Corona-Warn-App geht in den „Schlafmodus“ Was hat sie gebracht?

Corona-Warn-App geht in den „Schlafmodus“: Was hat sie gebracht?
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Am 1. Mai wurde eine der zentralen Funktionen der Corona-Warn-App eingestellt: Mit den roten Warnungen nach dem Kontakt mit einer infizierten Person ist dann – zumindest erstmal – Schluss. Einen Monat später wird die App dann komplett in den „Schlafmodus“ versetzt.

Das heißt, dass die App ab dem 1. Juni zwar noch für Impfzertifikate genutzt werden kann, aber keine Updates mehr erhält. Das Tool zur Pandemiebekämpfung, von dem sich die Bundesregierung viel versprach, geht also nach fast drei Jahren vorerst in den Ruhestand.

Zwischen Nutzermangel und Erfolgsmodell

Über den gesamten Verlauf der Pandemie haben nie so viele Menschen die App benutzt wie gehofft. 48 Millionen Menschen haben das Kontaktverfolgungstool hierzulande insgesamt heruntergeladen – und damit insgesamt gut jede und jeder zweite. Das ist nicht wenig, aber den anfänglich angestrebten Nutzungswert von mindestens 60 Prozent der Bevölkerung hat man damit nie erreicht. Gerade in den ersten Monaten nach der Veröffentlichung im Juni 2020 beklagten Expertinnen und Experten zu wenige Nutzerinnen und Nutzer. In damaligen Umfragen wurde deutlich, dass viele Menschen verschiedene Bedenken hatten: Sie hielten sie für nutzlos, hatten Sorge um den Datenschutz oder technische Schwierigkeiten.

Das Robert Koch-Institut (RKI) zog jedoch trotzdem ein Jahr nach dem Start positive Bilanz: Die App habe zahlreiche Corona-Infektionen zusätzlich aufgedeckt, der Großteil der Menschen hätte sich nach einer roten Meldung testen lassen. Und auch bis heute halten viele Politikerinnen und Politiker die Warn-App Medienberichten zufolge für ein Erfolgsmodell, lobten Menschen für die vielen freiwilligen Datenspenden, durch die Infektionen verhindert und Menschenleben gerettet werden konnten. Doch was sagt die Forschung?

Studien ziehen gemischte Bilanz zu Kontaktverfolgungs-Apps

Bei der Wirksamkeit von Kontaktverfolgungs-Apps herrscht noch viel Forschungsbedarf. Es ist jedoch schwierig, definitive Aussagen dazu zu treffen, wie viele Infektionen nun wirklich durch Warn-Apps verhindert werden konnten. Doch bisherigen Erkenntnissen zufolge konnten Warn-Apps weltweit zumindest einen kleinen Beitrag zur Pandemiebekämpfung leisten. Forschende der Humboldt-Universität zu Berlin kommen in einer im Dezember 2022 veröffentlichten Studie zu dem Schluss, dass die digitale Kontaktverfolgung in einzelnen Wellen eine einstellige Prozentzahl an Infektionen verhindert haben könnte. Die Wirksamkeit habe sich vor allem dann verbessert, wenn besonders viele Infektionen stattfanden und mehr Menschen die App benutzten.

Bei einer Auswertung der deutschen Corona-Warn-App zeigte sich im Oktober 2021 zudem, dass ein Fünftel der per App gewarnten Menschen, die sich daraufhin testen ließen, positiv auf Sars-CoV-2 getestet wurden. Sprich: Die Warnungen des Tools erreichten auch die Richtigen. In einer im August 2022 veröffentlichten Studie untersuchten Forschende der University of Texas in Austin die Wirksamkeit der Kontaktverfolgung im Allgemeinen im Zeitraum vom 1. Oktober 2020 bis 1. Januar 2021 in Austin. Aus ihren Erkenntnissen schlussfolgerten sie, dass 39 Prozent der Covid-Fälle verhindert werden können, wenn zwei Fünftel aller Infektionsfälle durch Kontaktverfolgung erfasst werden.

Andere Studien ziehen dagegen eine eher dürftige Bilanz. In einer australischen Studie vom Februar 2022 untersuchten Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler die Effektivität der Warn-App COVIDSafe im bevölkerungsreichsten Bundesstaat New South Wales. Das Ergebnis: Die App konnte lediglich 0,1 Prozent der Kontaktpersonen von Infizierten zusätzlich identifizieren, die nicht schon durch die konventionelle Kontaktverfolgung über die Gesundheitsämter erfasst wurden.

Auch britische Forschende des Londoner University College konnten kaum empirische Belege für die Wirksamkeit von Kontaktverfolgungs-Apps finden, nachdem sie 15 Studien auswerteten. Die Studie war zwar bereits im August 2020 erschienen und ist damit älter, jedoch offenbarte sie ein Problem, das auch die deutsche Warn-App betrifft: Ohne eine offizielle Handlungsaufforderung von Behörden – zum Beispiel, sich bei einer Warnung in Quarantäne zu begeben – ist eine Warnung per App nicht effektiv genug, so die Forschenden.

„Die Wirkung ist insgesamt eher überschaubar gewesen“

Dieses Problem sieht auch der Epidemiologe Hajo Zeeb vom Leibniz-Institut für Präventionsforschung und Epidemiologie bei der deutschen Corona-Warn-App. „Die Wirkung ist insgesamt eher überschaubar gewesen, weil die App anders als in anderen Ländern nicht an die Gesundheitsämter gebunden war.“ Sprich: Die Daten wurden bei der App nur lokal gespeichert und nicht weitergeleitet.

Menschen wurden somit nur per Push-Nachricht über einen möglichen Kontakt informiert und konnten dann auf eine Warnung reagieren, indem sie sich zum Beispiel testen lassen. Das geschieht jedoch auf rein freiwilliger Basis, denn die Informationen wurden nie an die Gesundheitsämter übermittelt – zumal Warnmeldungen per App nur anonym verschickt werden. Dadurch konnten sie die Infektionsdaten der Nutzerinnen und Nutzer nicht nutzen, um bei Kontaktpersonen eine Quarantäne zu verordnen.

Warn-Apps haben laut Zeeb bei der Pandemiebekämpfung trotzdem eine Rolle gespielt – vor allem, weil sie die Bedeutung der Kontaktverfolgung und der Weitergabe von Infektionsinformationen sehr befördert hätten. Besser als die Kontaktverfolgung mit Papier und Bleistift seien sie ohnehin gewesen. Jedoch hätte die Corona-Warn-App in Hochphasen der Pandemie zunehmend an Bedeutung verloren: „Der Erfolg wurde im Verlauf der Pandemie immer geringer, weil man sich bei den ganz großen Infektionszahlen nicht mehr auf die Gesamtkontakte eines Menschen konzentriert hatte. Das hat die Kontaktverfolgung – ob digital oder nicht – infrage gestellt“, sagt er.

Nachdem die Kontaktverfolgung monatelang als wichtiges Mittel zur Eindämmung der Pandemie galt, setzte die Regierung seit der Zulassung der ersten Corona-Vakzine zunehmend mehr auf Impfungen zur Pandemiebekämpfung und beschloss unter anderem Einschränkungen für nicht geimpfte Menschen. Bei besonders hohen Inzidenzen konnten die Gesundheitsämter die Kontaktverfolgung wegen Überlastung ohnehin kaum noch leisten.

Wenige Warnungen und schrumpfende Nutzerzahl in ihren letzten Monaten

Expertinnen und Experten ziehen also gemischte Bilanz nach über zweieinhalb Jahren mit der Corona-Warn-App. Und auch die Nutzungsaktivität war in den vergangenen Monaten allenfalls überschaubar. Zwar benutzten im Dezember immerhin noch 37 Prozent der Menschen in Deutschland die App, um andere über eine Infektion zu informieren, wie aus Zahlen des Branchenverbands Bitkom hervorgeht.

Doch zuletzt warnten im Schnitt nur knapp über 650 Infizierte noch ihre Mitmenschen per App – und das, obwohl Nutzerinnen und Nutzer der App auch mit positivem Schnelltest eine Warnung abschicken dürfen. Das ist im Vergleich zu früheren Phasen der Pandemie ein sehr geringer Wert und die Dunkelziffer dürfte immer noch hoch sein. Schließlich lassen sich immer weniger Menschen testen, seitdem die Pandemie immer weiter abflacht und auch die Isolationspflicht gefallen ist.

„Wir können nicht einfach sagen, dass wir eine solche App nie wieder brauchen werden“

Obwohl eine Warn-App in Deutschland auch aus epidemiologischer Sicht nicht mehr gebraucht wird, könnte das Konzept der digitalen Kontaktverfolgung laut Zeeb in Zukunft noch eine Rolle bei Pandemien und Epidemien spielen. „Wir können nicht einfach sagen, dass wir eine solche App nie wieder brauchen werden. Wir müssen aus den Erfahrungen in der Pandemie Lehren ziehen und für künftige Situationen überlegen, wie wir mit digitalen Tools effizient Infektionsketten unterbrechen können“, sagt er.

Nutzerinnen und Nutzer können weiterhin die App nutzen, um digitale Impfzertifikate abzurufen. Wer mit der App aber – vorerst oder endgültig – abschließen möchte, muss sie einfach nur noch vom Smartphone löschen. Die gesammelten Daten sind dann auch weg, weil sie nur auf dem Handy selbst gespeichert werden.

RND

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