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„Die wollen mich verhauen!“ Buchhändler mit Notinsel-Logo hilft Jungen aus der Patsche
Notinseln in Kamen
Ein Buchhändler schreitet ein, als ein Kind Hilfe benötigt. Einer der seltenen Fälle an einem Notinseln-Standort. Trotzdem sind sie wichtig, wie Jörg Theis weiß. Jetzt gibt es ein neues Angebot.
„Die wollen mich verhauen!“ Als der Junge, nicht älter als neun Jahre alt, bei Buchhändler Willi Schulte in den Laden stürmt, hilft der sofort und spricht ein Machtwort in Richtung der gleichaltrigen Verfolger. Einer der seltenen Fälle, in denen das Buch-, Schreibwaren- und Spielzeuggeschäft buchstäblich zur Notinsel wird. Und dieses Logo der bundesweiten Hilfsaktion ist deswegen schließlich auch im Schaufenster zu sehen: Um im Fall der Fälle Hilfe leisten zu können.

Das Notinsel-Logo, das in vielen Schaufenstern hängt. 72 Anlaufstellen gibt es in Kamen. © Archiv
72 Notinseln in Kamen, Tendenz steigend
Egal, ob Küchen Specht, Fachmarkt Wolff, Mayersche Buchhandlung oder eben Schreibwaren Schulte. Ihre Gemeinsamkeit ist, dass sie Notinseln für Kinder sind – vier von insgesamt 72 in Kamen, Tendenz steigend. Seit 2002 gibt es das Projekt bundesweit, seit 2006 ist es vor Ort Anlaufstelle für Kinder. Gewerbetreibende, Einzelhändler, Freiberufler, Vereine. Überall, wo ein Notinsel-Aufkleber an Tür oder Schaufenster ist, können sich Kinder melden, die Hilfe brauchen. „Das gilt auch, wenn sie sich verlaufen haben“, berichtet Awo-Stadtverbandsvorsitzender Jörg Theis, der in Kamen die Aktion koordiniert. Auch wenn die Notinseln – zum Glück – nicht häufig benötigt werden. Theis weiß, wie wichtig sie sind.
Das Angebot wird digital ausgebaut
Nunmehr wird das Angebot weiter ausgebaut. Mit der Notinsel-App, die über einen QR-Code, den es an den Ladentüren gibt, aufs Smartphone geladen wird. Die Hoffnung von Jerome Braun, Geschäftsführer der Deutschen Kinderschutzstiftung „Hänsel und Gretel“ ist, dass noch mehr Partner für ein engmaschiges Netz mobilisiert werden. „Mit der Notinsel-App für Eltern, Großeltern und Kinder wird die Wegeplanung zur Familiensache. Entlang Ihrer Geschäfte werden die sicheren Wege geplant und dabei lernen alle ihr Geschäft besser kennen“, heißt es in Richtung der Gewerbetreibenden. Theis ergänzt: „Über die App kann man sehen, welche Notinsel sich in der Nähe befindet.“ Die Eltern könnten dann auf dem Schulweg die Kinder auf die Notinseln aufmerksam machen, „um ihnen so ein zusätzliches Sicherheitsgefühl zu geben“. Er ermuntert weitere Geschäftsleute dazu, Partner zu werden: „Wer mitmachen möchte, kann sich gerne bei mir melden.“ Die Kontaktaufnahme erfolgt unter der E-Mail-Adresse „theisawokamen@web.de“.

Der QR-Code, mit dem man die Notinsel-App herunterladen kann. © Stefan Milk
Alle zwei Jahre Abfrage unter den Partnern
Alle zwei Jahre organisiert Theis eine Abfrage unter den über 70 Teilnehmern in Kamen, ob das Angebot genutzt wurde. Bei der Abfrage vor einem Jahr gab es drei Meldungen. „Es ist nichts Schlimmes passiert, aber es konnte immer geholfen werden.“ Entsprechende Telefonnummern vom Jugendamt, der Feuerwehr oder der Awo seien an den Notinsel-Standorten bekannt. Theis: „Jede Notinsel ist in der Lage eine Hilfskette in die Wege zu leiten.“ Und durch das bundesweit einheitliche Symbol „Notinsel – Wo wir sind, bist Du sicher“ sei der Erkennungswert für alle Kinder, die Hilfe benötigen, sehr groß.
Wichtige Telefonnummern sofort verfügbar
Die Notinsel-App ist in den gängigen App-Stores kostenlos erhältlich. Kinder können damit bis zu zehn wichtige Telefonnummern direkt anrufen. „Auch die Polizei kann mit zwei Klicks angerufen werden“, so Braun. Die Kinder sehen bei Verwendung der App in ihrem direkten Umkreis von 2,5 Kilometern die nächsten Notinseln und können sich dahin navigieren. Weitere Informationen, welche die Notinsel-Geschäfte hinterlegen, insbesondere Öffnungszeiten, können abgerufen werden. Kinder können auch sogenannte „Privatinseln“ hinterlegen. Theis: „Zum Beispiel das Elternhaus, das Haus der Oma oder des besten Freundes.“
Jahrgang 1968, aufgewachsen in mehreren Heimaten in der Spannbreite zwischen Nettelkamp (290 Einwohner) und Berlin (3,5 Mio. Einwohner). Mit 15 Jahren erste Texte für den Lokalsport, noch vor dem Führerschein-Alter ab 1985 als freier Mitarbeiter radelnd unterwegs für Holzwickede, Fröndenberg und Unna. Ab 1990 Volontariat, dann Redakteur der Mantelredaktion und nebenbei Studium der Journalistik in Dortmund. Seit 2001 in Kamen. Immer im Such- und Erzählmodus für spannende Geschichten.
