Der CDU-Politiker Kai Wegner ist im dritten Versuch zum neuen Regierenden Bürgermeister von Berlin gewählt worden. In einem mehrstündigen Wahlkrimi hat das Berliner Abgeordnetenhaus erstmals seit mehr als 20 Jahren wieder einen CDU-Politiker zum Regierenden Bürgermeister gewählt. Er erhielt in der geheimen Abstimmung 86 Ja-Stimmen, genau so viele, wie die Koalitionspartner CDU und SPD zusammen an Abgeordneten haben. Wegner nahm die Wahl an. 70 Abgeordnete stimmten im dritten Wahlgang gegen Wegner.
Zweimal verfehlte der 50-Jährige die Mehrheit, obwohl die CDU und ihr neuer Koalitionspartner SPD über genügend Mandate verfügen. Im dritten Wahlgang erklärte die AfD ihre Unterstützung für Wegner. Wie viele AfD-Abgeordnete für den CDU-Mann stimmten, blieb offen. Doch kam heftige Kritik unter anderem von Grünen und Linken.
Wegner übernahm unmittelbar nach seiner Wahl die Amtsgeschäfte im Roten Rathaus von der SPD-Politikerin Franziska Giffey. Diese hatte nach einer Schlappe bei der Wiederholung der Abgeordnetenhauswahl im Februar die Koalition mit Grünen und Linken beendet, auf das Amt der Regierenden Bürgermeisterin verzichtet und ein Bündnis mit der CDU geschmiedet. Doch gibt es in der SPD Widerstände gegen Schwarz-Rot. Bei Wegners Wahl fehlten im ersten und zweiten Anlauf etliche Stimmen.
Die neue Koalition aus CDU und SPD verfügt über 86 Stimmen und die Opposition aus Grünen, Linken und AfD über 73. Die Mehrheit lag bei 80 Stimmen. Im ersten Wahlgang bekam Wegner zunächst 71 Ja-Stimmen, im zweiten Anlauf 79. Erst im dritten Wahlgang kamen 86 Stimmen für Wegner zusammen. Da die AfD ihr Votum für Wegner angekündigt hatte, stand der Verdacht im Raum, dass der neue Regierungschef von der Unterstützung der Rechtspartei abhängig gewesen sein könnte.
Wegner will sich von möglichen AfD-Stimmen bei seiner Wahl nicht beirren lassen. „Ich glaube, dass die AfD hier chaotisieren will", sagte der CDU-Politiker in einem RBB-Spezial. „Sie will das nutzen. Weil ich mir beim besten Willen nicht vorstellen kann, dass die AfD einen Regierenden Bürgermeister wählt, der die größte AfD-Jägerin aus ganz Deutschland nach Berlin holt. Von daher ist das 'ne Taktik, 'ne Strategie. Davon lasse ich mich aber nicht beirren." Mit „AfD-Jägerin" dürfte Wegner sich auf die neue Justizsenatorin Felor Badenberg beziehen, die zuvor im Bundesamt für Verfassungsschutz arbeitete und sich auch um die Einstufung der AfD als rechtsextremistischer Verdachtsfall kümmerte.
Auf die Frage nach einem bitteren Beigeschmack des Wahlablaufs sagte Wegner: „Das hätte ich mir natürlich anders gewünscht. Das hätten wir uns von der Koalition von CDU und SPD anders gewünscht." Aber der dritte Wahlgang sei verfassungsgemäß geregelt: „Der ist regulär." Daher freue er sich.
„Regierender Bürgermeister von Gnaden der AfD-Faschos"
Berlins SPD-Landes- und Fraktionschef Raed Saleh sagte der Deutschen Presse-Agentur: „Am Ende hat es funktioniert mit einer eigenen Mehrheit von 86 Stimmen." Dass drei Wahlgänge nötig gewesen seien, sei nicht schön. „Aber es ist nicht das erste Mal, dass es nicht im ersten oder zweiten Wahlgang funktioniert", sagte Saleh. „Die Verfassung sieht ja genau deshalb drei Wahlgänge vor. Aber ich hätte mir natürlich etwas anderes gewünscht."
Die Grünen-Bundesvorsitzende Ricarda Lang schrieb auf Twitter: „Die SPD und die CDU in Berlin haben der Stadt, der Demokratie und der politischen Kultur heute großen Schaden zugefügt, indem sie ohne sichere Mehrheit in den dritten Wahlgang gegangen sind - und so zugelassen haben, dass die AfD die Wahl Wegners für sich reklamieren kann." Jan Korte, Linken-Fraktionsgeschäftsführer im Bundestag, schrieb: „Wegner lässt sich ohne Skrupel vereidigen, trotz des Verdachts, Regierender Bürgermeister von Gnaden der AfD-Faschos zu sein."
Die Berliner AfD-Fraktionsvorsitzende Kristin Brinker konnte nicht sagen, wie viele ihrer Kollegen tatsächlich für Wegner votiert hatten. „Es war eine geheime Wahl", sagte sie. „Es waren nicht alle Abgeordneten, es gab auch welche, die nicht für Wegner stimmen wollten." Auf Nachfrage der Deutschen Presse-Agentur bestätigten zunächst fünf der 17 AfD-Parlamentarier ihre Stimme für Wegner.
Erinnerungen an die Wahl von Wowereit
Vor dem dritten Wahlgang hatten CDU und SPD gegen einen Antrag der Grünen und der Linken gestimmt, die die Wahl des Regierenden Bürgermeisters vertagen wollten. Politiker von CDU und SPD hatten sich nach dem zweimaligen Scheitern Wegners gegenseitig die Schuld für das Wahl-Debakel zugewiesen - beide Seiten vermuteten die Abweichler in den Reihen der jeweils anderen Partei.
Die dramatisch verlaufene Abstimmung weckte Erinnerungen an die Wahl des früheren Regierenden Bürgermeisters Klaus Wowereit (SPD) im Jahr 2006. Der SPD-Politiker war damals erst im zweiten Wahlgang mit der knappsten Mehrheit von einer Stimme wiedergewählt worden. Parallelen wurden auch gezogen zur Wahl des FDP-Politikers Thomas Kemmerich in Thüringen, der 2020 mit Stimmen von CDU und AfD für kurze Zeit Ministerpräsident von Thüringen wurde.
Wegner: Koalition mit SPD eine Vernunftehe
Wegner ist der erste Regierende Bürgermeister aus Reihen der CDU nach Eberhard Diepgen, der dieses Amt bis Juni 2001 innehatte. Seither hatte stets die SPD im Roten Rathaus das Sagen, seit 2016 in einer Koalition mit Grünen und Linken.
Wegner ist Versicherungskaufmann und wurde in Berlin-Spandau geboren. 1989 trat er in die Junge Union, die Jugendorganisation der CDU, ein. 1995 wurde er in Spandau Bezirksverordneter, 1999 Mitglied des Berliner Abgeordnetenhauses. Von 2005 bis 2021 saß er für die CDU im Bundestag.
2019 wählte ihn die Berliner CDU zum Landesvorsitzenden und 2021 zum Spitzenkandidaten. Bei der Wahl zum Abgeordnetenhaus 2021 schaffte es Wegner mit seiner Partei nur auf Platz drei. Erst die Wiederholungswahl brachte die CDU mit gut 28 Prozent auf den ersten Platz, die SPD stürzte auf nur wenig mehr als 18 Prozent ab.
Wegner profitierte von einer großen Unzufriedenheit - viele Hauptstädter sind genervt, dass ihre Verwaltung nicht gut funktioniert. Dass die Abgeordnetenhauswahl von 2021 wegen gravierender Mängel komplett wiederholt werden musste, war für viele das i-Tüpfelchen.
Wegner sieht die Koalition mit der SPD nach eigenen Worten als Vernunftehe. Im Koalitionsvertrag vereinbart sind unter anderem ein milliardenschweres Klimaschutzprogramm, eine Reform der Verwaltung, eine bessere Ausstattung für Polizei und Feuerwehr und ein deutliches Vorankommen beim Wohnungsbau. Die Digitalisierung und Verwaltungsmodernisierung will Wegner zur Chefsache machen. Vorgängerin Giffey übernimmt im neuen Senat den Posten der Wirtschaftssenatorin.
dpa
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