Zersplittertes Kita-System: „Das Wohl der Kinder gerät aus dem Fokus“

Von Jana Friedrichs
Zersplittertes Kita-System:: „Das Wohl der Kinder gerät aus dem Fokus“
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In unserem großen Kita-Check gehen unsere Reporter den komplexen Problemen in Dortmunds Kitas auf den Grund – von den Herausforderungen der Finanzierung bis zu den gesetzlichen Hürden. Das wäre nicht möglich, ohne auf den großen Erfahrungsschatz von Eltern, Erziehern und Experten zurückzugreifen. Das gilt auch für die Rückmeldungen der vielen Dortmunderinnen und Dortmunder, die uns ihre Meinung schreiben. Hier veröffentlichen wir ausgewählte Stimmen.

„Die Ausbildung hinkt der Realität hinterher“

Matthias Rietschel arbeitet seit fast 30 Jahren im Bereich frühkindlicher Bildung. In seinem Leserbrief weist er auf ein häufig unterschätztes Problem hin: den Fachkräftemangel durch frühe Berufsflucht. Junge, motivierte Fachkräfte würden nach kurzer Zeit in der Praxis erkennen, dass sie den steigenden Anforderungen kaum gerecht werden können. Die Ausbildung vermittle oft nicht das nötige Rüstzeug für die Realität in den Einrichtungen.

Zudem merkt er an, dass die Prognosen sinkender Kinderzahlen trügen könnten. In einigen Stadtteilen bekämen über 20 Prozent der Kinder keinen Kita-Platz – eine Entspannung der Lage sei daher nicht absehbar.

„Es gibt auch positive Beispiele“

Eine ganz andere Erfahrung schildert Susanne Baum. Über 23 Jahre hinweg haben ihre fünf Kinder den St. Aloysius Kindergarten in Dortmund-Derne besucht – ohne Ausfallzeiten oder Notbetreuung. Dank stabiler Personalstruktur und gutem Teamgeist funktioniere die Betreuung dort reibungslos. Baum betont: „Es wäre unfair, diese positiven Beispiele nicht auch zu benennen.“

„Die Bürokratie ist das Grundproblem“

Jochen Ebert kritisiert in seinem Leserbrief die strukturellen Grundlagen des deutschen Kita-Systems – und nennt dabei konkrete Zahlen, die nachdenklich stimmen. Allein in Dortmund gebe es 78 verschiedene Träger, die zusammen 333 Kindertageseinrichtungen verantworten. Die Stadt Dortmund überweist jährlich rund 6,4 Millionen Einzelzahlungen im Rahmen der Finanzierung dieser Einrichtungen – ohne dabei im Detail nachvollziehen zu können, wie viele Kita-Plätze mit diesen Mitteln tatsächlich gedeckt werden.

Für Ebert ist diese Vielzahl an Trägern kein Zeichen von Vielfalt, sondern von Zersplitterung und Ineffizienz. „Zu viele Ebenen der Finanzierung, zu viele Träger – das bedeutet gewaltige Bürokratie und hohe Kosten“, lautet seine Einschätzung. Die Folge: Das eigentliche Ziel, nämlich das Wohl der Kinder, gerate aus dem Fokus. Statt um pädagogische Qualität gehe es viel zu oft um Verwaltungsstrukturen und Zuständigkeiten.

Sein Fazit ist eindeutig: „Das Wohl der Kinder steht nicht im Vordergrund der staatlichen Verpflichtungen, sondern Kleinstaaterei auf allen Ebenen.“

Sein Lösungsvorschlag ist radikal, aber klar formuliert: Kinderbetreuung sollte bundesweit kostenlos und zentral durch die Bundesregierung finanziert werden. Das würde nicht nur Eltern entlasten, sondern auch die Bürokratie erheblich reduzieren.

„Man kann sich auch arrangieren – wenn man muss“

Christine Cofone blickt aus der Sicht einer ehemaligen alleinerziehenden, voll berufstätigen Mutter auf die heutige Debatte. Sie sieht manche Klagen über eingeschränkte Öffnungszeiten oder fehlende Ganztagsplätze kritisch: „Das ewige Gejammer nervt mich“, schreibt sie. Früher habe es weder einen Rechtsanspruch noch Homeoffice gegeben, doch durch Nachbarschaftshilfe und Organisation mit anderen Eltern habe sie dennoch Beruf und Kinderbetreuung vereinen können.

Zugleich zeigt sie großes Verständnis für das Personal in den Einrichtungen: „Erziehern und Erzieherinnen haben häufig wenig Geld und Anerkennung. Teilnahme am Streik finde ich absolut gerechtfertigt.“ Sie plädiert dafür, auch die Perspektive der Mitarbeitenden stärker in den Fokus zu rücken.

So unterschiedlich die Rückmeldungen auch sind – alle zeigen, wie tief das Thema in den Alltag vieler Menschen eingreift. Ob als Elternteil, Fachkraft oder Beobachter: Die Entwicklungen in Dortmunds Kitas bewegen.

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