Eine neue Nuance im Tarifstreit zwischen Deutscher Bahn und Lokführergewerkschaft GDL: Der Staatskonzern will nun vor Gericht klären lassen, ob die Arbeitnehmervertretung überhaupt noch Tarifverträge aushandeln darf. Hintergrund ist die Gründung der Leiharbeitsfirma Fair Train, die sich auf die Vermittlung von Lokführerinnen und Lokführern spezialisieren will. Die sogenannte Feststellungsklage kann auch Einfluss auf die für nächste Woche erwarteten Streiks haben. Ein GDL-Sprecher sagte auf Anfrage des RedaktionsNetzwerks Deutschland (RND): „Zu der Klage äußern wir uns nicht, da sie uns weder vorliegt noch wir ihren konkreten Inhalt kennen.“
Das Hessische Landesarbeitsgericht in Frankfurt bestätigte am Mittwoch den Eingang eines entsprechenden Schriftsatzes, der offiziell vom Arbeitgeberverband der DB, der AGV Move, eingereicht wurde. Das Gericht bezeichnete sich als „direkt zuständig“ für dieses ganz besondere Verfahren. Über dessen Dauer wurden keine Angaben gemacht.
DB-Personalvorstand Seiler: „Sind zu diesem Schritt gezwungen“
„Die GDL tritt gleichzeitig als Arbeitgeber und als Gewerkschaft auf. Was ist sie denn nun?“, fragt Martin Seiler, Personalvorstand der DB. Leider verweigere die Lokführergewerkschaft bisher am Verhandlungstisch die Klärung dieses entscheidenden Punkts. „Da sie die Verhandlungen für gescheitert erklärt und die weiteren Termine abgesagt hat, sind wir jetzt zu diesem Schritt gezwungen. Wir müssen rechtssicher wissen, ob wir einen handlungsfähigen Tarifpartner haben“, so Seiler.
GDL-Chef Claus Weselsky hatte bereits im Sommer vorigen Jahres einerseits die Forderungen für die Tarifrunde, die im Herbst startete, genannt. Und andererseits die Gründung von Fair Train angekündigt. Eine Leiharbeitsfirma, die von einer Gewerkschaft kontrolliert wird: Das ist bislang einmalig hierzulande.
Ab nächster Woche mehrtägige Streiks möglich
In den Verhandlungen über mehr Geld und kürzere Arbeitszeiten hat Fair Train bislang bestenfalls eine Nebenrolle gespielt. Für viel Aufregung sorgten in den vergangenen Wochen hingegen Warnstreiks der GDL an zwei Tagen, die den Bahnverkehr weitgehend lahmlegten. Die Lokführerinnen und Lokführer haben sich mittlerweile in einer Urabstimmung für unbefristete Streiks ausgesprochen. Weselsky hat angekündigt, dass es von nächster Woche an eine Ausweitung der Arbeitskampfmaßnahmen geben werde. Von Ausständen, die zwischen drei und fünf Tage dauern sollen, war die Rede.
Das Landesarbeitsgericht weist ausdrücklich darauf hin, dass es sich nicht um ein Verfahren im einstweiligen Rechtsschutz handele, das auch einen Streik unterbinden könnte. Aber Insider halten es für möglich, dass die Bahn dennoch in der nächsten Woche kurzfristig eine Instanz tiefer beim Arbeitsgericht Frankfurt einen zusätzlichen Antrag auf eine einstweilige Verfügung einreichen könnte, um einen Ausstand zu stoppen. Bei der Entscheidung über diesen Antrag könnte das beim Landesarbeitsgericht anhängige Verfahren dann indirekt eine Rolle spielen.
DB: Fair Train gegründet, um Bahn zu schaden
Klar ist aus Sicht der Deutschen Bahn, dass die GDL mit der Gründung von Fair Train ihre „Tariffähigkeit“ verloren hat und deshalb auch keine Streiks mehr organisieren darf. Mehrere rechtliche Stellungnahmen unterstützten diese Auffassung. Seiler und seine Leute argumentieren vor allem mit „personellen und organisatorischen Verflechtungen“ bei Führungskräften von GDL und Fair Train. Die Gewerkschaft habe mit der Genossenschaft – quasi mit sich selbst – einen Tarifvertrag verhandelt und geschlossen.
Es gebe erhebliche Interessenkonflikte, da Gründungs- und Aufsichtsratsmitglieder des Leiharbeitgebers aktuell Tarifverhandlungen mit der DB führten. Weselsky ist einer der Gründer. Die drei übrigen Mitglieder des geschäftsführenden GDL-Vorstandes bilden den Aufsichtsrat, der die „Grundsätze der Geschäftspolitik“ gemeinsam mit dem Vorstand beschließt. So steht es in der Fair-Train-Satzung. Die Genossenschaft wurde nach Ansicht der DB nur gegründet, um dem Staatskonzern Schaden zuzufügen. Weselsky hatte schon vorigen Sommer betont: „Wir treten ausschließlich an, um diesem Marktführer die Arbeitnehmer zu entziehen.“
Rechtskräftiges Urteil könnte zwei Jahre auf sich warten lassen
Bis all dies rechtskräftig von Richterinnen und Richtern bewertet ist, können nach Einschätzung von Experten zwei Jahre vergehen. Die Entscheidung des Hessischen Landesarbeitsgericht dürfte einige Monate dauern. Dagegen können Rechtsmittel beim Bundesarbeitsgericht in Erfurt eingelegt werden, wo dann endgültig entschieden wird.
Der lange Zeitraum würde auch bedeuten, dass eine eventuelle Einigung in dem Tarifkonflikt quasi nur unter Vorbehalt fallen kann: Schließen sich die Richter der Position der Bahn an, müssten Tarifverträge, die nach der Fair-Train-Gründung geschlossen wurden, nachträglich für null und nichtig erklärt werden.
Die GDL hat der Bahn einen Katalog mit 35 Forderungen vorgelegt. Es geht um kräftige Lohn- und Gehaltserhöhungen. Aber der Knackpunkt ist eine Verkürzung der Wochenarbeitszeit von 38 auf 35 Stunden für alle, die im Schichtdienst arbeiten. Nach Seilers Worten ziehe dies den Einstieg in eine Vier-Tage-Woche nach sich, den die Bahn sich nicht leisten könne. Es müssten mehrere Tausend zusätzliche Beschäftigte eingestellt werden, die auf dem Arbeitsmarkt nicht zu kriegen seien. Die GDL wirft der Bahn vor, Verhandlungen über Arbeitszeiten kategorisch abzulehnen.
RND
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