Erneut debattiert Deutschland leidenschaftlich darüber, wie die CDU/CSU mit der AfD umgehen sollte – und erneut ist dabei ein Begriff in aller Munde: „Brandmauer“. Aktueller Anlass: Die CDU hatte am Donnerstagabend im Thüringer Landtag eine Senkung der Grunderwerbsteuer gegen die rot-rot-grüne Minderheitsregierung durchgesetzt, indem sie eine Mehrheit mit FDP und AfD gebildet hatte.
Bundesinnenministerin Nancy Faeser (SPD) warf der CDU vor, damit einen gefährlichen Beitrag zur Normalisierung von Rechtsextremen geleistet zu haben, und sagte: „Die CDU reißt die ‚Brandmauer‘ nach rechts außen immer weiter ein.“ Die aus Thüringen stammende Bundestagsvizepräsidentin Katrin Göring-Eckardt (Grüne) sagte dem RBB, der Vorfall zeige, „dass nicht nur die ‚Brandmauer‘ nicht mehr da ist, sondern dass es eine offene Zusammenarbeit gibt“.
Mithilfe der AfD: CDU setzt Steuersenkung in Thüringen durch
Von der Gegenseite kam derweil Lob für die gemeinsame Abstimmung – ebenfalls unter Bezug auf den Begriff: „Merz‘ ‚Brandmauer‘ ist Geschichte – und Thüringen erst der Anfang“, schrieb AfD-Parteichefin Alice Weidel beim Kurznachrichtendienst X, vormals Twitter. Und aus Baden-Württemberg meldete sich AfD-Fraktionschef Daniel Lindenschmid: „Die künstlich aufgebauschte ‚Brandmauer‘ hat keinen Beistand.“
„Brandmauer“-Begriff ist knapp zwei Jahre alt
Doch woher kommt der „Brandmauer“-Begriff für das Verhältnis zwischen AfD und CDU überhaupt – und was war ursprünglich damit gemeint?
Das Schlagwort stammt aus dem Dezember 2021 – und von Friedrich Merz. Damals war er noch nicht Parteichef, aber auf dem besten Weg dahin: Die langjährige CDU-Vorsitzende und Kanzlerin Angela Merkel hatte im Oktober 2018 nach schweren Einbußen der Unionsparteien bei den Landtagswahlen in Bayern und Hessen ihren Abschied vom Parteivorsitz angekündigt, war aber bis zur Wahl Ende 2021 Bundeskanzlerin geblieben.
#Merz' Brandmauer ist Geschichte - und Thüringen erst der Anfang. Es wird Zeit, dem demokratischen Willen der Bürger überall in Deutschland zu entsprechen. #DeshalbAfD #AfD https://t.co/4LR3I4tCqN
— Alice Weidel (@Alice_Weidel) September 14, 2023
Auf einem CDU-Parteitag im Dezember 2018 hatte sich zunächst Merkels Wunschnachfolgerin Annegret Kramp-Karrenbauer gegen Jens Spahn und Friedrich Merz durchgesetzt. Merz hatte im parteiinternen Wahlkampf um den Chefposten auch versprochen, er werde konservative Wähler von der AfD zurück zur CDU holen: „Das traue ich mir zu, die AfD zu halbieren – das geht“, hatte er auf einer CDU-Regionalkonferenz im November 2018 gesagt und Applaus geerntet. Die AfD stand damals bei 15 Prozent, die Hälfte wären also 7,5 Prozent gewesen. Merz hielt daran auch 2019 noch fest.
Seine zweite Chance erhielt Merz, als Kramp-Karrenbauer ihrerseits zurücktrat: Nach Kritik an ihrer Amtsführung und weiteren Wahleinbußen hatte sie im Februar 2020 den Weg freigemacht. Anlass war auch damals eine gemeinsame Wahl von CDU, FDP und AfD im Thüringer Landtag: Die drei Fraktionen hatten den FDP-Mann Thomas Kemmerich ins Amt gewählt. CDU-Chefin Kramp-Karrenbauer hatte das weder verhindern noch in Gesprächen rückgängig machen können. Erst als Nochkanzlerin Merkel sich eingeschaltet hatte, gab die Thüringer CDU klein bei. Im Januar 2021 traten dann auf einem CDU-Parteitag Merz, der CDU-Bundestagsabgeordnete Norbert Röttgen und NRW-Ministerpräsident Armin Laschet gegeneinander an – hier gewann Laschet.
Merz wollte AfD halbieren
Erst nach Laschets Niederlage als Unionskanzlerkandidat bei der Bundestagswahl im September 2021 sprach sich Mitte Dezember eine deutliche Mehrheit der CDU-Mitglieder in einer schriftlichen Befragung für Merz als Parteichef aus (klar unterlegen waren Röttgen und Ex-Kanzleramtschef Helge Braun).
Nach diesem Erfolg und bevor das Votum im Januar 2022 durch einen digitalen Parteitag bestätigt wurde, traf Friedrich Merz also Ende Dezember 2021 den „Spiegel“. Das Magazin zitierte ihn einen Tag vor Heiligabend auch mit „ersten Pflöcken“, die er strategisch eingeschlagen habe. So kündigte Merz an, eine Kooperation mit der AfD unter allen Umständen zu verhindern: „Mit mir wird es eine ‚Brandmauer‘ zur AfD geben“, sagte Merz damals dem „Spiegel“. „Die Landesverbände, vor allem im Osten, bekommen von uns eine glasklare Ansage: Wenn irgendjemand von uns die Hand hebt, um mit der AfD zusammenzuarbeiten, dann steht am nächsten Tag ein Parteiausschlussverfahren an.“
CDU-Generalsekretär versichert: Keine Zusammenarbeit mit der AfD
Merz betonte weiter: „Wir sind nicht die XYZ-Partei, die mit jedem kann. Wir sind die CDU.“ Er werde im Verhältnis zur AfD von Anfang an „sehr konsequent sein“. Franz Josef Strauß habe mal gesagt, dass eine Jacke, die man einmal falsch zuknöpfe, sich oben nicht mehr korrigieren ließe. „Da hatte er recht.“
Der seinerzeit designierte Parteivorsitzende sagte das auch mit Blick auf sein Image als Hardliner vom rechten Flügel der CDU. Um auch die liberalen CDU-Mitglieder mitzunehmen, die sich vor einem Rechtsruck unter Merz sorgten, wollte er jede Kooperation mit der AfD besonders klar ausschließen – vor allem nach Kramp-Karrenbauers Debakel im Umgang mit dem renitenten Thüringer Landesverband.
Irritation nach Sommerinterview
Angesichts des Umfragehöhenflugs der AfD rückte Merz in diesem Sommer von seinem Anspruch ab, die Werte der Rechtspopulisten halbieren zu können – gab dafür allerdings der Ampel die Schuld: „Wenn die Politik der Bundesregierung die AfD jetzt eher wieder stärkt, dann kann die Opposition sie nicht halbieren“, sagte Merz dem Portal „T‑Online“. „Eine ‚Zauberformel‘ war das nie, sondern eine Einschätzung vor vier Jahren“, so der CDU-Chef. „Ich wiederhole meine Formulierung des Jahres 2019 heute nicht mehr.“ Seinen Anspruch habe er damals unter völlig anderen Umständen formuliert – und seit vier Jahren nicht mehr wiederholt. Er wolle der AfD einen „klaren Kurs mit Maß und Mitte“ entgegenhalten.
An der „Brandmauer“, die zwischen Union und AfD stehe, hielt Merz allerdings bislang fest – auch wenn zahlreiche Kritiker ihm vorwarfen, dass eine Aussage aus diesem Juli daran Zweifel geweckt habe. Auf die Frage, wie die CDU auf Kommunalebene damit umgehen sollte, wenn dort – wie zuvor in Thüringen und Sachsen-Anhalt geschehen – AfD-Politiker zu Bürgermeistern oder Landräten gewählt werden, sagte Merz im ZDF-Sommerinterview: „Natürlich muss dann in den Kommunalparlamenten nach Wegen gesucht werden, wie man die Stadt, den Landkreis gestaltet.“
Der CDU-Chef hatte daraufhin scharfe Kritik auch von hochrangigen Unionspolitikern erhalten, unter anderem von den wahlkämpfenden Ministerpräsidenten von Bayern und Hessen, Markus Söder (CSU) und Boris Rhein (CDU). Schon zu diesem Zeitpunkt wurde mehrmals die Frage gestellt: „Bröckelt die ‚Brandmauer‘?“ AfD-Co-Parteichef Tino Chrupalla hatte auf X, vormals Twitter, zu den Merz-Äußerungen geschrieben: „Nun fallen erste Steine aus der schwarz-grünen ‚Brandmauer‘. In Ländern und Bund werden wir die Mauer gemeinsam niederreißen.“ Seine Co-Chefin Weidel eröffnete den AfD-Parteitag in Magdeburg wenig später mit dem Appell: „Reißt diese Brandmauer nieder!“
Einen Monat später betonte Merz dann im ARD-Sommerinterview, dass er jegliche Zusammenarbeit mit der AfD ausschließe – auch auf kommunaler Ebene: „Wir haben eine klare Beschlusslage in der CDU. Wir arbeiten mit der AfD nicht zusammen. Nicht in den Parlamenten, nicht in den Kommunalvertretungen“, sagte Merz im ARD-„Sommerinterview“. Auf die Nachfrage, ob dies auch für die kommunale Ebene gelte, ergänzte er: „Ein Nein ist ein Nein. (...) Auch auf kommunaler Ebene.“
Die Bemerkung im ZDF habe sich nicht auf die CDU allein bezogen, betonte er. Der Umgang mit der AfD sei „eine Herausforderung für alle Parteien. Das schließt die SPD ein, die Grünen ein, die FDP ein, wenn es Freie Wähler gibt, auch die. Wir müssen nach Wegen suchen, und wir finden diese Wege auch.“ Es gebe „in allen Parlamenten in Deutschland, in allen, auch in allen Kommunalvertretungen, Mehrheiten ohne die AfD“.
Und Merz fügte hinzu: „Eine richtige Sache wird dadurch nicht falsch, dass sie von den falschen Leuten gesagt wird. Wir machen unsere Politik nach unseren Überzeugungen, und damit ist alles gesagt.“ Offenbar lag er zumindest mit dem letzten Halbsatz falsch, wie die Debatte nach dem Abstimmungsergebnis von Thüringen nun zeigt.