Ehepaar aus Waltrop wird gleichgeschlechtlich „Uns war klar: Wir brauchen Hilfe“

Ehe wird gleichgeschlechtlich: „Uns war klar: Wir brauchen Hilfe“
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Einst hörte Anja Wachenfeld aus Waltrop auf den Namen „Sven“. Sie wurde als Junge geboren und lebte vier Jahrzehnte als Mann. Dabei unterdrückte sie Wünsche, Gefühle und die innere Gewissheit, eine Frau zu sein. Der festen Überzeugung, dass sie „das Frausein“ nicht mehr brauchte, heiratete sie Catrin Schneider.

Nach zehn gemeinsamen Ehejahren fand Schneider jedoch Frauenkleidung im gemeinsamen Heim, die ihrem Ehepartner gehören mussten. Sie informierte sich im Internet und realisierte, dass ihr Mann transident ist.

Anja Wachenfeld war gerade auf Dienstreise, als ihre Frau in einer Textnachricht schrieb, was sie gefunden hatte. „Ich habe mich in Grund und Boden geschämt. Ich sagte ihr, dass ich mich nicht mehr nach Hause traue“, erzählt die 54-Jährige. „Aber Catrin sagte: Wenn du nicht kommst, hole ich dich.“

Aussprache

Wachenfeld kehrte nach Hause zurück und das Ehepaar setzte sich zusammen. An das Gespräch erinnern sich die beiden genau.

Anja: „Du kannst mich alles fragen.“

Catrin: „Ich muss dich nichts fragen. Das passt so gut zu dir.“

Mit der Hand verdeckte Anja die Augen, während sie Catrin erzählte, was sie in ihrem Innersten bewegte.

Catrin: „Wir sind seit zwölf Jahren verheiratet. Ich habe ein Eheversprechen gegeben. In keiner Ehe weiß man, was noch kommt.“

Catrin entschied: „Ich liebe dich als Frau. Du kannst dich nicht weiter verstecken. Lebe es jetzt.“

An diesem Tag im August 2022 entschied das Paar, von Beginn an offen mit Wachenfelds Transidentität umzugehen – auch weil Catrin Schneider als Yogalehrerin arbeitet und ihre Kurse zu Hause gibt. „Wir sagten uns: Wir können das nicht verheimlichen. Wer nicht mehr kommen will, soll es lassen.“

Eine Ehe verändert sich jedoch nicht mit einem Fingerschnippen. „Uns war klar: Wir brauchen Hilfe, wir brauchen Beratung und Therapeuten“, erzählt Catrin Schneider. Anja Wachenfeld entschied sich zu einer Hormontherapie. Die Voraussetzung dafür ist eine Psychotherapie. Jede Sitzung musste mit der gleichen Frage beginnen: Bist du dir sicher, dass du eine Frau bist?

Ein Selfie von Anja Wachenfeld und Catrin Schneider
Ein Jahr nach dem Outing, im August 2023, zeigen sich Catrin Schneider (l.) und Anja Wachenfeld (r.) glücklich. © Privat

Ein weibliches Äußeres

Nach psychologischen Gutachten und Untersuchungen beim Endokrinologen durfte die 54-Jährige in die Hormontherapie starten. Testosteronblocker sollten die Arbeit der männlichen Geschlechtsorgane stark einschränken, Östrogen hingegen weibliche Geschlechtsmerkmale ausbilden. Beide Hormone wurden so auf den Stoffwechsel einer Frau eingependelt.

Was Anja Wachenfeld innerlich fühlte, wollte sie auch nach außen ausstrahlen. Der starke Bartwuchs passte nicht zu ihrem Wunsch nach einem weiblichen Äußeren. Den Bart ließ sie weglasern, ihr Kopfhaar ließ sie wachsen, auch eine neue Garderobe musste her – ein Prozess, den Catrin Schneider als spannend, aber auch herausfordernd beschreibt.

„Durch die Hormonumstellung machte Anja sowas wie eine zweite Pubertät durch. Auf den Shoppingtouren wollte sie dann wie ein Teenager jedes Glitzerkleid“, erzählt Schneider. „Dann machte sie sich Nagellack drauf und ich dachte mir: Mein Gott, was macht sie da? Es war, als hätte ich nochmal ein Kind.“

Miniröcke, hohe Schuhe, Schmuck oder Perücken: Gerade wenn Transfrauen beginnen, ihr gefühltes Geschlecht auszuleben, übertreiben sie oft extrem, findet die 57-Jährige. Aus ihrer Sicht fehlt die Sozialisation, also alles, was Mädchen als Teenager erleben. „Wenn sich Anja fertig macht, muss ich manchmal sagen: So kannst du nicht rausgehen.“

Dabei entsteht auch Druck zwischen den beiden. „Sie versucht immer, es mir ein bisschen recht zu machen, sodass ich mich mit ihrer Aufmachung wohlfühle. Ich möchte auch nicht, dass sie ausgelacht wird“, erzählt Catrin Schneider. „Gleichzeitig habe ich dann ein schlechtes Gewissen, weil ich ihr gar nicht den Raum gebe, sich einfach so zu kleiden und zu fühlen, wie sie ist.“

Trotzdem ist Anja Wachenfeld dankbar. Durch die Unterstützung ihrer Frau ist sie „weich gefallen“, wie sie es nennt. Viele Transpersonen verlieren nach dem Outing Lebenspartner, Familie oder Freunde.

Eine Montage zeigt Anja Wachenfeld vor und nach dem Outing.
Ein Vorher-Nachher-Vergleich zeigt Anja Wachenfeld: auf der linken Seite im Juli 2022, auf der rechten Seite im Januar 2024 (Montage). © Privat

Verlust und Vertrauen

Nicht nur Transpersonen, sondern auch die Angehörigen empfinden die Veränderungen als tief und weitreichend, weiß Schneider. „Alles zu verarbeiten und seine Partnerin mitzutragen, während man selbst nicht stabil ist, da brechen viele zusammen.“ Betrachtet die 57-Jährige neuere Fotos, sieht sie die leuchtenden Augen ihrer Frau. Der einstige trübsinnige Blick ist verschwunden.

„Dieser eine Teil von mir freut sich mega und unterstützt alles. Ein anderer Teil ist unfassbar verletzt“, erzählt Catrin Schneider. Das eigene Lebenskonstrukt, das sie einst für sich geplant hatte, scheint ihr wie aufgelöst. „Da kannst du alles von dir noch einmal infrage stellen. Das bringt mich an meine absolute Existenz und meine psychischen Grenzen.“

Am liebsten würde sie nur Freude über die Veränderung ihrer Frau empfinden, aber sie fühlt auch Verlust und Trauer in sich. Für die 57-Jährige ist es, als habe sie einen Teil dieses Menschen verloren. Das spürt Schneider besonders, wenn ihre Frau im Homeoffice in einer Telefonkonferenz spricht. „Die Stimme meiner Frau ist noch wie früher. Das ist für mich mein Mann, den ich oben höre. Das ist so eine Wunde, die nicht verheilt und immer wieder aufgerissen wird.“

Denkt Catrin Schneider an die gemeinsamen Jahre ihrer Ehe zurück, verletzt sie, dass Anja ihre Gefühle verheimlichte. „Ich hätte mir gewünscht, dass Anja so viel Vertrauen zu mir gehabt hätte, dass sie es mir schon am Anfang unserer Beziehung gesagt hätte. Ich hätte das mit ihr geteilt.“ Sie spürt den Vertrauensbruch und doch kann sie Verständnis dafür aufbringen, dass Wachenfeld nie darüber sprechen konnte. Erneut ist Schneider hin- und hergerissen.

Intensiv

In ihrer Zeit als „Sven“ hatte Anja Wachenfeld viel zu Hause gesessen, gelesen und nur selten soziale Kontakte gepflegt. Sie war der ruhige Fels in der Brandung. „Ich habe vorher vielleicht zwei Worte am Tag gesprochen. Wäre es nicht rausgekommen, würde ich immer noch tief in mir vergraben kämpfen“, erzählt Wachenfeld.

Seit sie als Frau lebt, ist die 54-Jährige aufgeblüht, kommunikativer und aktiver geworden. Minirock und übermäßig hohe Schuhe braucht sie aber nicht mehr. „Das, was ich allein im stillen Kämmerlein anhatte, würde ich heute nicht mehr tragen. Ich möchte jetzt mit einem eher natürlichen Aussehen als Frau gesehen werden.“

Durch die Hormontherapie ist Wachenfeld auch viel emotionaler geworden. Wenn das Paar streitet, kann sie plötzlich weinen, zickig werden oder Türen knallen. Wachenfeld erzählt: „Früher konnte ich Emotionen mal eben beiseiteschieben und mir sagen, ach, später vielleicht. Das funktioniert gar nicht mehr. Dann sagen die: Fuck off. Wir machen das jetzt.“

Das Paar beschreibt die Veränderungen in der Ehe auf allen Ebenen als intensiv. Sie versuchen, alldem entspannt und offen zu begegnen. „Menschen ändern sich. Ich bin ja auch nicht mehr die Frau, die sie mal geheiratet hat“, sagt Catrin Schneider. Im Jahr 2024 unterstützte sie ihre Frau in ihrem Wunsch: eine geschlechtsangleichende OP.