Eine Frau erhält eine Impfung gegen das Coronavirus.

Ist eine vierte Boosterimpfung bei den steigenden Inzidenzen für jeden sinnvoll? © picture alliance/dpa

Corona-Impfung bei steigenden Zahlen: Ist die vierte Dosis für alle jetzt sinnvoll?

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Die letzte Impfung liegt bei vielen schon länger zurück. Sollte man sich aufgrund der steigenden Inzidenzen jetzt schon um eine vierte Dosis kümmern – oder erst im Herbst? Ein Faktor ist entscheidend.

14.06.2022, 05:00 Uhr / Lesedauer: 4 min

In Deutschland nehmen die Corona-Ansteckungen wieder zu. In allen Altersgruppen steigen die Inzidenzen, am deutlichsten bei den 50- bis 59-Jährigen und 15- bis 35-Jährigen. Nur bei den Fünf- bis Neunjährigen sanken sie im Vergleich zur Vorwoche noch – aber auch nur „geringfügig“, wie das Robert-Koch-Institut in seinem Wochenbericht vermerkt. Das Risiko, sich im Alltag mit Corona zu infizieren, steigt also wieder. Gleichzeitig gibt es kaum noch Schutzmaßnahmen.

Der Zeitpunkt ist ungünstig. Die letzte Boosterdosis liegt bei vielen Menschen inzwischen Monate zurück. Zahlreiche Untersuchungen zeigen, dass für den Schutz vor Ansteckung relevante Antikörper im Blut nach drei Monaten wieder abnehmen. Dann ist da noch die neue Variante BA.5, die sich deutschlandweit verbreitet und den Immunschutz noch mal mehr umgeht als bisherige Omikron-Linien. Sollte man sich da vielleicht doch jetzt schon vorsorglich um eine zweite Corona-Auffrischimpfung bemühen? Statt abzuwarten, bis im Herbst wahrscheinlich ein besser an Omikron angepasster Impfstoff zugelassen wird?

Alle Corona-Ansteckungen vermeiden? Das Impfziel ist entscheidend

Geht es nach der Ständigen Impfkommission (Stiko), hängt die individuelle Entscheidung für oder gegen einen zweiten Booster mit den herkömmlichen Impfstoffen vor allem an einem Faktor: dem Alter. Eine zweite Auffrischdosis empfiehlt das Fachgremium seit Februar explizit den über 70-Jährigen: mit einem der bereits zugelassenen mRNA-Impfstoffe, also Biontech oder Moderna – und frühestens drei Monate nach der letzten verabreichten Dosis. Auch Menschen in Pflegeheimen, medizinisches Personal und Menschen mit einer Immunschwäche sollten sich ein viertes Mal impfen lassen.

Studien haben gezeigt, dass sich mit einem weiteren Booster das Schutzlevel vor Infektion, Krankheit und Tod noch einmal deutlich erhöht lässt. Wieso das dann nicht der ganzen Bevölkerung empfohlen wird? Das hat mit dem Impfziel zu tun. Das ist laut wissenschaftlicher Empfehlung der Stiko folgendes: „schwere Verläufe, Hospitalisierungen und Tod sowie Langzeitfolgen durch Covid-19 in der Bevölkerung Deutschlands so weit wie möglich zu reduzieren“.

Die Impfungen sollen also zuallererst dabei helfen, das Schlimmste zu vermeiden, nicht unbedingt aber alle Ansteckungen. Über 70-Jährige und Menschen mit Immunschwäche haben zwar nach drei Corona-Impfungen ein geringeres Risiko als ganz ohne Impfung, schwer zu erkranken. Es ist aber in vielen Fällen immer noch relativ hoch, vor allem, wenn die letzte Impfung schon Monate zurückliegt.

Bei immungesunden jüngeren Menschen sieht das in der Regel anders aus. Auch ihr Risiko einer Ansteckung steigt, je länger die letzte Impfung zurückliegt, weil relevante Antikörper schwinden. Aber ihr Risiko für einen schweren Verlauf bleibt längerfristig gering, wenn sie dreifach geimpft sind, weil auch andere Bereiche des Immunsystems vor Covid-19 schützen. So die bisherige Erkenntnis von Immunologen und Immunologinnen.

Wer dreifach geimpft ist, und nicht besonders alt oder an einer Immunschwäche leidet, ist also in der Regel sehr gut vor Covid-19 geschützt. Auch bei den neuen Omikron-Linien BA.5 und BA.4 bleibt das glücklicherweise so. Die Dreifach-Impfung habe aufgrund ihrer „hohen Schutzwirkung vor einem schweren Verlauf“ auch bei Erkrankungen durch die Omikron-Variante nicht an Bedeutung verloren, heißt es im Wochenbericht des Robert-Koch-Instituts (RKI).

„Bei immungesunden Personen unter 60 sehe ich aktuell keine Veranlassung zu einer vierten Impfung“, sagt auch der Immunologe Carsten Watzl, Generalsekretär der Deutschen Gesellschaft für Immunologie. „Diese Personen haben immer noch einen sehr guten Schutz vor der schweren Erkrankung, werden aber früher oder später eine Durchbruchsinfektion haben.“ Diese führe dann zu der sogenannten hybriden Immunität, die wieder sehr gut vor Ansteckung und Erkrankung schützt. „Auf diese Weise werden sich die meisten Personen ihre Immunität alle paar Jahre auffrischen“, vermutet der Corona-Experte.


Boosterkampagne im Herbst: Braucht es die für alle?

Nun sollen im Herbst besser auf neue Omikron-Varianten angepasste mRNA-Impfstoffe zugelassen werden. Die Stiko wird ihre Empfehlung zukünftig also noch einmal anpassen. Bund und Länder planen bereits mit einer Boosteroffensive für die breite Bevölkerung. Die Hoffnung: Kurzfristig könnten dadurch womöglich auch, wie bereits in anderen Impfkampagnen geschehen, Ansteckungen in der Bevölkerung verringert und damit eine Infektionswelle in der Gesamtbevölkerung abgeflacht werden.

Der Effekt der Impfungen, Infektionen zu stoppen, würde aber wie bei bisherigen Impfungen auch wahrscheinlich innerhalb weniger Wochen bis Monate wieder abnehmen. Nur kurzfristig kann die Impfung bislang den Eintritt des Virus in die Atemwegsschleimhäute verhindern. Endgültig klar ist aber noch nicht, ob das auch bei den neuen Vakzinen so bleibt. Es fehlen noch die Daten der Hersteller Biontech und Moderna. Eine Entscheidung über die Zulassung seitens der Europäischen Arzneimittelbehörde EMA wird für September erwartet.

Fachleute sind angesichts der fehlenden Daten bislang noch zögerlich, ob im Herbst weitere Impfungen für alle zu empfehlen sind – oder nur für Menschen mit besonders hohem Risiko für einen schweren Verlauf, also die über 70-Jährigen und bei Immunschwäche. Es sei „zu früh“, um die Verwendung einer vierten Dosis von mRNA-Impfstoffen in der Allgemeinbevölkerung in Betracht zu ziehen, heißt es in einer EMA-Mitteilung von Anfang April. Ähnlich sieht das die Stiko, die angekündigt hat, zum Herbst hin ihre Impfempfehlungen zu Corona-Impfungen zu prüfen.

Es ist auch noch unklar, welche Varianten mit welchen Eigenschaften dann zirkulieren und wie gut der Immunschutz dann noch ausfällt. Im ungünstigsten Fall könnte eine neue Virusvariante kursieren, die noch ansteckender ist, den Immunschutz noch mehr als bisher umgeht und tödlicher ist als bisherige Omikron-Linien. Dann könnten womöglich erneut Impfungen für alle notwendig werden. Das ist aber das Worst-Case-Szenario, wie der Corona-Expertenrat vergangene Woche festhielt.

Im Best Case, also wenn weiter Omikron-Varianten zirkulieren, die vergleichsweise weniger krankmachend sind, könnten aber Ältere und Menschen mit Immunschwäche immer noch ein relativ hohes Risiko für eine schwere Erkrankung haben. „Daher sollten diese ihre Immunität im Herbst mit einem angepassten Impfstoff so verbessern, dass sie ohne Infektion oder zumindest ohne schwere Erkrankung durch den Winter kommen“, sagt Immunologe Watzl.

Corona-Impfung: Wo kann ich sie bekommen?

Angenommen wird das Angebot der vierten Dosis unter Älteren bislang aber sehr zögerlich: Nur rund 19 Prozent der über 60-Jährigen haben sich hierzulande bis Mitte Juni für die zweite Auffrischdosis entschieden. Anlaufstelle für Erst-, Zweit-, Dritt- und Viertimpfungen kann der Hausarzt oder die Hausärztin sein. Auch mobile Impfteams, Betriebsärztinnen und Betriebsärzte, Einrichtungen des Öffentlichen Gesundheitsdienstes, Krankenhäuser, Impfzentren und Apotheken können gegen Covid-19 impfen.

Beraten lassen kann man sich auch bei der kostenlosen Hotline 116 117 der Kassenärztlichen Bundesvereinigung. Auch die Internetportale der Kommunen, Kreise und Bundesländer bieten Informationen. Eine weitere Anlaufstelle ist das vom Bundesgesundheits­ministerium betriebene Portal zusammengegencorona.de. Dort gibt es zum Beispiel eine interaktive Deutschland-Karte, in der man Links, Telefonnummern sowie konkrete Impfangebote findet.

RND

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