Ein Jahr nach dem Zugunglück in Recklinghausen Wie geht es Familie El-Jaddouh?

Ein Jahr nach dem Zugunglück: Wie geht es Familie El-Jaddouh?
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An diesem Freitag, 2. Februar, erlebt Recklinghausen einen traurigen Jahrestag: Vor einem Jahr, am Abend des 2. Februar 2023, ereignete sich nahe dem Ostbahnhof ein tragischer Unfall, bei dem zwei Kinder von einem Güterzug erfasst wurden. Ein zehnjähriger Junge verlor bei dem Unglück sein Leben; sein damals neun Jahre alter Freund Amir überlebte mit schwersten Verletzungen, schwebte in der Nacht nach dem Unglück sogar in Lebensgefahr.

Die Diagnose im Februar vergangenen Jahres: eine Fraktur des Corpus callosum, der Hirnregion, die die rechte und linke Gehirnhälfte miteinander verbindet. Amir konnte anfangs weder sprechen noch selbstständig essen. Die Ärzte mutmaßten nach einer ersten Notoperation, dass diese einfachen Handlungen für den Grundschüler wahrscheinlich nie wieder möglich seien, erzählt sein Vater Fadi El-Jaddouh.

Die verunfallte Lok auf den Gleisen nahe dem Ostbahnhof in Recklinghausen
Die zwei Kinder wurden zwischen Bahnübergang Hubertusstraße und dem ehemaligen Bahnhof Ost am Dahlienweg von einem Güterzug erfasst. Am Tag nach dem Unglück stand die Lok noch immer auf den Gleisen. © Jörg Gutzeit

Auf drei Monate Reha folgten im Mai ambulante Therapiemaßnahmen und die Wiedereingliederung in die Schule. Damals hatte unsere Redaktion Familie El-Jaddouh zu Hause besucht. Und schon dort hatte sich gezeigt: Amir hatte mehrere Schutzengel an seiner Seite. Bis auf eine große Narbe am Hinterkopf erinnerte äußerlich nichts an den Unfall, aber der Grundschüler kämpfte damals noch mit einigen physischen und psychischen Folgen.

Anlässlich des ersten Jahrestags haben wir uns erneut mit Amir und seinem Vater Fadi El-Jaddouh getroffen. Amir ist gewachsen, hat mittlerweile seinen 10. Geburtstag gefeiert und läuft aufgeweckt über das Firmengelände seines Vaters, an dem das Treffen mit unserer Redaktion stattfindet. „Ja, mir geht’s soweit gut“, antwortet er auf die Frage nach seinem Befinden und lächelt.

Seit dem Unfall auf einem Ohr taub

Zur Schule geht er wieder Vollzeit, aber seine Noten hätten sich durch den langen Ausfall verschlechtert, erzählt der Viertklässler. „Ich muss mehr lernen, damit meine Noten wieder besser werden.“

Aber noch müsse er häufig zum Arzt und verschiedene Therapiemaßnahmen besuchen. Ein Mal die Woche fährt Amir mit seiner Mama zur Ergotherapie und Logopädie, bis Mai müsse er noch Medikamente nehmen. Und ihm werde bald ein Hörgerät eingesetzt, berichtet Fadi El-Jaddouh. Durch den Unfall sei Amir auf einem Ohr taub, eine große Narbe hinter seinem Ohr deutet auf den Schaden hin, den sein Gehör genommen hat.

„Ich weiß gar nicht mehr, wie man mit zwei Ohren hört. Aber es fühlt sich immer noch so an, als wenn ich auf beiden Ohren hören könnte“, erklärt Amir.

Amir El-Jaddouh steht auf einem Stapel Reifen auf dem Firmengelände seines Vaters an der Castroper Straße in Recklinghausen
Amir hat sein Lächeln nicht verloren. Der Zehnjährige sagt selbst, es gehe ihm gut. © Jörg Gutzeit

Dankbar für Hilfe Gottes und der Ärzte

Dass der Zehnjährige wahnsinniges Glück hatte, davon ist auch sein Vater Fadi El-Jaddouh nach wie vor überzeugt. „Allah, also Gott, hat ihn an dem Abend beschützt, als die Rettungskräfte nach ihm gesucht haben“, sagt der vierfache Vater immer wieder. Sein Glaube habe ihm in all der Zeit Kraft gegeben, aber das vergangene Jahr hat seine Spuren an dem Recklinghäuser hinterlassen. Er sei krank geworden, auch während unseres Gesprächs ringt Fadi El-Jaddouh immer wieder um Fassung. Er sei dankbar, seinem Gott und den Ärzten, dass sein Sohn noch am Leben ist.

Aber Amir habe sich durch den Unfall verändert, habe an Fröhlichkeit und Leichtigkeit eingebüßt, sagt er. Dass der Unfall etwas mit ihm gemacht hat, das merke Amir El-Jaddouh auch selber. „Ich habe mich verändert, aber wie, weiß ich nicht“, versucht er zu erklären.

Fadi und Amir El-Jaddouh stehen auf einem Firmengelände an der Castroper Straße in Recklinghausen
Fadi El-Jaddouh ist froh, dass sein Sohn Amir noch am Leben ist. Für ihn sei das ein Geschenk des Himmels. © Jörg Gutzeit

Kontakt zum Vater des verstorbenen Freunds

Auch Fußballspielen, sein Hobby und Berufswunsch, falle ihm nicht mehr so leicht. Aus dem Verein habe er sich abmelden müssen, zu groß seien die Schmerzen im Fuß, wenn er lange rennt. Aber im Gegensatz zum vergangenen Mai dürfe er immerhin wieder den Bolzplatz auf dem Schulhof stürmen.

Mit dem Vater von Amirs verstorbenen Freund stehe Fadi El-Jaddouh nach wie vor in Kontakt. Er habe ihn, so erzählt er, nach dem Unglück immer wieder besucht. Für den Zehnjährigen kam am Abend des 2. Februar 2023 jede Hilfe zu spät. Wie genau es damals zu dem Unfall kommen konnte, bleibt unklar. Die Polizei stuft den Vorfall als ein tragisches Unglück ein. Der Zugführer war bei dem Zusammenstoß zumindest körperlich unverletzt geblieben, musste aber psychologisch behandelt werden.

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