Die Kirchen sollten alle öffentlichen Gottesdienste, auch zu Weihnachten, bis auf weiteres streichen. Alles andere wäre verantwortungslos, meint unser Autor in seinem Kommentar.

© picture alliance/dpa

Corona: Kirchen sollten alle Weihnachtsgottesdienste sofort streichen

rnMeinung

Öffentliche Gottesdienste sind auch im neuen, harten Lockdown nicht verboten. Unser Autor meint: Trotzdem sollten die Kirchen alle öffentlichen Gottesdienste absagen – auch an Weihnachten.

Dortmund

, 14.12.2020, 16:00 Uhr / Lesedauer: 3 min

Seit frühester Kindheit gehört der Besuch des Gottesdienstes zu Weihnachten zum Fest für mich dazu wie der geschmückte Baum, Geschenke, das gemütliche Beisammensein mit Verwandten und gutes Essen natürlich. Ein Weihnachten ohne den Gang zur Kirche, das ist kein richtiges Weihnachten.

Seit Sonntag könnte ich eigentlich jubeln, denn öffentliche Gottesdienste sind ja trotz des harten Lockdowns auch an Weihnachten erlaubt – wenn auch unter großen Auflagen. Ich juble nicht, im Gegenteil: Ich bin der festen Überzeugung, dass die Kirchen jetzt handeln müssen und bis auf weiteres auf alle öffentlichen Gottesdienste verzichten sollten.

Vier Hauptgründe

Das klingt hart, ist aber aus meiner Sicht unumgänglich, wenn die Kirchen ihrer Verantwortung gegenüber den Menschen in diesem Land gerecht werden wollen. Dafür gibt es vier Hauptgründe:

1. Die Verfassung: Dass Bund und Länder bei ihrem Corona-Gipfel am Sonntag das Thema Gottesdienste ausgespart haben, hat rein gar nichts damit zu tun, dass sie hier keinen Handlungsbedarf sehen. Das Gegenteil dürfte der Fall sein. Der Grund für das Schweigen liegt einzig und allein in unserem Grundgesetz, das die Trennung von Kirche und Staat festschreibt. Die Kirchen dürfen ihre Angelegenheiten – und Gottesdienste gehören dabei ganz sicher zum Kern – selbst regeln.

Einfach alle Kirchen per Anordnung des Staates zu schließen, das wäre verfassungswidrig. Daher setzt die Politik auf die Einsicht der Verantwortlichen in den Kirchen und Religionsgemeinschaften. Es ist ein reiner Akt der Höflichkeit, dass sich die Politikerinnen und Politiker bisher mit lautstarken Forderungen an die Kirchen (noch) zurückhalten. Ich bin sicher, dass das nicht so bleiben wird, wenn sich die Kirchen noch lange wegducken und eine Entscheidung aufschieben.

2. Die Situation vor Ostern: Vor Ostern lag die Zahl der Neuinfektionen bei maximal 5.000 am Tag. Aktuell reichen die Höchstwerte bis an die Grenze von 30.000. In der schlimmsten Aprilwoche um Ostern herum starben 1.605 Menschen, jetzt sind es doppelt so viele in einer Woche. Wenn daher im April alle Kirchen geschlossen wurden, gibt es keinen Grund, sie jetzt offen zu halten.

3. Das diffuse Geschehen: Restaurants und Kneipen, Läden und Theater, Hotels und Friseure, Kinos und Sportstudios müssen schließen, Kitas und Schulen fahren nur noch einen Notbetrieb, die Familien dürfen quasi nur noch unter sich bleiben und vielerorts gibt es strikte Ausgangssperren. Das alles geschieht so radikal, weil die Lage außer Kontrolle geraten ist. Das Robert-Koch-Institut spricht seit Wochen von einem „diffusen Infektionsgeschehen“. Das heißt nichts anderes als: Man kann sich überall, bei jedem Kontakt anstecken.

Jetzt lesen

Ja, die Kirchen haben in den vergangenen Monaten einen großen Aufwand betrieben, um öffentliche Gottesdienste wieder möglich zu machen. Hygienekonzepte, Ordnungsdienste, Anmeldeverfahren und vieles andere wurden entwickelt. Dafür gebührt ihnen ebenso Respekt wie für die peniblen Vorbereitungen, die sie schon jetzt getroffen haben, um Weihnachtsgottesdienste zu ermöglichen, teils in den Kirchen, teils draußen, teils auch in großen Hallen.

Aber vergleichbare Schutzmaßnahmen haben Hotels, Kinos, Läden und andere ebenfalls getroffen. Trotzdem schließen sie jetzt oder sind schon seit Wochen zu. Wieso sollte die Infektions-Gefahr in einem Kino größer sein als in einer Kirche? Die Akzeptanz von Regeln, gerade wenn sie sehr einschneidend sind, hängt auch davon ab, ob Vergleichbares auch gleich behandelt wird. Deshalb müssen die Kirchentüren für öffentliche Gottesdienste geschlossen bleiben.

4. Was ist im Falle eines Falles?

Vielleicht ist die Gefahr, dass sich das Virus ausbreitet, in einer Kirche nicht größer als andernorts. Das mag sein: Aber wer sagt, dass sie kleiner ist? Unbestritten besteht (auch) hier ein Risiko. Wenn die Kirchen an den Weihnachtstagen die einzigen Orte sind, an denen noch viele Menschen zusammenkommen dürfen, was ist denn für den Fall, dass die Infektionszahlen nach Weihnachten wieder in die Höhe schießen? Wer wird dann wohl für ein solches Desaster verantwortlich gemacht, wenn nicht die Kirchen? Ich möchte nicht in der Haut der Kirchen-Oberen stecken, wenn es zu einer solchen Situation kommen sollte.

Mir ist sehr wohl bewusst, dass der Besuch des Gottesdienstes – gerade an Weihnachten - für viele Menschen mindestens ebenso wichtig ist wie der Besuch eines lieben Menschen, aber er wäre falsch und unsolidarisch. Und verantwortungslos wäre es auch, wenn die Chefs der Landeskirchen und die Bischöfe in den Bistümern die Verantwortung an ihre Pastöre und Pfarrer vor Ort weiterreichen.

Wenn es überall die gleichen Probleme und Fragen gibt, sind Chefs auch dazu da, ihre Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern aus der Schusslinie zu nehmen, ihnen zermürbende Diskussionen in den Gemeinden zu ersparen und sie ihren Job machen zu lassen. Sie sind schließlich „Seelsorger“. Und um die Seelen sorgen, das kann man nicht nur in einem öffentlichen Gottesdienst.

Schlagworte:
Lesen Sie jetzt