und dabei mit 250 Millionen Euro jährlich auskommen wolle.
Die neue Bundesregierung will in ihrer vier Jahre dauernden Amtsperiode insgesamt 1 Milliarde Euro für mehrere Bundesländer geben – auch insofern wird also zu fragen sein, wie weit man mit dem Geld aus Berlin kommt.
„Mehrzahl der Kommunen rutscht in Haushaltssicherung“
Die geplante anteilige Entschuldung durch das Land wird auch bei der Stadt Unna begrüßt. Man werde beim Land Anträge auf anteilige Entschuldung stellen. In der Kreisstadt hatte man zudem bekräftigt, „dass es dringend einer Einbeziehung des Bundes bei der Frage der kommunalen Altschulden bedarf.“
Die Stadt Fröndenberg hat keine eigenen Kassenkredite. Dennoch, teilt Kämmerer Heinz-Günter Freck mit, sehe er in der vom Land eingeleiteten Altschuldenregelung „ein positives Signal“ an die hochverschuldeten Städte und Gemeinden.
Freck malt trotzdem ein schwarzes Bild. „Leider ist sie angesichts der insgesamt bestehenden finanziellen Probleme unzureichend und wird nicht verhindern können, dass die Mehrzahl aller Kommunen im Land in den nächsten Jahren in die Haushaltssicherung abdriftet.“
Um nachhaltig und wirkungsvoll zu helfen, werde das Land „seine Verweigerungshaltung aufgeben und die Gelder für den kommunalen Finanzausgleich deutlich aufstocken müssen“, verlangt Fröndenbergs Finanzchef. Nur dann hätten die Kommunen eine echte Chance, ihre Haushalte wieder in den Griff zu kriegen. Bleibe die Altschuldenregelung dagegen eine Einzelmaßnahme, so wirke sie am Ende nur kurzfristig und beseitige nicht die Ursache der allgemeinen Notlage der kommunalen Haushalte.