Wann man in Deutschland als arm gilt Armutsgrenze, Betroffenheit und Ländervergleich

Wann man in Deutschland als arm gilt: Ländervergleich und Selbsttest
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Steigende Preise für Lebensmittel, Strom, Gas und Dienstleistungen bereiten derzeit vielen Menschen in Deutschland Sorgen. Auch Menschen mit einem mittleren Einkommen schauen inzwischen häufiger sorgenvoll auf Kassenbons und Gasrechnungen.

Gleichzeitig wächst die Zahl derer, die viele Rechnungen gar nicht mehr bezahlen können oder die sich einen Einkauf im Supermarkt nicht mehr leisten können. Die Tafeln in Deutschland haben noch nie so vielen bedürftigen Menschen geholfen wie zurzeit. „Seit Jahresbeginn verzeichnen wir einen Anstieg der Kundinnen und Kunden von 50 Prozent“, sagte der Vorsitzende des Dachverbands Tafel Deutschland, Jochen Brühl, der Rheinischen Post (RP). Insgesamt kämen etwa zwei Millionen Menschen.

Jeder dritte Bundesbürger sieht laut einer Umfrage in diesem Jahr wegen der Inflation sogar keinen finanziellen Spielraum für Weihnachtsgeschenke, wie die RP berichtet. In einer am Montag veröffentlichten Erhebung des Meinungsforschungsinstituts Insa für die „Bild“-Zeitung gaben 31 Prozent an, aufgrund der Krise kein Geld dafür zu haben. 46 Prozent sind überzeugt, trotz der Krise Weihnachtsgeschenke kaufen zu können.

Vor ein paar Monaten machte der Hashtag #IchbinArmutsbetroffen bei Twitter die Runde. Menschen erzählten dabei frei heraus, über ihre Schicksale und finanziellen Nöte. Mehr als 100.000 Tweets sind zu dem Thema seitdem zusammengekommen. Die Twitter-Bewegung zeigt dabei nur einen Ausschnitt dessen, was Wirklichkeit ist. Doch wann gilt man in Deutschland eigentlich als arm? Und wie viele Menschen sind von Armut betroffen? Ein Überblick.

Wann gilt man in Deutschland als arm?

Oft wird für die Bestimmung der Armutsgefährdung in Deutschland das Haushaltsnettoeinkommen herangezogen - also wie viel Geld nach Abzug der Steuern einem Haushalt mit einer oder mehreren Personen pro Monat zur Verfügung steht.

Daher wird bei der Armutsgefährdung auf das sogenannte Nettoäquivalenzeinkommen geschaut. Dabei wird das Nettoeinkommen nach Zahl und Alter der Haushaltsmitglieder gewichtet. In Deutschland gilt man laut Statistischem Bundesamt als armutsgefährdet, wenn eine Einzelperson weniger als 15.009 Euro netto im Jahr (1251 Euro im Monat) zur Verfügung stehen.

Eine Familie mit zwei Erwachsenen und zwei Kindern unter 14 Jahren gilt mit einem Nettoäquivalenzeinkommen von unter 31.520 Euro (2627 Euro im Monat) als armutsgefährdet.

Davon betroffen sind nach aktuellen Daten 15,8 Prozent der deutschen Bevölkerung. Das sind rund 13 Millionen Bürgerinnen und Bürger - ein Rekordwert. Vor Beginn der Corona-Pandemie lebten demnach noch 600.000 Menschen weniger unter der entsprechenden Grenze.

Laut einer Mitteilung des Statistischen Bundesamtes verdient ein Fünftel der Deutschen weniger als 16.300 Euro netto im Jahr. 40 Prozent der Bürger muss mit einem Nettoeinkommen unter 22.000 Euro pro Jahr auskommen - ebenso viele Menschen verdienen allerdings auch mehr als 28.400 Euro.

Wer in Deutschland von Armut bedroht ist

Zu den 40 Prozent der Bevölkerung mit den geringsten Einkommen zählen überdurchschnittlich oft Personen aus Alleinerziehenden-Haushalten. Fast zwei Drittel von ihnen verfügten laut Statistischem Bundesamt 2021 über ein Nettoäquivalenzeinkommen von weniger als 22.000 Euro im Jahr, bei rund einem Drittel betrug es weniger als 16.300 Euro.

Ähnliches gilt für Personen in Haushalten mit zwei Erwachsenen und drei oder mehr Kindern: Mehr als die Hälfte der Personen dieser Haushalte hatten ein Nettoeinkommen von weniger als 22.000 Euro im Jahr. Für Personen in Haushalten mit zwei Erwachsenen und zwei Kindern beziehungsweise einem Kind traf das auf rund ein Drittel zu.

Auch bei Personen ohne Kinder zeigen sich deutliche Unterschiede zwischen den Haushaltstypen: So zählte 2021 mehr als die Hälfte der alleinlebenden Erwachsenen zur Bevölkerung mit einem Einkommen von unter 22.000 Euro im Jahr. Knapp ein Drittel verfügte über ein Einkommen von weniger als 16.300 Euro und war demnach der untersten Einkommensgruppe zuzurechnen.

In welchem Bundesland sind die meisten Menschen armutsgefährdet?

Beim Blick auf die Bundesländer zeigt sich, dass manche Regionen in Deutschland eher von Armut betroffen sind als anderer. Unangefochtener bundesweiter Spitzenreiter ist Bremen - hier zählt das Statistikportal der Länder 28 Prozent der Bürgerinnen und Bürger zum armutsgefährdeten Teil der Bevölkerung.

Weit dahinter folgt der Osten Deutschlands. Berlin (19,6 Prozent armutsgefährdet), Sachsen-Anhalt (19,5 Prozent) und Thüringen (18,9 Prozent) zählen laut Statistik zu den Bundesländern mit den meisten von Armut bedrohten Menschen. Nur Brandenburg sticht mit 14,5 Prozent positiv hervor.

Die Bundesländer im Süden sind gemessen am Bundesmedian (16,6 Prozent) am wenigsten von Armut bedroht. In Baden-Württemberg lag die Armutsgefährdungsquote im vergangenen Jahr bei 13,9 Prozent - in Bayern waren es sogar nur 12,6 Prozent.

Nordrhein-Westfalen liegt über dem Bundesschnitt. 18,7 Prozent der Menschen hierzulande sind armutsgefährdet - 2020 waren es nur 17,6 Prozent. Damit liegt NRW im Vergleich der Länder auf dem vierten Platz. Auch beim Anteil der Langzeitarbeitslosen an allen Arbeitslosen in 2021 liegt NRW weit vorne: 45,8 Prozent zählt „Statista“. Nur Bremen (47,6 Prozent) liegt auch hier an erster Stelle.

Schaut man sich die reicheren Bürgerinnen und Bürger an, stellt man fest, dass hier der Osten ebenfalls schlecht abschneidet. Nur ein Bruchteil der Menschen in Mecklenburg-Vorpommern, Sachsen, Sachsen-Anhalt und Thüringen kann ein Einkommen von mehr als 200 Prozent des Nettoäquivalenzeinkommens aufweisen. Eine Ausnahme bildet auch hier wieder Brandenburg. NRW liegt mit 8,2 Prozent über dem Bundesschnitt.

Bin ich selbst armutsgefährdet?

Alle Daten zeigen das Armuts- und Einkommensbild vor Beginn des Krieges gegen die Ukraine und vor dem sprunghaften Anstieg von Energiepreisen und Inflation. Wie sich die aktuelle Krise auf die Zahlen auswirkt, lässt sich erst im nächsten Jahr feststellen. Es ist aber davon auszugehen, dass die Zahl derer, die in Deutschland armutsbedroht sind, weiter steigen wird.

Wie selbst schauen möchte, wo man im Vergleich mit dem Rest der Bevölkerung steht, kann das über ein interaktives Tool des Instituts der deutschen Wirtschaft (IW) herausfinden. Hier können das persönliche Haushaltsnettoeinkommen und der Haushaltstyp angeben werden. Außerdem kann man auswählen, mit wem man sich vergleichen möchten.

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