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Corona-Entscheidungen aus dem Sandkasten: Jetzt bin ich der Bestimmer!
Meinung
Erst hebt ein Gericht die Beschränkungen für den Einzelhandel auf. Drei Stunden später setzt das Land sie wieder in Kraft und zwar härter als zuvor. Langsam wird`s unzumutbar, sagt unser Autor.
Es ist ein paar Minuten nach 11 Uhr am Morgen des Gipfel-Montags, da taucht eine Pressemeldung des Oberverwaltungsgerichts in Münster auf. Das Gericht kippt mit sofortiger Wirkung die Terminpflicht und die Kundenbeschränkungen im Einzelhandel. Die aktuelle Coronaschutzverordnung des Landes verletzte nämlich den Gleichbehandlungsgrundsatz, weil man beim Besuch von beispielsweise Buch- und Blumenläden keine Termine vereinbaren müsse.
Um 13.58 Uhr vermeldet das Land: Okay, dann eben auch für Bücher und Blumen Termine und die 40-Quadratmeter-Regel. Damit habe man den Einwänden des Gerichts genüge getan und die bisherige Regelung gelte demnach weiter. Also nichts mit Lockerungen.
Ganz war dem allerdings dann doch nicht so, wie sich erst auf eine Nachfrage unsere Redaktion herausstellte. Da stellte das Ministerium klar: Bis Mitternacht gilt noch die vom Gericht verfügte Lockerung, erst ab 0 Uhr am Dienstag dann die vom Land vereinheitlichte und damit verschärfte Regelung, weil die geänderte Verordnung erst dann in Kraft trete. Alles klar?
Ich bin ja ein absoluter Fan unseres Rechtsstaats, aber was der sich derzeit in Sachen Bürokratismus leistet, ist schon bemerkenswert und strapaziert meine Geduld doch erheblich. In der Nachricht vom OVG Münster ist nämlich nachzulesen, dass das Gericht den Beschluss, die Landesverordnung zu kippen, bereits am Freitag (19. Oktober) gefasst hat. Veröffentlicht wurde die Entscheidung aber erst am Montag und löste damit heillose Verwirrung aus.
Warum war es dem Gericht nicht möglich, dem Land am Freitag oder Samstag einen Hinweis zu geben, wie man entschieden hat? Dann hätte die neue Verordnung pünktlich heute übergangslos in Kraft treten können und dieses unsägliche Hin- und Her-Gewuppe hätte man sich gespart. Stattdessen verhalten sich unsere Verfassungsorgane wie Dreijährige beim Rollenspiel: „Jetzt will ich aber der König sei.“ „Nein ich bin jetzt der Bestimmer.“
Wenn ich Einzelhändler wäre, hätte ich nach dieser Montags-Posse endgültig die Nase voll, zumal ja nach dem aktuellen Corona-Gipfel erneut Änderungen drohen. Viele Händler kämpfen seit Monaten um ihre Existenz und dann so etwas. In normalen Zeiten könnte man über so einen Vorgang vielleicht sogar schmunzeln, aber nach mehr als einem Corona-Jahr ist niemanden mehr zum Lachen zumute. So etwas ist einfach nur noch niederschmetternd und macht mich fassungslos.
Ulrich Breulmann, Jahrgang 1962, ist Diplom-Theologe. Nach seinem Volontariat arbeitete er zunächst sechseinhalb Jahre in der Stadtredaktion Dortmund der Ruhr Nachrichten, bevor er als Redaktionsleiter in verschiedenen Städten des Münsterlandes und in Dortmund eingesetzt war. Seit Dezember 2019 ist er als Investigativ-Reporter im Einsatz.
