127. Deutsche Ärztetag in Essen Ärztetag fordert Fonds für klimagerechtes Gesundheitswesen

Deutscher Ärztetag in Essen: Klaus Reinhardt bleibt Ärztepräsident - aber nur knapp
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Mit der Forderung nach einem Bundesfonds „Klimagerechtes Gesundheitswesen“ ist am Freitag der 127. Deutsche Ärztetag in Essen zu Ende gegangen. „Krankenhäuser, Medizinische Versorgungszentren, Arztpraxen und alle weiteren Leistungserbringer müssten in die Lage versetzt werden, ihre baulich-technische Ausstattung klimafreundlich anzupassen. Dies setze erhebliche Investitionen voraus, die in den bisherigen Finanzierungsmechanismen nicht abgebildet sind“, heißt es in einer Mitteilung des Ärztetages. Deshalb sei ein sektorenübergreifender Fonds erforderlich.

Um Klimaschutz und Klimaanpassungen durch entschiedene Maßnahmen voranzutreiben, müssten die Voraussetzungen dafür auf allen Ebenen des Gesundheitswesens geschaffen werden. „Angesichts der drängenden Gefahren genügten gute Absichten oder abstrakte Planungen nicht“, teilte der Ärztetag mit. Um eine klimafreundliche Versorgung im System der Gesetzlichen Krankenversicherung (GKV) zu ermöglichen, müssen die sozialgesetzlichen Regelungen laut Ärztetag angepasst werden. Das Wirtschaftlichkeitsgebot dürfe Untersuchungen, Behandlungen und Verordnungen, die zum Klimaschutz beitragen, nicht behindern.

Der Ärztetag rief die Verantwortlichen im Gesundheitswesen auf, die Anstrengungen bei der Vermeidung von Müll zu verstärken. So seien gesetzliche Vorgaben nötig, um Verpackungsmüll bei Medikamenten durch die Pharmahersteller wo möglich abzuschaffen. Die Themen Klimakrise, Klimaanpassung und Gesundheitsschutz sollen bei der medizinischen und psychologischen Ausbildung berücksichtigt werden. „Bei der Erstellung von gesundheitsbezogenen Leit- und Richtlinien sollten in Zukunft auch die Folgen für das Klima abgeschätzt werden“, heißt es weiter.

Ärztepräsident Klaus Reinhardt will nach seiner knappen Wiederwahl in den nächsten vier Jahren massiv Druck in der Gesundheitspolitik machen. „Wir brauchen einen echten Paradigmenwechsel“, sagte er am Donnerstag beim Deutschen Ärztetag in Essen. Die Probleme im Gesundheitswesen seien für die Gesellschaft genauso bedeutend wie die Erderwärmung. „Deshalb streite ich dafür, dass das Thema Gesundheit ebenso zukunftsweisend diskutiert wird wie das Thema Klima“, sagte er.

Die 250 Delegierten bestätigten Reinhardt für weitere vier Jahre in seinem Amt an der Spitze der Bundesärztekammer. Sie vertritt die Interessen von 550.000 Ärztinnen und Ärzten. Der 62-Jährige bekam 125 Stimmen - drei mehr als die Vorsitzende des Ärzteverbands Marburger Bund, Susanne Johna. Die 57-Jährige wurde anschließend zur Vize-Präsidentin der Bundesärztekammer gewählt.

Klaus Reinhardt bleibt Ärztepräsident

Klaus Reinhardt steht für weitere vier Jahre als Ärztepräsident an der Spitze der Bundesärztekammer. Der 62-Jährige wurde in Essen mit drei Stimmen Mehrheit in seinem Amt bestätigt.

Er setzte sich knapp gegen die Vorsitzende des Ärzteverbands Marburger Bund, Susanne Johna, durch. Reinhardt kam beim Deutschen Ärztetag auf 125 Stimmen der Delegierten, Johna auf 122. Die Bundesärztekammer vertritt die Interessen von 550.000 Ärztinnen und Ärzten.

Reinhardt ist seit 2019 Präsident der Bundesärztekammer und wurde in der Corona-Pandemie zu einem gefragten Interviewpartner. Er arbeitet als Hausarzt in Bielefeld, wo er die von seinen Eltern gegründete Praxis weiterführt. Der 62-Jährige ist außerdem Vorsitzender der Medizinervereinigung Hartmannbund.

„Brauchen einen echten Paradigmenwechsel in der Gesundheitspolitik“

In seiner Bewerbungsrede hatte Reinhardt gefordert: „Wir brauchen einen echten Paradigmenwechsel in der Gesundheitspolitik.“ Die Probleme im Gesundheitswesen seien für die Gesellschaft ebenso bedeutend wie etwa der Klimawandel. „Deshalb streite ich dafür, dass das Thema Gesundheit ebenso zukunftsweisend diskutiert wird wie das Thema Klima.“ Diese Tragweite verkenne die Politik bislang noch. „Was da zum Teil an Lösungsansätzen in der Politik diskutiert wird, ist abenteuerlich bis absurd.“

Seine Gegenkandidatin Johna führt seit 2019 den Marburger Bund, den größten deutschen Ärzteverband, der zugleich als Gewerkschaft fungiert. In den Tarifverhandlungen für die Ärzte an kommunalen Kliniken hatte der Marburger Bund zuletzt mehrmals zu Arbeitsniederlegungen aufgerufen. Die in Duisburg geborene Medizinerin arbeitet als Oberärztin für Krankenhaushygiene in Rüdesheim bei Wiesbaden. Sie wäre die erste Frau an der Spitze der Bundesärztekammer gewesen.

Der viertägige Ärztetag läuft noch bis zum Freitag.

Ärztetag in Essen: Aufruf zu umfassenden Gesundheitsschutz

Ärztepräsident Klaus Reinhardt hat angesichts der alternden Gesellschaft und des Klimawandels zu einem umfassenderen Gesundheitsschutz für die Bevölkerung aufgerufen. Dafür müssten sich auch Stadtplanungen, Verbraucherschutz sowie die Landwirtschafts-, Arbeits- und Sozialpolitik einbringen, sagte der Chef der Bundesärztekammer zur Eröffnung des Deutschen Ärztetags in Essen.

Zu ärztlichen Aufgaben zählten auch der gesundheitsbezogene Klima– und Hitzeschutz, der Einsatz für saubere Luft und gegen gesundheitsgefährdende Chemikalien in Alltagsprodukten.

Reinhardt verwies auf eine zurückgehende Einbindung vieler Menschen etwa in Sportvereine und andere soziale Einrichtungen. Gerade bei älteren Menschen könne es zu krankmachender Vereinsamung kommen. Die Versorgung Geflüchteter aus verschiedensten Krisengebieten mit oft psychischen Belastungen müsse stabil organisiert werden. Gegen Folgen insbesondere von Hitzewellen auf ältere und kranke Menschen seien Aktionspläne nötig. Dem Fachkräftemangel im Gesundheitswesen müsse mit innovativen Ideen begegnet werden. „Diese Aufgaben können wir nur mit einer gemeinsamen Kraftanstrengung aller Beteiligten bewältigen.“

Ärztepräsident fordert Verlässlichkeit bei Digitalisierung

Wegen der Lieferengpässe bei zahlreichen Medikamenten fordert der Deutsche Ärztetag eine „nationale Arzneimittelreserve“. Die Bundesregierung müsse Medikamente einlagern, die für die Versorgung von Patienten besonders wichtig seien, heißt es in dem Beschluss, den die 250 Delegierten am Mittwoch in Essen verabschiedeten.

Lieferengpässe gab es zuletzt vor allem bei patentfreien Medikamenten wie Fiebersäften für Kinder, aber auch bei Präparaten für Erwachsene wie Antibiotika und Krebsmedikamenten. Die Maßnahmen, mit denen die Ampel-Koalition bislang darauf reagiere, seien nicht ausreichend, kritisierte der Ärztetag. Neben einer nationalen Arzneimittelreserve müsse die Politik auch Anreize schaffen, damit wieder mehr Medikamente in Deutschland produziert würden. Pharma-Unternehmen sollten außerdem verpflichtet werden, drohende Lieferengpässe frühzeitig zu melden.

Das Bundeskabinett hatte Anfang April ein „Arzneimittel-Lieferengpassbekämpfungs- und Versorgungsverbesserungsgesetz“ beschlossen. Das Gesetz soll es Herstellern ermöglichen, höhere Abgabepreise für Kindermedikamente in Deutschland zu verlangen, so dass sich Lieferungen nach Deutschland mehr lohnen. Bei Antibiotika sollen Hersteller, die Wirkstoffe in Europa produzieren, stärker zum Zug kommen.

Reinhardt fordert Verlässlichkeit bei Digitalisierung

Reinhardt forderte mehr Verlässlichkeit bei der Digitalisierung im Gesundheitswesen. „Ärztinnen und Ärzte sind guten Willens und offen für digitale Anwendungen“, sagte der Chef der Bundesärztekammer. Viele seien aber nach wie vor frustriert, weil die Technik nicht stabil funktioniere. „Politik und Industrie sollte klar sein, dass Arztpraxen und Kliniken keine Versuchslabore für unausgereifte Technik sind“, sagte Reinhardt.

Mit Blick auf den Neustart mit elektronischen Patientenakten für alle Versicherten mahnte der Ärztepräsident, das Vertrauen der Patienten und Patientinnen auf einen verantwortungsvollen Umgang mit ihren Daten sicherzustellen. Das setze einfache Widerspruchsmöglichkeiten voraus. Die Bundesregierung plant, dass alle gesetzlich Versicherten bis Ende 2024 automatisch eine E-Akte bekommen - außer, man lehnt das aktiv ab. Bisher muss man aktiv einwilligen, wenn man eine will.

Kritik an Gesundheitsminister Lauterbach

Reinhardt forderte eine grundlegende finanzielle Stabilisierung der gesetzlichen Krankenversicherung. Dazu könnten unter anderem auch Teile der Genusssteuern auf Tabak und Alkohol als zweckgebundene Gesundheitsabgabe verwendet werden. Zudem sollte die Mehrwertsteuer für Arzneimittel von 19 Prozent auf 7 Prozent gesenkt werden.

Reinhardt hielt Bundesgesundheitsminister Karl Lauterbach (SPD) eine mangelnde Einbeziehung von Gesundheitsakteuren in politische Vorhaben vor, etwa bei der Neuaufstellung der Kliniken. Es sei ein Fehler, das Engagement der eigenen ärztlichen Kolleginnen und Kollegen als Lobbyismus zu diskreditieren. Reinhardt kritisierte auch den Umgang mit den Praxen der niedergelassenen Ärzte. Statt deren Einsatz etwa mit einem Bonus für medizinische Fachangestellte zu würdigen, werde der Rotstift angesetzt. „Stärken Sie die Praxen“, forderte er.

NRW-Gesundheitsminister glaubt an Kompromiss bei Krankenhausreform

Im Streit zwischen Bund und Ländern um die geplante Krankenhausreform setzt NRW-Gesundheitsminister Karl-Josef Laumann (CDU) auf Kompromissbereitschaft beider Seiten. Entscheidend sei, dass am Ende „Qualität und Erreichbarkeit des Gesundheitssystems in allen Regionen“ sichergestellt würden, sagte Laumann in Essen. Daran müsse sich die Reform messen lassen. „Wir werden keine ideologischen Entscheidungen treffen“, betonte er.

An die Adresse des in Essen anwesenden Bundesgesundheitsministers sagte Laumann: „Ich finde, wir beide haben eine Verantwortung, dass die Krankenhäuser anschließend auch mit dem umgehen können, was wir da machen.“ Deshalb gehe es nun darum, eine in Nordrhein-Westfalen seit Jahren vorbereitete Krankenhausreform mit den Plänen des Bundesgesundheitsministeriums „vernünftig zusammenzuführen“. „Wenn es einfach wär‘, dann könnte es ja jeder - dann müssten wir beide es nicht machen.“

In dem Streit hatte der Bundesgesundheitsminister seinen NRW-Amtskollegen zunächst davor gewarnt, die in NRW bereits eingeleitete Krankenhausreform im Alleingang durchzuziehen. Zuletzt waren beide Seiten aber schon aufeinander zugegangen.

Während des viertätigegn Ärztetages wählen die 250 Delegierten auch die Führung der Bundesärztekammer neu. Der seit 2019 amtierende Präsident Reinhardt (62) tritt erneut an. Gegen ihn kandidiert die Vorsitzende des Ärzteverbandes Marburger Bund, Susanne Johna (57). Sie wäre die erste Frau an der Spitze der Bundesärztekammer, die die Interessen von 550.000 Ärztinnen und Ärzten in Deutschland vertritt. Die Wahlen sind an diesem Donnerstag vorgesehen.

dpa