Bettlerin lebte neun Monate in Datteln auf der Straße „Oft habe ich mich vor mir selbst geekelt“

Bettlerin lebte auf der Straße: „Oft habe ich mich vor mir geekelt“
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Als ihr Partner zuschlug, flüchtete sie. „Ich habe es nicht mehr ausgehalten“, sagt Marion K. (Name von der Redaktion geändert) leise und streichelt den großen Hund, der neben ihr auf dem Boden liegt. In aller Eile nahm sie vor eineinhalb Jahren nur ihren geliebten Vierbeiner, einige Kleidungsstücke und ein Zelt samt Schlafsack mit. „Daran habe ich noch gedacht, denn ich wollte niemandem zur Last fallen“, betont die Waltroperin, die in der Dattelner Fußgängerzone bettelt und uns ihre Geschichte erzählt.

Bauer zeigt Mitleid und erlaubt ihr zu campen

Doch wohin? Ohne Job und ohne Geld stand sie auf der Straße. „Mit einem Tier irgendwo unterzukommen, das ist besonders schwer“, berichtet die 54-Jährige weiter. Auf die Hilfe von manchen Bekannten verzichtete sie, „denn das Risiko, dass die das ausnutzen, war mir zu hoch“. Ein Bauer zeigte Mitleid und erlaubte ihr schließlich, auf seinem Grundstück zu campen. Marion K.: „Es ist immer noch besser, im Zelt zu schlafen, als unter freiem Himmel oder in Hauseingängen, das hätte ich nicht gekonnt.“ Sie schüttelt den Kopf. „Und als Frau ist das ja eh so ein Ding“, meint sie und seufzt. Die Angst, überfallen oder belästigt zu werden, war ihre ständige Begleiterin. „Aber mein Hund hat auf mich aufgepasst. Er war mir ein großer Trost“, erklärt sie und blickt ihn zärtlich an.

Eine alte Tabakdose steht auf der Straße vor einem Haus mit einem Suhl und Kürbis.
Die ehemals obdachlose Waltroperin kehrte an die Hohe Straße nach Datteln zum Betteln zurück. Einige Menschen gaben Münzen in die alte Tabakdose der Frau. © Ulrike Geburek

Der Neumarkt wurde zu ihrem Wohnzimmer. Neun lange Monate. „Das war schrecklich“, betont Marion K. und sucht nach Worten. „Ich besaß doch mal ein richtiges Leben“, sagt sie bitter, und die Verzweiflung ist wieder ganz nah. Sie hasste es, dort mit einer verbeulten Konservendose zu sitzen und von Geschäftsleuten verjagt zu werden. Sie hasste die abschätzigen Blicke und die fremden Menschen, die sie grundlos beschimpften. Sie hasste das erbärmliche Gefühl, ganz unten zu sein. Und das ist immer noch so. Wenigstens hat Marion K. mithilfe eines Bekannten im Frühjahr eine Wohnung gefunden. Mittlerweile weiß sie auch, dass ihr Geld vom Staat zusteht.

Toilette und Bad hat sie schmerzlich vermisst

„Aber es reicht in diesem Monat leider nicht aus, denn ich musste zum Tierarzt, und dann kam noch eine Strom-Nachzahlung“, berichtet die Frau mit den langen, blonden Haaren. Die sind frisch gewaschen. Als Obdachlose war das indes selten der Fall. Vor allem die Toilette und das Bad hat Marion K. schmerzlich vermisst. „Oft habe ich gestunken und mich selbst vor mir geekelt, denn die Möglichkeiten, zu duschen, sind begrenzt“, erinnert sie sich angewidert – und fassungslos darüber, dass sie so tief sinken konnte.

Eine Bettlerin streckt Passanten ihre Hand entgegen.
Wenn das Geld nicht zum Leben reicht, betteln Menschen in den Innenstädten, so auch am Dattelner Neumarkt und an der Hohen Straße. (Symbolbild) © picture alliance / dpa

Von dem ersten erbettelten Geld kaufte sich Marion K. einen Spirituskocher. „Da konnte ich mir eine Suppe warm machen.“ Sie lacht gequält. „In solch einer Situation werden andere Dinge wichtig“, verrät sie und nickt bekräftigend. Später besaß Marion K. einen kleinen Grill. „Da gab es mal ein Stück Fleisch.“ Das Leben im Zelt war erträglicher als befürchtet. „Es war gar nicht so kalt. Ich habe ja sogar einen Winter draußen verbracht, allerdings hat es nicht geschneit“, erzählt die Waltroperin. Krank wurde sie trotzdem und überstand nur mit Mühe zwei Lungenentzündungen. Doch an diesem Vormittag meint es das Wetter gut mit ihr, denn die Sonne scheint. „Nur Regen ist unangenehm“, weiß die Bettlerin, die auf einem kleinen Stück Isoliermatte sitzt.

Kontakt zu Freunden und Kindern ist abgebrochen

Kontakt zu den vermeintlichen Freunden von früher hat Marion K. nicht mehr. „Die geben alle mir die Schuld.“ Auch von ihren Kindern hat sie lange nichts gehört. „Zwei habe ich groß gezogen.“ Sie macht eine Pause, zuckt mit den Schultern und sieht traurig aus. So traurig. Aber dann reißt sie sich zusammen, blickt nach vorne. „Ich finde ins Leben zurück“, sagt Marion K. zuversichtlich. Dass sie wieder in Datteln bettelt, sei eine Ausnahme. Und offenbar ist dies ein Glückstag für die 54-Jährige. Ein junger Mann schenkt ihr eine Tüte mit Hundefutter, und in der alten Tabakdose landet sogar ein Schein.

Hinweis der Redaktion: Dieser Artikel erschien ursprünglich am 10. November 2024.