Ganze elf Bücher hat die Bochumerin Nathalie Bröske im November 2024 gelesen. „Und welche ich euch warum weiterempfehlen würde, sage ich euch jetzt“, beginnt sie ihr Instagram-Video vom 4. Dezember. Mit ihrem Profil „@nathalie_reads“ erreicht die 27-Jährige Hunderttausende bei Instagram und Tiktok. Damit ist sie eine der bekanntesten Booktokerinnen Deutschlands.
„Booktok“, das setzt sich aus „Book“ (Buch) und der Handy-App „Tiktok“ zusammen. Dabei handelt es sich um eine Gemeinschaft in den sozialen Medien, in der die Nutzer über ihre Lieblingslektüren sprechen. Häufig handelt es sich um Bücher aus den Genres „Young Adult“ (Junge Erwachsene), „Dark Romance“ (düstere Romantik) oder „Romantasy“ (Romantik und Fantasy) mit aufwendig gestalteten Buchdeckeln und -schnitten. In den Geschichten tauchen meist ähnliche „Book Tropes“ auf, also wiederkehrende Erzählmuster. Zum Beispiel „Enemies to Lovers“, bei dem Feinde zu Liebenden werden. Mehr als 138 Milliarden Mal wurden „Booktok“-Beiträge seit 2020 weltweit in den sozialen Medien aufgerufen.
Die Folgen für den Literaturmarkt sind groß: Namhafte Verlage wie Diogenes, Piper oder Rowohlt und Buchhandel-Riesen wie Thalia und Hugendubel sind auf den Trend längst aufgesprungen. Sie sind teilweise selbst auf Tiktok und Instagram unterwegs oder präsentieren die Booktok-Lieblinge in speziellen Ladenbereichen.
Jugend liest wieder mehr
Aber auch kleinere Buchhandlungen im Ruhrgebiet wissen Booktok zu nutzen. Bei Seitenreich in Dortmund-Huckarde spielt Booktook laut Inhaberin Sabine Kurmann seit fast anderthalb Jahren eine Rolle, mal mehr mal weniger. Seitdem bemerke sie einen Unterschied bei ihrer Kundschaft: „Mehr junge Leute haben endlich wieder einen Bezug zu Büchern.“
Das sagen auch die Zahlen. Laut Thomas Koch vom Börsenverein des deutschen Buchhandels zeigt sich bei der jungen Zielgruppe ein positiver Trend: „Bei Lesenden bis 19 Jahren steigen die Ausgaben innerhalb von fünf Jahren um 32 Prozent, bei den 13- bis 15-jährigen sogar um 65 Prozent und bei den 16- bis 19-jährigen um 77 Prozent.“ Zwar gebe es keine konkreten Zahlen zur Auswirkung von BookTok auf den Umsatz in der Branche, aber die Warengruppe Belletristik zum Beispiel, in die die Genres New und Young Adult fallen, verzeichnete 2023 ein Umsatzwachstum von 7,7 Prozent im Vergleich zum Vorjahr.

Was bei Nathalie Bröske 2021 während der Coronapandemie aus Langeweile und Spaß am Lesen entstand, begeistert mittlerweile mehr als 178.000 Follower bei Tiktok und noch mal 124.000 Follower bei Instagram. Weil sich so viele Menschen regelmäßig die Videos von Nathalie Bröske anschauen, ist Booktok ihr Vollzeitjob geworden. „Eigentlich habe ich Grundschullehramt studiert, aber seit zwei Jahren wächst mein Kanal so stark, dass ich auch Kooperationen mit Unternehmen eingehen kann“, erzählt Bröske.
Booktok: Menschen über Bücher kennenlernen
Das Tolle an Booktok sei für sie die Gemeinschaft: „Ganz viele unterschiedliche Menschen finden sich zusammen und quatschen über Bücher, man fühlt sich nicht mehr so allein.“ Bröske empfiehlt neben Thrillern am liebsten Fantasy- oder Dark-Romance-Romane. „Bevor ich über ein Buch spreche, weise ich aber immer auf eventuelle Altersempfehlungen oder ‚Triggerwarnungen‘ des Buches hin“, so Bröske. Damit meint sie Hinweise auf Gewalt im Text. Diese tauchen in dem Genre Dark Romance nämlich häufig auf.
Romane wie „Haunting Adeline“ von H. D. Carlton werden dafür kritisiert, gewalttätige Inhalte mit Liebesgeschichten zu vermischen. Nathalie Bröske ziehe deshalb eine klare Grenze bei Büchern, in denen Vergewaltigungsszenen beschrieben werden: „Da breche ich das Buch ab und empfehle es auch nicht weiter.“ Sie wünschte sich Altersbeschränkungen oder ähnliches, um den Zugang stärker zu regulieren.
Booktok ist häufig Impulsgeber für Bücherkauf
Insgesamt sind die sozialen Medien nämlich ein wichtiger Impulsgeber für Buchkäufe bei jungen Leuten: „Rund ein Drittel der jungen Menschen wird über die sozialen Medien auf Bücher aufmerksam. In der Gruppe der 16- bis 19-Jährigen sind es sogar 38 Prozent“, sagt Thomas Koch vom Börsenverein des Deutschen Buchhandels. Kurzzusammenfassungen sind für die jungen Menschen dabei am interessantesten. Die Daten stammen aus der Studie „Bock auf Buch! – Wie junge Menschen heute Bücher finden und kaufen“ aus dem Jahr 2024. Dennoch kaufen viele junge Menschen, die Buchtipps online erhalten, ihre Bücher klassisch in der Buchhandlung.
Und wer schreibt solche Booktok-Bücher? Zum Beispiel die Dortmunderin Anya Omah. Die 40-Jährige hat bereits einige „New Adult“-Romane veröffentlicht, die nicht nur in der Booktok-Welt sehr beliebt waren, sondern auch auf der Spiegel-Bestsellerliste landeten. „Gewaltverherrlichende Inhalte findet man in meinen Romanen aber keine.“

Ihr erstes Buch („Von dir verführt“) hat die gelernte Medizinisch-technische Laborassistentin und studierte Wirtschaftspsychologin vor fast elf Jahren geschrieben: „Da hatte ich einen anstrengenden Job, und das Schreiben war mein Ausgleich.“ Sie veröffentlichte es auf eigene Faust, also ohne Verlag, als E-Book bei Amazon. Damit war sie auf Anhieb so erfolgreich, dass sie ihren Job kündigen und Vollzeit als Autorin arbeiten konnte.
Seit 2021 schreibt Omah außerdem für den Rowohlt Verlag und landete mit ihrem ersten Verlagsbuch prompt einen Spiegel-Bestseller. Aber auch ihr selbstveröffentlichter Roman „Fake Roomie“ hat es 2024 wieder auf die Bestsellerliste geschafft. „Das ging zum Großteil mithilfe von Booktok“, sagt Omah. Also Marketing in Eigenregie.
Booktok-Autorin kooperiert mit Influencern
Vor einer Buchveröffentlichung verschickt sie Exemplare an bekannte Booktok-Influencer, auch an Nathalie Bröske. Und sie dreht für ihre Zehntausenden Follower Videos, in der Hoffnung, dass sie „viral gehen“, also von Hundertausenden gesehen werden. „In der Hand hat man das aber nie, es ist Glückssache.“
Dadurch, dass theoretisch jeder bei Tiktok erfolgreich sein kann, entsteht aber auch ein gewisser Druck. „Der Algorithmus bestraft es zum Beispiel sofort, wenn ich mal weniger Videos hochlade, weil ich keine Zeit habe“, sagt Anya Omah.
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