Der ehemalige Botschafter der Ukraine in Deutschland, Andrij Melnyk, hat den Westen zu mehr diplomatischen Bemühungen aufgerufen. „Eine strategische diplomatische Initiative müsste versuchen, Putin herauszufordern und dabei auch den globalen Süden stärker einzubinden“, sagte der heutige ukrainische Botschafter in Brasilien dem Sender ntv. Die Großmächte, darunter auch Deutschland, seien aufgefordert, nicht abzuwarten, wie die „große Schlacht“ ausgehe, sondern selbst aktiv zu werden.
„Da reicht es sicherlich nicht für Olaf Scholz, Putin anzurufen, sich seine Märchen und Lügen anzuhören, um danach zu sagen: Okay, ich habe es zumindest versucht, das macht gar keinen Sinn, das tue ich mir lieber nicht mehr an“, sagte der Diplomat. Stattdessen brauche es eine ausgeklügelte Strategie, die eng mit der Ukraine abgestimmt werden müsste. Man dürfe sich nicht auf faule Kompromisse wie beim Minsker Abkommen einlassen. Das Abkommen hatten europäische Staaten mit dem russischen Präsidenten Wladimir Putin 2014 nach der Annexion der Krim ausgehandelt.
Melnyk sieht beidseitig ein Interesse an Verhandlungen: Zum einen habe der ukrainische Präsident Wolodymyr Selenskyj eine Friedensformel ins Spiel gebracht, auf der man eine Initiative aufbauen könnte. Zum anderen lese man fast jeden Tag, dass Putin über Vermittler Signale aussende, dass er zu Gesprächen bereit sei. Ein Gespräch könne Wunder bewirken. „Ich würde mir wünschen, dass man jetzt auch die diplomatischen Knüppel rausholt“, betonte Melnyk.
Treffen zwischen Scholz und Putin nicht ausgeschlossen
Bei einer möglichen Friedensinitiative sollen nach dem Willen des Botschafters neben dem Westen auch Akteure des globalen Südens eingebunden werden. Dazu zähle möglicherweise Brasilien, wo er aktuell arbeitet, vor allem aber China. „Im Moment ist Peking in all die Gespräche nicht wirklich eingebunden, bei denen ohne Beteiligung Russlands derzeit über ein mögliches Ende des Krieges gesprochen wird“, beklagte Melnyk.
Auf Nachfrage schloss der Diplomat auch nicht aus, dass ein Treffen zwischen Putin und Bundeskanzler Olaf Scholz sinnvoll sein könnte. „Man muss ihn vielleicht nicht gerade nach Deutschland für ein Bier einladen oder selbst nach Moskau fliegen. Aber auch im Kalten Krieg gab es Treffen.“ Es gehe darum, triftige Argumente zu finden, die Putin verstehe. Der russische Präsident sei ein rational denkender Mensch.
Trotz aller diplomatischen Bemühungen brauche es aber auch weiter militärische und finanzielle Unterstützung. Die Hilfszahlungen der Bundesregierung seien beeindruckend, aber nicht ausreichend. „Man bräuchte dringend ein höheres Ziel: ein Prozent der Wirtschaftsleistung der EU, das wären etwa 160 Milliarden Euro pro Jahr“, forderte Melnyk. Das sei eine Menge Geld, aber andernfalls habe Putin womöglich den längeren Atem.
RND