Einer der beiden Angeklagten steht mit seinen Verteidigern im Bochumer Landgericht.

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Bochumer wegen Millionen-Betrug mit Medican-Teststellen angeklagt: Dritter Verdächtiger in Türkei?

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Zwei Bochumer Unternehmer sollen Corona-Tests abgerechnet haben, die gar nicht durchgeführt worden waren. Doch zu Beginn des Medican-Prozesses erhebt auch die Verteidigung schwere Vorwürfe.

Bochum

, 02.12.2021, 11:19 Uhr / Lesedauer: 2 min

Mit schwindelerregend hohen Zahlen, schweigenden Angeklagten und einer teils zynischen Eröffnungserklärung der Verteidigung hat am Donnerstag am Bochumer Landgericht der Prozess um mutmaßliche Abrechnungsbetrügereien mit Corona-Schnelltests begonnen.

Zwei Verantwortliche der Bochumer Firma „Medican“ - Vater (48) und Sohn (26) - sollen die Pandemienotlage im Frühjahr eiskalt und blitzschnell zur persönlichen Bereicherung ausgenutzt haben. Die Anklage errechnet einen Betrugsschaden in Höhe von 25,1 Millionen Euro.

Gezielte Verschleierungen, aufgeblähte Abrechnungen, millionenschwere Überweisungen: Die Bochumer Staatsanwaltschaft wirft dem hauptangeklagten Vater vor, im Frühjahr kurz vor dem flächendeckenden Angebot von kostenlosen Bürgertests sofort deren „enormes wirtschaftliches Potenzial“ erkannt zu haben.

Bei den monatlichen Abrechnungen März und April 2021 soll die Firma das Vielfache der tatsächlich durchgeführten Corona-Schnelltest abgerechnet haben. „Der Angeklagte hatte erkannt, dass es im Rahmen der Abrechnung aufgrund der pandemiebedingten Notlage unmittelbar keiner Nachweise für die tatsächliche Erbringung der Testungen bedurfte“, so die Anklageschrift.

Anklage: Bundesvermögen wurde um 25,1 Millionen geschädigt

Unterm Strich soll der Hauptangeklagte fast eine Million gar nicht durchgeführte Tests gegenüber der Kassenärztlichen Vereinigung abgerechnet und dadurch das Bundesvermögen um 20,8 Millionen Euro geschädigt haben. Künstlich aufgeblähte Sachkosten und fälschlicherweise als ärztlicher Leistungserbringer abgerechnete Posten sollen der Firma Medican zu Unrecht weitere 4,3 Millionen Euro auf das Konto gespült haben.

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Recherchen von NDR, WDR und „Süddeutscher Zeitung“ hatten den Betrugsverdacht vor Monaten öffentlich gemacht. Reporter hatten vor verschiedenen Testzentren der Firma deutlich weniger Kunden gezählt, als später zur Abrechnung gebracht worden sind. Vater und Sohn waren am 2. Juni festgenommen worden. Der Hauptangeklagte sitzt nach wie vor in U-Haft, der wegen Beihilfe angeklagte Sohn war nach drei Wochen von weiterer U-Haft verschont worden.

Dritter Verdächtiger gilt als flüchtig

Die Anklage nennt mit einem Schwager des Vaters noch einen dritten Verdächtigen. Der Mann soll 2,6 Millionen Euro in die Türkei transferiert und sich dann abgesetzt haben. Er gilt aktuell offiziell als „flüchtig“. Zum Prozessauftakt beriefen sich beide Angeklagte vorerst auf ihr Schweigerecht. Der angeklagte Sohn will sich aber voraussichtlich am kommenden Prozesstag äußern.

Die Verteidiger des Hauptangeklagten, Reinhard Peters und Jan-Henrik Heinz, griffen in einer so genannten Eröffnungserklärung die staatsanwaltschaftlichen Ermittlungen scharf an. „Während also alle Welt die Toten der Pandemie beklagte und gleichzeitig alle Energie in die Bekämpfung des Virus steckte, hatte der Angeklagte von Anfang an vor, diese Umstände für sich zu nutzen und sich auf Kosten der Gesellschaft zu bereichern“, heißt es darin im zynischen Unterton.

Die Verteidiger verwiesen vielmehr auf die enormen Investitionen des Angeklagten. Er scheute keine Kosten und schaffte alte Linienbusse an, die er ausbaute und mit Technik versah“, verlas Verteidiger Reinhard Peters. Zahlreiche Bürgermeister und Einkaufszentren hätten den Angeklagten geradezu angefleht, „direkt einen Testbus zu schicken“. Die Staatsanwaltschaft jedoch habe gezielt einseitig ermittelt und den Angeklagten zum „Bösen“ ausgerufen.

Verteidiger gehen von richtigen Abrechnungen aus

Mit Blick auf die Schadenzahlen der Anklage heißt es in der Erklärung der Anwälte: „Wir die Verteidiger gehen davon aus, dass die Abrechnungen – wenn auch mit einer gewissen Unschärfe – richtig sind und dass die abgerechneten Tests den durchgeführten Tests weitestgehend entsprechen.“ Soll wohl heißen: Wenn überhaupt, dann gab es allenfalls Flüchtigkeitsfehler. Die Größenordnung der Anklage werde aber bei weitem nicht erreicht.

Für den Prozess vor der 6. Wirtschaftsstrafkammer sind vorerst noch 13 weitere Verhandlungstage bis zum 11. Februar 2022 anberaumt.

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