Um 10.30 Uhr ist es noch vergleichbar ruhig im Zentrum Waltrops. Dort, wo eine halbe Stunde später die Mai-Kundgebung des Deutschen Gewerkschaftsbundes beginnen soll. Gleich wird Bundes-Politprominenz in der Fußgängerzone erwartet.
Wie hat es denn der vergleichbar kleine Waltroper Ortsverband geschafft, die Co-Chefin der Grünen im Bundestag, Ricarda Lang, nach Waltrop zu holen? Björn Jadzinski, der die Kundgebung zum Tag der Arbeit gemeinsam mit Waltrops DGB-Chefin Kathrin Jewanski und Monya Buß reaktiviert hat: „Der DGB Emscher-Lippe wollte unsere Aktion unterstützen und bot an, uns den Kontakt herzustellen.“ Grünen-Ratsfrau Monya Buß: „Das ist schon ein Supergefühl, dass sie kommt. Aber ich bin schon aufgeregt“, gibt sie zu.
In zwei schwarzen Limousinen mit Berliner Kennzeichen sitzen Beamte des Bundeskriminalamts. Dann steigen sie aus, reden mit den Polizeikräften.
Und dann rollt der Wagen mit „ihr“ an. Wer ebenfalls eine schwarze Limousine erwartet hat, wird enttäuscht. Es ist der Familien-Passat von Familie Kremer. Der engagierte Waltroper SPD-Mann Felix Kremer sagt: „Ich bin im April gefragt worden, ob ich am 1. Mai Zeit hätte. Da fragte ich: Ja, warum? Du musst Politprominenz kutschieren“, erzählt Felix Kremer mit einem Schmunzeln. So holte er Ricarda Lang vom Dortmunder Bahnhof ab. „Und wir haben im Auto nett geplaudert. Sie hat nicht aufs Handy geschaut. Sie hat sich auch für mein Studium interessiert“, schildert Felix Kremer, der kurz vor der Ankunft noch einen Abstecher ins SPD-Büro mit ihr gemacht hatte. „Damit sie sich noch einmal frisch machen kann“, erläutert der Waltroper.

Als die 30-jährige Bundespolitikerin am Kiepenkerlbrunnen aussteigt, fragt sich ein Besucher, warum sie denn eine rote Bluse trägt. „Das ist doch eine Grüne!“ Ein Nachbar glaubt: „In Anlehnung an die Farbe des DGB, deshalb Rot.“ Während eines Interviews mit einem Fernsehsender stehen die BKA-Beamten ganz in ihrer Nähe. Per „Knopf im Ohr“ und Mikros im Sakko-Ärmel kommunizieren sie. Haben das gesamte Umfeld im Blick. Als aus einem Fenster Parolen gebrüllt werden, ist die Polizei zur Stelle. Ricarda Lang nimmt ein kurzes Bad in der Menge, ehe sie an einem Bierzelttisch Platz nimmt. Sie scheint bester Laune zu sein, plaudert mit ihren Tischnachbarn.

Dass unter den von der Polizei geschätzten 250 Besuchern der Kundgebung nicht nur jene sind, die sich die Argumente der Rednerinnen und Redner anhören wollen, wird schon bei der Ansprache von Bürgermeister Marcel Mittelbach deutlich. Souverän kontert jener den Zwischenrufen: „Wer schreit, der lügt.“ Applaus vom absoluten Großteil des Publikums. Nach seiner kurzen Rede stellt er sich der Kritik der wohl fünfköpfigen Gruppe. Erneut sagt Mittelbach: „Schreien Sie mich nicht an.“ Ein Austausch von Argumenten scheint nicht zu funktionieren. Auch die Rede von Henrike Eickholt, Geschäftsführerin Landesfachbereich Handel bei Verdi NRW, wird unterbrochen, doch auch sie kontert souverän.

Richtig laut wird es, als Ricarda Lang ans Mikro tritt. Ohrenbetäubender Triller-Pfeifen-Lärm. Besucherinnen und Besucher, die sich für die Inhalte der Reden interessieren, fahren ihre Nachbarn an: „Seid doch leiser, ich will da zuhören.“ Das tun diese aber nicht. Auch nicht Menschen, die T-Shirts tragen mit der Aufschrift: „Halt die Fresse“. Kurz nach 13 Uhr ist der Spuk wieder vorbei. Die Störer sind weg, denn der überwiegende Teil kommt gar nicht aus Waltrop.
Ricarda Lang verabschiedet sich gen Recklinghausen, wo sie noch einen Auftritt bei der Eröffnung der Ruhrfestspiele hat. Die Polizei hat ihren Job erledigt, ebenso die BKA-Beamten, die Ricarda Lang in Waltrop keinen Moment aus den Augen gelassen haben.

Hinweis der Redaktion: Dieser Artikel erschien ursprünglich am 1. Mai 2024.