Deutschland?! Im Auge des Betrachters

Von Christopher Filipecki
Deutschland?!: Im Auge des Betrachters
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Bevor ich Redakteur wurde, habe ich mich – so wie viele andere auch – durch einige Nebenjobs durchschlagen müssen, um mein Studium und meine Freizeit finanzieren zu können. Der schönste war gleichzeitig mein letzter: Ich habe in einer Sprachschule Deutsch als Fremdsprache unterrichtet.

Ein schöner Nebenjob: Deutsch unterrichten

Da es mir so viel Spaß gemacht hat, arbeitete ich in dem Bereich fast sechs Jahre. Ich war in der Erwachsenenbildung tätig. Das Publikum setzte sich aus Menschen aus der ganzen Welt zusammen. Mein damaliger Chef war lange mit einer Chinesin liiert, sodass bestimmt die Hälfte meiner Kursteilnehmer aus China und Südkorea kam. Der zweitgrößte Anteil waren Personen aus dem Nahen Osten, vor allen Dingen aus Syrien, Tunesien und der Türkei. Der Rest war ein bunter Mix. Einige Menschen aus Bulgarien, Polen, der Ukraine und Rumänien, vereinzelt auch mal aus den USA oder Irland.

Was fällt Menschen auf, wenn sie seit Kurzem in Deutschland leben?

Was unglaublich spannend zu beobachten ist: Wie sehen Menschen aus Allerwelt eigentlich Deutschland? Wie empfinden sie das Erlernen der deutschen Sprache? Selbstverständlich kann man darauf keine allgemeingültigen Antworten finden, ist man aber erst einmal routiniert darin, mit Menschen zu sprechen, mit denen man kulturell nur wenige Berührungspunkte hat und genauso große Sprachbarrieren, ergeben sich witzige Missverständnisse sowie spannende Gespräche.

Mit einer Sache möchte ich direkt aufräumen: Es ist ein Irrglaube, dass Deutsche schlechtes Englisch sprechen. Wir schämen uns oft etwas, wenn wir im Ausland sind, weil unsere Grammatik womöglich nicht die beste ist. Doch allgemein habe ich die Erfahrung machen dürfen, dass viele englische Muttersprachler oder auch diejenigen, die Englisch als Zweitsprache gelernt haben, richtig positiv davon angetan sind, wie gut wir Deutschen doch Englisch können. Ich habe einen Ami unterrichtet, der nach den Basics in der deutschen Sprache mit den Kursen aufgehört hat. Warum? Weil er als amerikanischer Muttersprachler seiner Meinung nach auch so super klarkommt.

Klischees? Realitäten

Super witzig: Wir Deutsche essen verdammt viele Backwaren. Eine Chinesin hat mich mal ganz naiv gefragt, warum es bei uns zu jeder Mahlzeit Brot gibt. Und ja, das ist wahr. Zum Frühstück gibt es meist üppig belegte Brötchen, zu den typischen Speisen wie Nudeln oder Salat wird Brot als Beilage gereicht, Snacks wie Burger und Döner bestehen ebenfalls zu einem Großteil aus unserem geliebten aufgebackenen Teig. „Könnt ihr nicht auch mal was anderes essen?“, fragte sie. Berechtigt.

Ein Phänomen, das für Menschen aus arabischen Ländern unvorstellbar ist: Pünktlichkeit. Ja, es ist kein Klischee, es ist die Wahrheit. Wenn unsere Tunesier das erste Mal an einer Bushaltestelle standen, es dort tatsächlich einen aktuellen Fahrplan gab und darauf so konkrete Uhrzeiten wie 15:54 Uhr stand, lachten sie erst laut auf – bis dann der Bus exakt zu dieser Minute um die Ecke bog. Wir Deutschen beschweren uns gern über Verspätungen der deutschen Bahn. Und ja, die nerven auch wirklich. Allerdings ist dieses Problemchen in keiner Art und Weise ein Vergleich zu anderen Ländern, in denen man von schnellen Zügen wie dem ICE nur träumen kann.

Deutsche Sprache, schwere Sprache

Das größte Problem, wenn man sich dazu entscheidet, eine Zeit lang in Deutschland zu studieren oder gar dauerhaft hier zu leben, ist zweifelsfrei die deutsche Sprache. Entscheidet man sich nämlich dazu, diese einmal richtig zu lernen, hat man sich eine kleine Lebensaufgabe auf die Agenda gesetzt. Für Sie als Muttersprachler ist Deutsch einfach? Glauben Sie mir, auch Sie machen regelmäßig Fehler, die Sie nur nicht mehr wahrnehmen. Es gibt erhebliche Unterschiede zwischen Standarddeutsch und den akzeptierten Abweichungen in der Grammatik und diversen Dialekten. Oftmals wurschteln auch wir uns nämlich irgendwie durch.

Für viele Ausländer ein wahrgewordener Albtraum: die Geschlechter von Substantiven und der Kasus. Warum zur Hölle heißt es der Tisch – er ist also männlich – ebenso der Stuhl, aber die Couch und das Sofa? Logik? Gibt’s nicht. Irgendjemand Wahnsinniges hat’s bestimmt und wir müssen damit leben. Es ist eine wahre Qual, für jedes einzelne Wort den richtigen Artikel zu lernen. Seien Sie da tolerant, wenn Sie sich mit Nicht-Muttersprachlern unterhalten. Für unser Ohr klingt es logisch, dass es „das Sofa“ und nicht „die Sofa“ heißt, aber wir haben all diese Regeln bereits im Kindesalter auswendig gelernt. Dasselbe mit Verben, die an einen bestimmten Kasus gebunden sind. „Ich liebe dich“, nicht „Ich liebe dir“ und noch weniger „Ich liebe du“. „Lieben“ wird mit Akkusativ ergänzt. Noch komplizierter: Haben Sie schon mal darüber nachgedacht, warum das Verb „geben“ vier weitere Informationen benötigt? Wer gibt wem was? Und warum eigentlich? „Ich gebe meiner Mutter einen Brief für meinen Vater“. Ich habe darüber zuvor auch nie nachgedacht, bis ich es 25 verzweifelnden Personen zwischen 18 und 35 Jahren, die zehn unterschiedliche Muttersprachen sprechen, gleichzeitig erklären durfte.

Gar nicht so schlecht, oder?

Deutschland gilt für einen Großteil der Welt als ein Land, das zum Leben sehr erstrebenswert ist. Tolle Universitäten, an denen man sich weiterbilden kann, fantastische Jobaussichten, da man in der Regel nicht innerhalb weniger Tage einfach so vor die Tür gesetzt werden kann, renommierte Theater- und Opernhäuser und eines der besten Krankenkassensysteme. Und zauberhafte Weihnachtsmärkte.

Zu einigen meiner Kursteilnehmer habe ich heute noch Kontakt. Manche sind geblieben, sehr viele sind zurück in ihr Heimatland, vermissen aber Deutschland. So, das sollte vorerst genügen. Dieses „So“ ist übrigens eines der beliebtesten Äußerungen unter denen, die Deutsch als Fremdsprache lernen, weil es so viel impliziert. Genauso wie das Wort „egal“.