62 Migranten sterben bei Bootsunglück vor Süditalien Viele Kinder unter den Opfern

Mindestens 43 Migranten tot nach Bootsunglück vor Süditalien
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Einen Tag nach dem Schiffsunglück vor der süditalienischen Küste ist die Zahl der toten Migranten auf 62 gestiegen. Am Montagmorgen wurden drei weitere Leichen entdeckt, wie Feuerwehr-Kommandant Roberto Fasano im TV-Sender RaiNews24 sagte. Nach Angaben der Nachrichtenagentur Ansa wurden die leblosen Körper zum Teil einige Kilometer vom Unglücksort Steccato di Cutro entfernt im Wasser und am Strand gefunden.

Am Sonntag hatten die Behörden zunächst 59 Tote bestätigt; darunter waren nach Angaben der Zeitung „La Repubblica“ gut ein Dutzend Kinder und mehr als 30 Frauen.

Rund 80 Menschen wurden gerettet oder konnten aus eigener Kraft die kalabrische Küste erreichen, nachdem ihr Boot gekentert war. Wie viele Menschen auf dem Holzkutter waren, darüber gibt es weiterhin keine gesicherten Angaben. Dutzende Menschen werden noch vermisst. Am Montag lagen am Strand von Steccato di Cutro zwischen Holzbrettern vereinzelt Kleidungsstücke, Spielsachen und der Kopf einer Kinderpuppe. Ersten Erkenntnissen zufolge waren die Migranten am vorigen Donnerstag in Izmir in der Türkei gestartet, hatten den Süden Griechenlands umfahren und dann Kurs auf Süditalien genommen.

Mutmaßlicher Schlepper festgenommen

Trotz schwieriger Witterungsbedingungen wollen die Helfer weiter nach Opfern und Überlebenden suchen. Mitarbeiter des Roten Kreuzes und der Organisation Ärzte ohne Grenzen kümmern sich um die Überlebenden. Wie ein Polizeivertreter auf Anfrage bestätigte, wurde ein Mann festgenommen, bei dem es sich um den Schlepper handeln soll.

UN-Generalsekretär António Guterres zeigte sich erschüttert vom „nächsten furchbaren Schiffbruch im Mittelmeer“, wie er zum Auftakt der Sitzung des UN-Menschenrechtsrats in Genf sagte. Er ermahnte die internationale Gemeinschaft zu mehr Anstrengungen. „Wir brauchen sichere, geregelte und legale Routen für Migranten und Flüchtlinge. Solange kriminelle Banden die Migrantenrouten kontrollieren, werden Menschen weiterhin verschwinden.“

Tote am Badestrand

Laut der Zeitung "La Repubblica" kamen die Migranten vor allem aus dem Iran, Pakistan und Afghanistan. Wo die Menschen in See gestochen waren, war zunächst noch nicht bekannt. Laut Ansa handelte es sich bei dem Unglücksboot um einen Fischkutter, dagegen sprach die italienische Finanzpolizei von einem Holzboot vom Typ Gulet. Darunter versteht man einen meist zweimastigen Motor-Segler. Der Unglücksort Steccato di Cutro ist ein Seebad in der Gemeinde Cutro am Zeh des italienischen Stiefels.

Hilfsorganisationen zeigten sich entsetzt. "Es ist menschlich inakzeptabel und unverständlich, warum wir immer wieder solche vermeidbare Tragödien erleben müssen. Es ist ein Faustschlag in den Magen", schrieb Sergio Di Dato, Projektleiter bei Ärzte ohne Grenzen auf Twitter. Während Helfer legale Wege der Einreise und auch mehr staatliche Seenotrettung fordern, versucht die rechte italienische Regierung, die Zahl der Migranten möglichst zu verringern.

Wrackteile liegen an der Küste an Strand.
Das Wrack des gekenterten Bootes wird am Strand bei Cutro angespült. © picture alliance/dpa/AP

Meloni appelliert an die Ausgangs- und Herkunftsländer

Ministerpräsidentin Giorgia Meloni zeigte sich entsetzt über das Unglück. "Es ist kriminell, ein kaum 20 Meter langes Boot mit gut und gern 200 Personen an Bord bei schlechten Wettervorhersagen aufs Meer zu schicken", schrieb sie. Ihre Regierung bemühe sich zu verhindern, dass solche Boote überhaupt ablegten. Sie fordere dabei ein Maximum an Kooperationsbereitschaft der Ausgangs- und Herkunftsländer. Ähnlich äußerte sich ihr Innenminister Matteo Piantedosi. "Dies ungeheure Tragödie zeigt, wie es absolut notwendig ist, mit Härte gegen die Netze der irregulären Einwanderung vorzugehen, in denen skrupellose Schlepper operieren", schrieb er.

EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen zeigte sich auf Twitter zutiefst betrübt über das Bootsunglück und sprach von einer Tragödie, bei der unschuldige Migranten gestorben seien. Sie forderte alle Beteiligten dazu auf, sich noch mehr um Fortschritte in der EU-Migrationspolitik zu bemühen.

Jedes Jahr versuchen Tausende Migranten auf oft wenig seetauglichen Booten über das Mittelmeer nach Italien und damit nach Europa zu gelangen. Sie brechen vor allem aus Libyen oder Tunesien auf, aber auch aus Griechenland oder der Türkei. Nach einem Bericht der Internationalen Organisation für Migration (IOM) starben seit Beginn der Erfassungen im Jahr 2014 mehr als 25.000 Menschen beim Versuch, auf der Mittelmeerroute nach Europa zu kommen.

Erinnerungen an schweres Bootsunglück von 2015

Bei einer der schwersten Flüchtlingskatastrophen kamen im April 2015 vor der libyschen Küste zwischen 800 und 900 Menschen um. Das vollkommen überfüllte Schiff war gesunken, weil die Menschen an Bord in Panik geraten waren, als ein anderes Schiff zur Rettung nahte. Das Wrack wurde vom Meeresgrund geborgen, ein Schlepper Ende 2016 in Catania (Sizilien) zu 18 Jahren Haft verurteilt.

Nach Angaben des italienischen Innenministeriums sind in diesem Jahr bis einschließlich Donnerstag schon 13.067 Migranten auf dem Seeweg ins Land gekommen, weit mehr als doppelt so viele wie im gleichen Vorjahreszeitraum (5273).

Ein Dekret der Regierung Meloni, das mit der Verabschiedung durch den Senat vergangene Woche Gesetz wurde, erschwert die Arbeit ziviler Seenotretter erheblich. So müssen sie nun schon nach der ersten Rettungsaktion einen italienischen Hafen ansteuern, anstatt womöglich mehrere Rettungen durchzuführen. Zudem werden ihnen oft Häfen zugewiesen, die weit vom Einsatzgebiet im zentralen Mittelmeer entfernt liegen, womit sie tagelang unterwegs sind. Allerdings kommt nur ein kleiner Teil der Migranten mit Rettungsschiffen wie der "Ocean Viking" oder der "Geo Barents" nach Italien. Der Großteil erreicht das italienische Festland und die Inseln ohne fremde Hilfe.

dpa

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