Ehepaar aus Waltrop wird gleichgeschlechtlich „Meine Frau fühlte sich nie als Mann“

Ehe wird gleichgeschlechtlich: „Meine Frau fühlte sich nie als Mann“
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An einem Tag im August 2022 fand Catrin Schneider Kleidung in ihrem Haus, die sie nicht kannte. Es waren eindeutig Frauenkleider, aber sie konnte sie nicht zuordnen. Bis ihr plötzlich aufging: „Die Größe, der Schnitt – es war einfach klar, das gehört meinem Mann, meiner jetzigen Frau.“

Sven

Anja Wachenfeld hörte einst auf den Namen Sven. „Mir wurde etwa mit zehn Jahren das erste Mal klar, dass ich irgendwie anders ticke. Einen Namen dafür hatte ich nicht“, erzählt die 54-Jährige. Sie orientierte sich an ihrem Bruder und versuchte, sich wie er für Motorräder zu begeistern oder Mutproben zu machen. „Ich habe immer gemerkt, dass ich eigentlich nur nachmache. Das kommt nicht aus mir.“

In ihrer Kindheit spielte Anja die Rolle eines Jungen. Was andere machten, musste sie extremer machen. So würde niemand an ihr zweifeln. Eine Zeit lang lebte die Familie in Saudi-Arabien wegen der Arbeit ihres Vaters. „Wir waren Gäste in dem Land. Da habe ich ziemlich schnell gelernt, dass Anderssein gar nicht gut ist“, erzählt Wachenfeld. So vergrub sie ihre Gefühle in ihrem Inneren.

Auch als Erwachsene lebte Anja Wachenfeld als Mann. Kamen ihre wahren Gefühle hoch, unterdrückte sie die. Irgendwann lernte sie Catrin Schneider kennen und das Paar heiratete. „Zu der Zeit war ich mir eigentlich sicher, dass ich dieses komische Frausein nicht brauche, dass es nicht meins ist und ich mit ihr glücklich werde“, erzählt die 54-Jährige. „Letztlich ist es aber wieder hochgekommen, weil ich es eben doch nicht besiegt habe.“

Wie es sich anfühlte, als Sven zu leben, kann Wachenfeld schwer in Worte fassen. Schwer war nicht nur das antrainierte Verhalten im stetigen Kampf mit den inneren Wünschen, sondern auch der körperliche Aspekt. „Ich merkte, ich stecke fest. Eigentlich war es nie ein Gefühl, sondern für mich Gewissheit, dass ich eine Frau bin. Aber dann guckt man nach unten und stellt fest, das stimmt nicht.“

Ein Selfie von Catrin Schneider und Anja Wachenfeld, damals noch als "Sven".
Auf einem Selfie des Waltroper Ehepaars im Juli 2022 lächelt Anja Wachenfeld, damals noch „Sven“ (l.). Ihr Gesicht zeigt jedoch Spuren von dem inneren Kampf, der sich in ihr abspielte. © Privat

Catrin

Der Mensch, den Catrin Schneider 2012 geheiratet hatte, wirkte kein bisschen weiblich. „Sie hat nur schwarze Kleidung getragen. Sie war sehr männlich, sehr markant, mit einem wirklich krassen Bartwuchs. Das hatte mich damals sehr angesprochen“, erzählt die 57-Jährige. „Sven“ war gerade auf Dienstreise, als sie nach zehn Jahren Ehe die Frauenkleidung im gemeinsamen Heim entdeckte.

„Ich war geschockt. Es war ein traumatisches Erlebnis. Ich konnte nicht verstehen, warum“, erinnert sich Schneider. Sie wusste, dass es sowas gab, hatte in ihrem Leben aber nie Kontakt damit, daher hatte es sie nicht weiter interessiert. „Ich habe dann tatsächlich gegoogelt: Was bedeutet das, wenn mein Mann Frauenklamotten hat?“

Sie suchte sich im Internet durch eine Vielzahl von Worten, wie trans, queer oder Drag Queen. Sie lernte, was früher „transsexuell“ hieß, nennt man heutzutage „transident“ – weil es nicht um sexuelle Neigungen oder körperliche Merkmale geht, sondern um die gefühlte, geschlechtliche Identität eines Menschen. Mit der Suche reifte die Erkenntnis: Mein Mann ist transident.

„Als klar war, er könnte sich als Frau empfinden, habe ich ihn zum ersten Mal als Frau betrachtet. Plötzlich wurden bestimmte Verhaltensweisen klar, die vorher ein bisschen seltsam waren“, erzählt Catrin Schneider. Vieles passte nicht so recht zu dem harten Kerl, den sie wahrgenommen hatte: Er hatte einen federnden Gang, war auf langen Shoppingtouren der perfekte Kleidungsberater und konnte sogar bei Ikea Stunden mit ihr verbringen. Mit welchem Mann kann man das?

Outing

„Das erklärte plötzlich alles. Auf einmal dachte ich, das passt viel besser“, erinnert sich die 57-Jährige. „Da habe ich angefangen, in Männern die weibliche Variante zu sehen und in Frauen die männliche. Wir dürfen beide Anteile in einem Menschen sehen.“

Gleichzeitig fühlte sich Catrin Schneider innerlich aufgewühlt, unruhig und auf eine Weise hintergangen. Das Paar hatte sich ein gemeinsames Leben aufgebaut. Zehn Jahre lebten die beiden zusammen, betreuten die beiden Kinder, die Catrin mit in die Ehe brachte, und gingen als Paar durch dick und dünn – und doch hatte ihr Mann sein Innerstes vor ihr verheimlicht. „Ich wusste immer, dass sie etwas vor mir verbirgt. Ganz tief in ihrem Herzen. Ich hielt es für eine schmerzvolle Kindheitserfahrung.“ Es ängstigte sie, was aus ihrer Ehe werden sollte.

Weil ihr Mann auf Dienstreise war, erzählte Schneider ihm in einer Textnachricht, was sie gefunden hatte. „Sie realisierte, dass ich ihr tiefstes Geheimnis entdeckt hatte, das sie nie mit jemandem geteilt hatte“, sagt die 57-Jährige. „Ich wusste es da noch nicht, aber meine Frau fühlte sich nie als Mann. Anjas Antwort war: Ich kann nicht mehr nach Hause kommen.“

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