Werkstatt-Chef aus Oer-Erkenschwick vor Gericht „Verschleierung mit manipulierten Stundenzetteln“

Werkstatt-Chef vor Gericht „Verschleierung mit manipulierten Stundenzetteln“
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Mit verschleierter Schwarzarbeit durch ein ausgeklügeltes System von Scheinrechnungen soll ein Werkstattinhaber aus Oer-Erkenschwick die Finanz- und Sozialversicherungskassen um Millionen geprellt haben. Jetzt wird dem 41-Jährigen und vier Mitangeklagten aus Datteln, Recklinghausen, Herten und Bottrop der Prozess gemacht.

Hochgestellter Mantelkragen, schwarzer Pullover, konzentrierter Blick: Es war 8.35 Uhr, als sich der Cousin des Berliner Clanchefs Arafat Abou-Chaker in Saal A0.03 des Bochumer Landgerichts neben seinen Verteidigern Lars Brögeler und Lars Volkenborn einreihte.

Ein kurzes Gespräch, ein kräftiges Nicken – dann nahm der 41-Jährige Platz. Als Staatsanwalt Klaus-Peter Kollmann damit beginnt, die insgesamt knapp 20 Seiten umfassende Anklageschrift zu verlesen, wirkt der Werkstatt-Chef nachdenklich, blickt teilweise minutenlang wie gedankenverloren starr geradeaus. Er weiß genau: Nicht zuletzt wegen seiner Vorstrafen geht es für ihn um viel.

Angeklagte und Verteidiger sitzen in einem Gerichtssaal.
Die fünf Angeklagten und ihre Verteidiger wenige Minuten vor dem Prozessauftakt am 19. April am Landgericht. © Werner von Braunschweig

Die Anklagevorwürfe konzentrieren sich zeitlich auf den Abschnitt vom 2. März 2021 bis zum 14. Juni 2022 und inhaltlich auf kriminelle Geschäfte einer von dem Oer-Erkenschwicker offenbar parallel zu seinem Kfz-Betrieb geleiteten Sicherungsfirma.

Diese Firma soll als Subunternehmerin im Auftrag der Deutschen Bahn AG im Bereich der Gleissicherung aktiv gewesen sein. Jahresumsatz laut Anklage: 7,5 Millionen Euro.

Laut Staatsanwaltschaft wurden Arbeiter in der Sicherungsfirma systematisch an der Sozialversicherung vorbei bezahlt. Der Stundenlohn soll 13 Euro „schwarz“ betragen haben.

„Zur weiteren Gewinnmaximierung“, so Staatsanwalt Kollmann, wurden auch die Auftraggeber ausgetrickst. Laut Anklage wurden „in zahlreichen Fällen unter Vorlage manipulierter Stundenzettel Arbeitskräfte abgerechnet, die tatsächlich gar nicht auf den Baustellen tätig waren“.

Der Deutschen Bahn AG und deren Tochterfirmen sollen im Zeitraum 2021/2022 insgesamt etwa 220.000 Arbeitsstunden in Rechnung gestellt und laut Buchhaltung dafür „über 300 unterschiedliche Arbeiter“ eingesetzt worden sein.

Die wahren Zahlen sahen laut Anklage ganz anders aus: Für das Jahr 2021 waren 28, für 2022 neun Arbeiter sozialversicherungspflichtig angemeldet.

Einsatzwagen der Polizei stehen am Straßenrand in Oer-Erkenschwick.
Vor einem Kfz-Betrieb an der Ludwigstraße in Oer-Erkenschwick reihten sich am 22. Juni 2023 die Polizeiautos auf. © privat

Den Schaden beziffert die Anklage auf mehr als zwei Millionen Euro. Durch überhöhte Rechnungen soll die Sicherungsfirma ihre Auftragsgeber um rund 150.000 Euro, durch Doppelabrechnungen um weitere rund 80.000 Euro geprellt haben.

An Sozialversicherungsbeiträgen sollen rund 1,6 Millionen Euro vorenthalten und veruntreut worden sein. Durch unberechtigte Geltendmachung von Vorsteuern sollen Umsatzsteuern in Höhe von knapp 600.000 Euro verkürzt worden sein.

Zur Verschleierung Stundenzettel fingiert

Alle für den Einsatz der Schwarzarbeit notwendigen Maßnahmen sollen stets „auf Weisung“ des Werkstatt-Chefs und konkret von den Mitangeklagten aus Recklinghausen und Bottrop durchgeführt worden sein.

„Zur Verschleierung wurden unter anderem Stundenzettel fingiert, Scheinrechnungen erworben beziehungsweise selbst erstellt und in die Buchhaltung eingepflegt“, heißt es in der Anklage.

Der Angeklagte aus Herten soll als „Bestecher“ fungiert und Bauleitern von Fremdfirmen im Gegenzug für aufpolierte Stundenzettel Geschenke zukommen lassen haben. Der Angeklagte aus Datteln soll als formeller Geschäftsführer eingetragen gewesen sein.

Die Anklage lautet auf gewerbs- und bandenmäßigen Betrug, Bestechung, Beitragsvorenthaltung, Untreue und Steuerhinterziehung.

Zum Prozessauftakt vor der 10. Strafkammer hat sich noch keiner der Angeklagten zu den Vorwürfen geäußert. Das war aber auch noch gar nicht möglich, weil ein Teil der Anklage aus Termingründen erst am folgenden Prozesstag (weiter)verlesen werden kann.

Die Richter haben sechs Verhandlungstage bis zum 24. Juni angesetzt.

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