
Die Folgen des Ukraine-Kriegs heizen die Debatte über mögliche Laufzeitverlängerungen der deutschen Atommeiler immer wieder an. © picture alliance/dpa
Warum Atomstrom in der Energiekrise keine Entlastung bringt
Gaskrise
Angesichts der Energiekrise werden Forderungen einer Laufzeitverlängerung von Atomkraftwerken laut. Dies könnte in der derzeitigen Situation jedoch gar keine Entlastung bringen, erklären Experten.
Dem Umweltjournalisten Malte Kreutzfeldt geht es in letzter Zeit häufig wie Bill Murray im Film „Und täglich grüßt das Murmeltier“: „Man wacht auf und erlebt immer wieder das Gleiche“, schrieb Kreutzfeldt kürzlich in der „Tageszeitung“ (taz). Jeden Tag fänden sich Politiker oder Wissenschaftler, die den Vorschlag wiederholten, wegen des drohenden Erdgasmangels die drei noch betriebenen deutschen Atomkraftwerke nicht wie geplant am Jahresende abzuschalten, sondern länger laufen zu lassen. Oder sogar bereits abgeschaltete Reaktoren wieder zu reaktivieren.
Noch am Netz sind die AKW Emsland in Niedersachsen, Isar-2 in Bayern und Neckarwestheim-2 in Baden-Württemberg. Sie dürfen laut Atomgesetz nur bis zum 31. Dezember Strom produzieren. Zu den Befürwortern von Laufzeitverlängerungen zählen der CDU-Vorsitzende Friedrich Merz, CSU-Chef Markus Söder, die „Wirtschaftsweise“ Veronika Grimm, Leitartikler von „Welt“ und Faz“ sowie auch Kreutzfeldts taz-Kollegin Silke Mertins.
„Für die kommenden Jahre, in denen wir noch nicht ausreichend erneuerbare Energien zur Verfügung haben, kann die Verlängerung der Laufzeit der Atomkraftwerke etwas Luft verschaffen“, sagt etwa Grimm. Aus Sicht von Merz macht es „keinen Sinn, Kraftwerke abzuschalten, die Strom erzeugen und dafür Gaskraftwerke laufen zu lassen, die auch Strom erzeugen“. Und Söder meint: „Um eine Stromlücke zu verhindern, ist es notwendig, die deutschen Kernkraftwerke über das Jahr 2022 hinaus laufen zu lassen.“
Stress in der Ampel wegen der Atomkraft-Debatte
Das Thema droht auch Zwist in die Ampel-Koalition zu tragen. Während der FDP-Vorsitzende und Finanzminister Christian Lindner eine „vorurteilsfreie“ Debatte über Atomkraft fordert, winken SPD und Grüne ab. Sowohl Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) und Wirtschaftsminister Robert Habeck (Grüne) wollen am Ausstiegsbeschluss festhalten.
Aber sind die Klimakrise, die hohen Energiepreise und die Abhängigkeit von russischem Gas nicht gute Gründe für längere Laufzeiten? „Die Fakten sprechen dagegen“, sagt Wolfram König, Präsident des Bundesamtes für die Sicherheit der nuklearen Entsorgung (BASE). Die drei AKW steuerten mit rund sechs Prozent nur wenig zur gegenwärtigen Stromversorgung bei. Und kämen als Erdgas-Ersatz auch gar nicht infrage. Gas werde vor allem in der Industrie und zum Wärmen von Haushalten eingesetzt, Atomenergie dagegen für die Stromerzeugung. „Also: Die drei verbleibenden Kernkraftwerke können keinen wesentlichen Beitrag zur Lösung für unsere Energiebedarfe im nächsten Winter leisten.“
Zudem können Atommeiler anders als Gaskraftwerke nicht flexibel hoch- und runtergefahren werden und auch keine Fernwärme produzieren. „Kommt der Gasimport aus Russland zum Erliegen, ist das eine Gaskrise – keine Stromkrise“, schreibt die Anti-Atom-Organisation „.ausgestrahlt“.
AKW-Neubauten würden zu lange dauern – und Uran kommt noch immer zu einem großen teil aus Russland
Einem bisweilen auch schon geforderten Neubau von AKW erteilt König ebenfalls eine Absage. „Die Kosten sind zu hoch, die Bauzeit für Atomanlagen ist zu lang, die vollständige Sicherheit gegen katastrophale Unfälle kann nicht gewährleistet werden“, sagt er. „Und die Frage der Endlagerung von Atomabfällen ist nach wie vor ungelöst.“ Atom-Technologie lasse sich nur mit enormen Subventionen realisieren und bedeute die weitreichende Verteilung atomarer Risikoanlagen. Das gelte auch für die „Mini-Reaktoren“, von denen jetzt oft zu hören sei.
Einer Recherche von Greenpeace, BUND und anderen Umweltorganisationen zufolge sind Deutschland und Europa im Übrigen auch bei der nuklearen Brennstoffversorgung von Russland abhängig: So habe die EU im Jahr 2020 20,2 Prozent ihres Urans aus Russland bezogen, weitere 19,1 Prozent seien von Russlands Verbündetem Kasachstan gekommen. In der Europäischen Union ist kein Uranbergwerk mehr aktiv, nachdem die rumänische Crucea-Mine im November 2021 stillgelegt wurde.
Selbst die AKW-Betreiber RWE, EnBW und Eon sehen längere Laufzeiten sehr skeptisch „Unser Kraftwerk in Emsland ist auf den Auslaufbetrieb zum Ende des Jahres ausgerichtet, zu dem Zeitpunkt wird der Brennstoff aufgebraucht sein“, erklärte etwa RWE. „Ein Weiterbetrieb über den 31. Dezember hinaus wäre mit hohen Hürden technischer als auch genehmigungsrechtlicher Natur verbunden.“
Frankreich bezieht beinahe täglich Strom aus Deutschland – weil seine AKW nur mäßig arbeiten können
Kürzlich schaltete sich EU-Binnenmarktkommissar Thierry Breton in die deutsche Nukleardebatte ein. „Es ist äußerst wichtig, die drei deutschen Kernkraftwerke, die noch in Betrieb sind, länger laufen lassen“, sagte er und verwies auf sein Heimatland Frankreich, wo noch 56 Atomkraftwerke am Netz sind. Tatsächlich standen im Juni 29 dieser Reaktoren still – einige wegen Sicherheitsuntersuchungen, andere wegen Revisionsarbeiten. Bei weiteren führten Hitze und niedrige Wasserstände zur Leistungsdrosselung.
Seit Jahresbeginn bezieht Frankreich nahezu täglich Strom aus Deutschland in einer Größenordnung von bis 100 Gigawattstunden. Das entspricht der Leistung von drei konventionellen oder nuklearen Großkraftwerken. Rechnerisch laufen die drei letzten deutschen Atomkraftwerke also nur noch für den Stromexport ins Atomland Frankreich.
RND
Der Artikel "Warum Atomstrom in der Energiekrise keine Entlastung bringt" stammt von unserem Partner, dem RedaktionsNetzwerk Deutschland.