Auch Förster Karlheinz Schlott rätselt um den Granatenfund im Oer-Erkenschwicker Waldgebiet Haard

Auch Förster Karlheinz Schlott rätselt über den Granatenfund im Oer-Erkenschwicker Waldgebiet Haard. © Holz/Feuerwehr OE

Nach Flächenbrand im Waldgebiet Haard: Experten rätseln über Granaten-Fund

rnBeinahe-Katastrophe durch chemische Reaktion?

Der durch eine Weltkriegs-Granate ausgelöste Flächenbrand im Waldgebiet Haard in Oer-Erkenschwick gibt Experten Rätsel auf. Könnte eine Scheinzeche zur Lösung beitragen?

Oer-Erkenschwick

, 11.08.2022, 16:10 Uhr / Lesedauer: 2 min

Nach dem Einsatz der Feuerwehr im Waldgebiet Haard in Oer-Erkenschwick (10. 8.), bei dem augenscheinlich eine alte Granate aus dem Zweiten Weltkrieg einen Flächenbrand ausgelöst hatte, bleiben auch bei den Experten viele Fragen offen. Die Granate soll sich in der Nachmittagshitze selbst entzündet haben.

Experten rätseln um Granaten-Fund in Oer-Erkenschwick

„So etwas habe ich in dieser Form jetzt auch zum ersten Mal erlebt“, resümiert Oer-Erkenschwicks Feuerwehrchef Gerhard Pokorny. Es sei ein besonderer Einsatz für die Kollegen gewesen. „Natürlich haben wir schon viele Bombenentschärfungen begleitet, doch bei Verdachtsfällen sperren wir nur ab“, erklärt der Brandrat. Oft genug entpuppt sich vermeintliche Weltkriegsmunition als harmlos. „Wir haben sogar schonmal eine Eisenkugel vom Kugelstoßen ausgegraben“, erinnert sich Pokorny, der auf gut 42 hauptamtliche Dienstjahre zurückblickt. Eine sich selbst entzündende Granate war noch nicht dabei. Gerhard Pokorny ist auch einen Tag nach diesem Einsatz froh über den glimpflichen Ausgang: „Trockenheit und Hitze sind schon Gefahr genug. Das war wirklich in allerletzter Sekunde“, meint Pokorny.

Nahe dem Feuerwachturm Farnberg hatte sich das Feuer auf einer gut drei Quadratmeter großen Fläche ausgebreitet. Entdeckt hatte es ein aufmerksamer Spaziergänger - noch gerade rechtzeitig. „Denn der Wind weht kräftig und kann so ein Feuer schnell entfachen“, erklärt Pokorny, auch mit Blick auf die im Berliner Grunewald oder in Plettenberg wütenden Brände.

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Keine Munitionsdepots in der Haard

„Solche Fälle sind sehr selten“, weiß auch Karlheinz Schlott, Fachbereichsleiter für den Land- und Forstwirtschaftlichen Betrieb beim RVR Ruhr Grün. Natürlich schlummere noch Weltkriegsmunition im Boden des Waldgebietes, in dem es während des Zweiten Weltkriegs auch Kampfhandlungen gegeben habe. „Doch gibt es in der Haard keine verseuchten Flächen oder alte Munitionsdepots.“

Dass auch in einem Waldgebiet wie der Haard - eine etwa 55 km² große Hügellandschaft im Naturpark Hohe Mark im Norden des Kreises Recklinghausen - Weltkriegsmunition liegt, verwundert nicht. Die im Ruhrgebiet gelegenen Städte mit ihren zahlreichen Zechen und der Industrie waren häufige Ziele alliierter Angriffe - auch Oer-Erkenschwick mit seinem Bergwerk Ewald-Fortsetzung.

Der Bunker der Scheinzeche in Oer-Erkenschwick

Die Scheinzeche in der Haard sollte ab Juli 1940 nachts die Bomber von der echten Zeche ablenken. Die Beleuchtung der Zeche wurde imitiert, während die richtige Zeche abgedunkelt wurde. Der Bunker (Foto) diente als Schutzraum für die Bedienungsmannschaft. © Archiv

Nicht ohne Grund wurde inmitten der Oer-Erkenschwicker Haard darum im Zweiten Weltkrieg eine sogenannte Scheinzeche errichtet. Die Scheinanlage simulierte eine beleuchtete Zeche und sollte ab Juli 1940 nachts die Bomber von der echten Zeche ablenken.

Die Beleuchtung der Zeche wurde imitiert, während die richtige Zeche abgedunkelt wurde. Am 26. Juli 1940 fiel tatsächlich die erste von vielen Bomben auf die Scheinzeche, insgesamt wurden acht größere Angriffe verzeichnet. In der Haard kann man noch den Eingang des Bunkers erkennen, der als Schutzraum für die Bedienungsmannschaft diente. Und der befindet sich nur einen Kilometer Luftlinie entfernt vom Feuerwachturm Farnberg, in dessen Nähe der Flächenbrand ausbrach und die Granate gefunden wurde.

Vom Feuerwachturm Farnberg aus beobachten Brandwächter das Waldgebiet Haard.

Vom Feuerwachturm Farnberg aus beobachten Brandwächter das Waldgebiet Haard. © Meike Holz

Chemische Bomben können sich selbst entzünden

Aber: Niemand müsse sich sorgen, beim Spaziergang durch die Haard ständig über alte Weltkriegsmunition zu stolpern. Das sei sehr unwahrscheinlich. „Sollten Spaziergänger aber etwas Verdächtiges sehen, bitte nicht selbst anfassen“, warnt Förster Schlott. Stattdessen sofort Polizei (110) oder Feuerwehr (112) alarmieren und den Fundort in einiger Entfernung markieren.

Warum sich die Weltkriegs-Granate selbst entzündet hat, bleibt den Experten ein Rätsel - immerhin handelt es sich um ein mehr 80 Jahre altes Relikt, das im Waldboden lag. Aber: Durch anhaltende Hitze und Trockenheit kann sich phosphorhaltige Weltkriegsmunition im Erdboden selbst entzünden, wie die Deutsche Presse Agentur berichtete, als es 2018 in Rheinland-Pfalz ähnliche Fälle gegeben hatte. Es kommt zu einem Brand, wenn die Hülle der Granate durchgerostet ist und austretender Phosphor mit dem Sauerstoff in der Luft in Kontakt kommt. Normalerweise ist auch Waldboden feucht, sodass dies eben nicht passiert. Doch Hitze und Trockenheit haben die Böden der Haard längst ausgedorrt, und ein schonungsloser Krieg hat seinen explosiven „Müll“ eben auch tief im Wald hinterlassen.

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