Nach zehn gemeinsamen Ehejahren fand Catrin Schneider aus Waltrop Frauenkleidung, die ihrem Mann gehörte. Anja Wachenfeld, damals noch „Sven“, ist transident und fühlte sich seit ihrer Geburt als Frau. Das Paar entschied, die Ehe nicht aufzugeben. Seither lebt Wachenfeld als Frau und macht eine Hormontherapie. In allen Bereichen ihrer Partnerschaft durchlebten Schneider und Wachenfeld intensive Veränderungen.
Seit zwei Jahren lebt Anja Wachenfeld ihr weibliches Geschlecht offen aus. Durch die Hormontherapie erlebte sie auch körperliche Veränderungen, etwa dass ihr ein Busen gewachsen oder ihre Haut weicher geworden ist. Dennoch steht das neue Körpergefühl der 54-Jährigen im Widerspruch zu dem, was von „Sven“ übriggeblieben ist: dem männlichen Geschlechtsteil.
„Ich kam zu dem Schluss, dass ich doch eine geschlechtsangleichende OP möchte. Wir entschieden, diesen Weg als Paar gemeinsam zu gehen“, erzählt Wachenfeld. Fünf Gutachten und eine zuvorkommende Klinik in Itzehoe brauchte es, um die gesetzliche Krankenversicherung von dem tiefgreifenden Eingriff zu überzeugen. Catrin Schneider begleitete ihre Frau in den zwei Wochen im Krankenhaus. „Es ist mega abgefahren, was operativ möglich ist: eine Neo-Vagina mit Eingang, mit einem Raum und einer Klitoris, die voll funktionsfähig ist“, sagt Schneider.
Vor dem Eingriff erfasste sie nochmal ein Gefühlschaos, das ein fast kindliches Verhalten in ihr auslöste. „Ich habe dann noch wie so ein Mädchen gesagt: Oh nein, nicht den Penis. Lass doch den Penis dran“, erinnert sich die 57-Jährige. „Das spiegelt nochmal wider, wie schwierig es für Angehörige ist, das Neue zu anzunehmen.“

Dein Körper, mein Körper
Eine Woche nach der Operation konnte der Druckverband abgenommen werden und auch Schneider durfte einmal von oben schauen: „Ich dachte plötzlich, das passt so viel besser zu ihr. Der Penis war komplett falsch. Das hat mich total geflasht.“ Nach der geschlechtsangleichenden OP sei es friedlich in ihr geworden, so Catrin Schneider. Es war klar: Jetzt gibt es kein Zurück. Es gab nichts mehr zu hoffen, nur noch anzunehmen. Gerade diese Erkenntnis habe ihre Ehe einen großen Schritt nach vorn gebracht.
Auch wenn die Nachsorge für das neue Geschlechtsorgan aufwendig ist, ist Anja Wachenfeld glücklich über das Ergebnis. „Seit der OP bin ich auch entspannter geworden, wenn mich jemand am Telefon doch wieder Herr Wachenfeld nennt“, erzählt die 54-Jährige. „Letztes Jahr hat mich das noch ganz schön aufgeregt. Fand ich scheiße.“
Allerdings dauert es viele Monate, bis sich Gefühl in dem neuen Geschlechtsteil entwickelt. ‚Wie ist das jetzt mit Sex bei euch?‘, sei das Paar schon zu Beginn ihrer gleichgeschlechtlichen Ehe übergriffig gefragt worden. Wenn Wachenfelds neues Geschlechtsteil vollends ausgeheilt ist, will das Paar auch körperlich wieder zueinanderfinden. „Wir sind im Prozess und müssen neu gucken. Ich bin aufgeschlossen, aber ja nicht von Haus aus homosexuell“, sagt Catrin Schneider.
Als Wachenfeld als Mann lebte, habe er sich sexuell sehr zurückhaltend gezeigt, erinnert sich Schneider – im Nachhinein kein Wunder, da viele Transpersonen ihr ursprüngliches Geschlechtsteil ablehnen und noch weniger benutzen wollen.
Nie aus Spaß
Unter den Testosteronblockern der Hormontherapie ist es Transfrauen schlichtweg nicht möglich, ihr männliches Geschlechtsteil überhaupt zu benutzen, argumentiert Anja Wachenfeld. Den Vorwurf, Transfrauen seien nur Männer, die Frauen in der Damenumkleide belästigen wollen, kann sie daher nicht nachvollziehen.
„Niemand ist transident aus Spaß oder Profilierung. Das sucht man sich wirklich nicht aus. Dazu ist der Prozess zu intensiv und umwälzend in so vielen Bereichen“, sagt Wachenfeld. Das Ziel eines transidenten Menschen sei es, sein wahres Selbst zu leben und in der Gesellschaft nur als Frau und nicht als Transperson wahrgenommen zu werden.
Seit Anja Wachenfeld als Frau lebt, hat sie viel Lebensfreude für sich gefunden: „Ich fühle mich glücklich. Ich bin jetzt endlich angekommen und ich lebe mehr“, sagt die 54-Jährige. Die Zeit, in der sie ihr Leben zurückgezogen vor ihrem Computer verbrachte, ist vorbei. Dieses Leben würde ihr heute nicht mehr reichen.
Auch wenn die Veränderungen eine Herausforderung waren und sind, ist auch Catrin Schneider daran gewachsen. „Wenn du dich da durcharbeitest, beschäftigst du dich mit vielen Themen von dir selbst“, sagt Schneider. „Man muss im Leben immer Glaubenssätze, Rollenbilder oder Kindheitserfahrungen aufarbeiten. Das macht dich stärker, klarer und toleranter.“

Als die Ehe von Catrin Schneider und Anja Wachenfeld gleichgeschlechtlich wurde, gab es keine Lösung und kein Rezept, das das Paar befolgen konnte, um damit umzugehen. Sie gingen zur Paartherapie, aber die Therapeutin hatte mit Transidentität keine Erfahrung. Es gab Selbsthilfegruppen, die sie nicht als hilfreich empfanden. Speziell für Angehörige fehlten die Angebote gänzlich. „Wir mussten alles versuchen und ausprobieren, um einen Weg für uns zu finden, – und tun es noch.“ Anderen Paaren möchten Wachenfeld und Schneider Mut machen.
Für ihre Arbeit als IT-Spezialistin sitzt Anja Wachenfeld übrigens immer noch vor dem Rechner. Dass ihr Arbeitgeber locker mit ihrem Coming-Out umging, ist für sie keine Selbstverständlichkeit. Die einzige Frage war: Wie sollen wir dich nennen? Trotzdem hat sich etwas verändert, wenn sie in den Telefonkonferenzen mit ihren Kollegen spricht. „Seit ich als Frau ruhiger und mit weniger Kraft spreche, passiert es, dass ich überhört oder übergangen werde. Mein Therapeut meinte dazu nur: Herzlichen Glückwunsch. Willkommen in der Welt der Frauen.“