
Man stelle sich vor, das Land würde über die Versorgung von Kranken sagen: „Sorry, das ist nicht unsere Baustelle, dafür haben wir keine Kompetenz. Der Bedarf? Geht uns nichts an! Im Übrigen sollten Kliniken prinzipiell nur durch bürgerschaftliches Engagement errichtet werden.“
Undenkbar, geht doch gar nicht? Doch. Zwar nicht bei Krankenhäusern, sehr wohl aber bei Hospizen, die Menschen am Ende ihres Lebens bis zum Tod begleiten.
„Das Land Nordrhein-Westfalen hat keine Planungskompetenz für die Errichtung von Hospizen und führt deshalb keine Bedarfsplanung durch. Die Errichtung neuer Hospize erfolgt in der Regel aufgrund bürgerschaftlichen Engagements.“
So steht es nüchtern in einer vor wenigen Tagen veröffentlichten Antwort der Landesregierung auf eine Kleine Anfrage der SPD zur Situation der Hospize und Hospizdienste in Nordrhein-Westfalen.
„Was für eine wunderbare Gesellschaft“
Keine Kompetenz? Keine Bedarfsplanung? Mit der Errichtung von Hospizen will das Land nichts zu tun haben? Was sagt das über unser Land, wenn wir so mit Sterbenden umgehen? Wir sollten die Sache aus zwei Blickwinkeln betrachten.
1. Man kann das Ganze durchaus positiv sehen, denn: Obwohl sich das Land raushält, ist die Zahl der Hospizplätze in den vergangenen Jahren deutlich gestiegen. Das ist ein Verdienst der vielen Initiativen, in denen sich Menschen auf den Weg machen, Zeit und Geld opfern, um Räume zu schaffen, in denen würdevolles Sterben möglich ist. Was ist das für eine wunderbare Gesellschaft, die Menschen hat, die sich so vorbildlich engagieren!
„Von diesem Personalschlüssel können Kliniken nur träumen“
Aktuell gibt es nach Angaben des Landes 713 Hospizplätze für Erwachsene und 52 für Kinder und Jugendliche. Das reiche, sagt Christoph Voegelin, stellvertretender Vorsitzender des Hospiz- und Palliativverbandes NRW, gegenüber unserer Redaktion: „Da sehe ich nicht das größte Problem“.
Auch einen Fachkräftemangel, den das Land als „zunehmendes Problem“ benennt, erkennt Voegelin nicht: „Wir haben keine Probleme, in unseren Häusern Stellen zu besetzen. Viele wollen gerade im Hospiz arbeiten, weil es im Grunde genau das ist, was Pflegende in der Ausbildung gelernt haben, nämlich den Menschen in den Mittelpunkt zu stellen.“ (Am Rande: Wenn das nur in einem Hospiz möglich ist, was sagt das über unsere Kliniken und Pflegeheime? Aber das ist wieder ein anderes Thema.)
In „seinem Hospiz“, das Voeglin in Bottrop leitet, seien „immer mindestens zwei examinierte Pflegekräfte für acht Gäste im Dienst. Dazu kommen Schüler, Praktikanten, die als Mensch mit eingerechnet werden können, auch wenn die fachliche Ausbildung noch nicht abgeschlossen ist“. Ein Personalschlüssel, von dem Kliniken, Alten- und Pflegeheime nur träumen können.
Was fehle, sei eine bessere ambulante Versorgung. „Das würde viele Aufnahmen in stationäre Hospize vermeiden.“ Schließlich wünschten sich die Menschen, solange wie möglich zu Hause betreut zu werden. Irgendwann seien dem zwar Grenzen gesetzt, sagt Voegelin, aber: Oft würde es eben doch gehen, wenn nur die ambulante pflegerische und palliative Versorgung zu Hause und in Pflegeheimen besser wäre.
Was Hospizen finanziert wird und was nicht
2. So löblich bürgerschaftliches Engagement – vor allem in ambulanten Hospizdiensten – auch ist, so sehr hat es doch einen schalen Beigeschmack, dass Hospize noch immer um Spenden betteln müssen. Ausgerechnet bei Menschen, die den Tod vor Augen haben, wird geknausert. Ich halte das für unwürdig und bin sicher, dass sich genügend Sparmöglichkeiten an anderer Stelle finden würden, wenn man denn wollte.
Zwar müssen die Gäste des Hospizes keine Zuzahlungen leisten, aber für das Hospiz gilt das nicht. Ein Hospiz erhält nur 95 Prozent des mit den Kassen vereinbarten Tagessatzes erstattet.
Die restlichen 5 Prozent muss jedes Hospiz durch Spenden aufbringen. Da müssen viele tausend Euro im Jahr gesammelt werden. „Und beim Tagessatz geht es ja nur um fixe Kosten. Sanierungen, Reparaturen, Erweiterungen, wünschenswerte, aber damit nicht abgedeckte Angebote kommen noch hinzu. Die müssen wir selbst finanzieren“, erzählt Voegelin.
Und das sei ein echtes Problem: „Es wird immer schwieriger, Spenden zu bekommen. Es gibt zig weitere Vereine und Verbände, die genauso nötig sind wie ein Hospiz. Der Spendenkuchen wird insgesamt aber nicht größer, daher werden die einzelnen Stücke immer kleiner.“
„Da kommt in den nächsten Jahren was auf uns zu“
Er wünscht sich daher, „dass das Land uns mehr unterstützt.“ Bisher gebe es ja nicht einmal einen Bedarfsplan. Dabei ist klar: Auch wenn eine wachsende Lebenserwartung nicht direkt eine in gleicher Größenordnung wachsende Zahl an Hospiz-Gästen nach sich zieht, wäre es weltfremd, einen sinkenden Bedarf anzunehmen.
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