
Sind Sie zufrieden mit dem Wahlausgang? Im September 2024 wünschten sich satte 59 Prozent ein Ende der Ampel. Und jetzt? CDU und SPD werden eine Koalition bilden, Friedrich Merz wird Kanzler, FDP und BSW sind raus. Und die AfD ist mit über 20 Prozent zweitstärkste Kraft.
Wird sich jetzt alles zum Besseren wenden? Fest steht: Die Neuwahlen haben kein einziges Problem gelöst. Zudem kommt da ein Mann ans Ruder, der Regierungsarbeit nur als Zuschauer kennt. Trotzdem bin ich Optimist und denke: Am Ende werden die das schon hinkriegen. Mit welchem Ergebnis? Wir werden sehen. Das ist aber nur das eine große Problem.
Die viel größere Herausforderung – lassen wir mal Trump und die aufgekündigte Freundschaft der USA außen vor – dürfte sein, eine Antwort auf die Frage zu finden: Wie verhindern die Parteien der demokratischen Mitte, dass wir in vier Jahren mit einer rechtsextremen Kanzlerin Alice Weidel aufwachen? Mit einer Frau, die dem Faschisten Björn Höcke ein Ministeramt zutraut?
Die „Schmeißfliegen-Strategie ist gescheitert“
Der Wahlausgang bestätigt: Die Doppel-Strategie der vergangenen Jahre von CDU/ CSU, SPD, Grünen und FDP ist gescheitert. Das gilt erstens für ihren Versuch, in einen ebenso harten Kurs gegen Migranten umzuschwenken wie die AfD. Das konnte nicht funktionieren und funktioniert auch in Zukunft nicht. Niemand wählt eine schlechte Kopie, wenn das Original zu haben ist.
Das gilt zweitens für das Bemühen, die AfD zu ignorieren wie eine lästige Schmeißfliege. Das hat das genaue Gegenteil bewirkt und die AfD beflügelt. „Haben wir doch gesagt: Die interessieren sich nicht für eure Sorgen und Nöte.“
Die Rechtsaußen haben eine feine Antenne für Aufreger. Dabei spielt die AfD nicht nur mit der Angst vor Überfremdung. Sie trommelt auch mit (Ausländer-)Kriminalität, Wohnungsnot, Inflation, Rundfunkgebühr, Gendern, Bürgergeld, Kriegsangst und Bürokratie-Wahn, um nur einige andere Reizthemen zu nennen.
Die AfD schert sich nie um das, was ist, sondern verkauft Ideologie pur als Tatsache. Ihr geht es um „gefühlte Wahrheiten“, nie um Fakten. Sie schürt Emotionen, hat für kein einziges Problem eine akzeptable Lösung – aber Erfolg.
Die etablierten Parteien haben zu lange einen Bogen um die „Pfui-Teufel-AfD-Themen“ gemacht. So punktet die AfD selbst mit Nischen-Themen wie dem Gendern, das nun wirklich nicht über Wohl und Wehe unseres Landes entscheidet, aber den Nerv vieler trifft. Und die Alt-Parteien? Sie verhalten sich „politisch korrekt“ und verlieren.
„Allein aus wirtschaftlichen Gründen alles abstruser Unfug“
So ähnlich funktioniert das auch bei Rand-Themen wie Trans-Sexualität oder Cannabis. Die AfD tönt in Dauerschleife, dass der Staat die Menschen gängele, wie sie wohnen, heizen, Auto fahren, trinken, rauchen, essen und leben sollen. Sie bestreitet einen vom Menschen gemachten Klimawandel.
Will Windräder abreißen und Atomkraftwerke bauen. Kämpft für einen EU-Austritt und ein Ende des Euro. Lehnt E-Autos ab und setzen auf Verbrenner – obwohl das die kriselnde deutsche Autoindustrie endgültig ruinieren würde. Allein aus wirtschaftlichen Gründen alles abstruser Unfug.
In dieser Wir-räumen-auf-Propaganda steckt übrigens eine groteske Ironie: Ausgerechnet viele AfD-Wähler wären die größten Verlierer, würde die AfD mitregieren.
„Schnurstracks ins Desaster“
Die Alt-Parteien haben den Kardinalfehler begangen, die AfD zu unterschätzen und die von ihr aufgerufenen Themen nicht ernst genug zu nehmen. Es ist Zeit für ein Eingeständnis: Die von der AfD in ermüdender Penetranz wiedergekäuten Themen sind richtig, weil sie den Bürgern wichtig sind.
Was falsch war, falsch ist und falsch bleiben wird, sind die von der AfD angebotenen vorgeblichen „Lösungen“. Die würden unser Land schnurstracks ins Desaster führen.
Wenn die Altparteien die Lektion aus der Wahl 2025 nicht lernen, wird die AfD 2029 noch stärker sein. Das wäre verheerend. Ein EU-Austritt etwa würde eine Wirtschaftskrise mit Millionen Arbeitslosen auslösen. Ein Alleingang in der Begrenzung illegaler Migration würde die europäische Krise verschärfen.
Zudem geriete die Gewaltenteilung als Grundpfeiler der Demokratie ins Wanken. Die Gefahr ist real. Zitat Alice Weidel: „Was Gerichte irgendwie von sich geben, dem kann ich überhaupt gar nichts mehr beimessen.“
„Für die Parteien der demokratischen Mitte gibt es nur einen einzigen Weg“
Es gibt nur einen Weg, den Parteien der demokratischen Mitte jetzt gehen müssen: Die zu lange gemiedenen Themen aufgreifen und die angeblichen Lösungen der AfD als Irrweg entlarven. Dann bliebe noch die Aufgabe, plausibel zu erklären, dass jede Bürgerin und jeder Bürger von so gefundenen nüchtern-sachlichen Lösungen profitiert. Und dass jeder einzelne sein ganz privates Leben in Frieden und Wohlstand gefährdet, sollte er den AfD-Parolen auf den Leim gehen.
Seien wir zuversichtlich: Über 20 Prozent haben die AfD gewählt. Stimmt. Richtig ist aber auch: Fast 80 Prozent der Deutschen haben es nicht getan.