Nur als Fragment überliefert, ist Georg Büchners „Woyzeck“ offen für Deutungen. Der „Woyzeck“ von Regisseur Markus Kopf (Samstag am Westfälischen Landestheater Castrop-Rauxel gespielt) bleibt dicht am Text, rückt den Klassiker aber per Optik und Sound in die Nähe eines Beckettschen Endspiels.
Die Studiobühne des WLT hat etwas von Postapokalypse. In ihrer Anmutung aus Bombenkrater, Schützengraben, Müllhalde hat Ausstatter Manfred Kaderk die Trostlosigkeit des Stücks schön gespiegelt: eine Grube und ein Erdwall unter schlammig grauen Planen. Plastikmüll liegt herum.
Ort für verlorene Seelen
An diesem Auffangbecken für verlorene Seelen tummeln sich die armen Teufel Woyzeck (Mike Kühne), seine Freundin Marie (Simone Schuster) und Woyzecks Militärkamerad Andres (Mario Thomanek), der wie ein behindertes Faktotum über den Boden kreucht oder sich unter Lumpen verbirgt wie ein scheues Tier.
Erde und Himmel atmen Verhängnis. Woyzeck sieht schon Gespenster, die Musik, eher der Sound ist ein dunkles Mahlen, Brodeln, Grummeln, das nichts Gutes ahnen lässt. Expressive Stimmungsmalerei bereitet der Tragik den Boden.
Ihm die Frau ausgespannt
Schlechte Welt, böse Menschen. Da ist der Doktor (Guido Thurk), der Woyzeck als Studienobjekt misshandelt. Dort der Tambourmajor in Paradeuniform (Tobias Schwieger), ein Lustmolch, der Woyzeck seine Marie ausspannt. Burghard Braun (im Gestapo-Kostüm) gibt den neurotischen Hauptmann, der den Weltekel an Woyzeck abreagiert.
Thyra Uhde (Rollenname: „Marktschreierin“) kommentiert das Geschehen und fungiert als einstimmiger „Chor“ nach Art griechischer Tragödien. Mike Kühne spielt den geschundenen, verzweifelten Woyzeck bravourös. Mimisch, stimmlich, körperlich eine absolut fordernde Rolle. Viel, viel Applaus – und verdient.

Termine: am WLT erst 23. / 24. 4.2023; Karten: Tel.(02305) 97 80 20. www.westfaelisches-landestheater.de
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