
Die Vietnamesinnen Tuoi Phung (l) und Oanh Nguyen üben die Blutabnahme. Die Bundesagentur für Arbeit wirbt auf Dienstreisen in Vietnam, Indien, Brasilien und vielen anderen Ländern Arbeitskräfte für Deutschland an. Dabei bleiben wichtige Fragen allerdings offen. © picture alliance/dpa/dpa-Zentralbild
Arbeitsagentur wirbt auf Dienstreisen in Brasilien und Mexiko Arbeitskräfte an
Fachkräftemangel
Die Bundesagentur für Arbeit schickt Mitarbeiter auf Diensteise nach Indonesien und Vietnam. Ziel: Neue Arbeitskräfte für Deutschland. Delikate Fragen bleiben dabei unbeantwortet.
In nahezu allen Bereichen fehlen der deutschen Wirtschaft inzwischen Fachkräfte. Das gilt für die Pflege ebenso wie für das Handwerk, den Handel, die Hotellerie und Gastronomie und andere Bereiche. Bei der Agentur für Arbeit kümmern sich zwar 100.000 Mitarbeiter um die etwa 2,5 Millionen Arbeitslosen in Deutschland – eine Kraft für 25 Arbeitslose – aber das reicht offenbar nicht. Deshalb wirbt die Agentur für Arbeit Menschen im Ausland für den deutschen Arbeitsmarkt an.
Details zu diesen Anwerbungen erläuterte die Bundesagentur für Arbeit (BA) jetzt auf Anfrage unserer Redaktion. Allerdings schwieg sie zu einigen ganz konkreten, durchaus delikaten Fragen.
Auch Ärzte und IT-Experten werden gesucht
Zuständig für die sogenannten „Auslandsrekrutierungen“ ist bei der BA die „Zentrale Auslands- und Fachvermittlung“ (ZAV). Sie wirbt Fachkräfte im Ausland an und vermittelt sie bundesweit an Arbeitgeber. Die ZAV ist neben ihrem Hauptsitz in Bonn an verschiedenen Standorten in Deutschland, unter anderem in Dortmund, vertreten.
Man konzentriere sich „auf solche Fachkräfte, an denen auf dem inländischen Arbeitsmarkt ein Mangel besteht“, teilt Pressesprecher Marcel Schmutzler für die ZAV mit. Aktuell seien das „vor allem Pflegekräfte und Ärzte, IT-Fachkräfte, Fachkräfte im Handwerk und gewerblich-technischen Bereich sowie in der Hotel- und Gastronomiebranche“. Dabei werbe man sowohl innerhalb der EU als auch „zunehmend in Drittstaaten“. Mit mehreren von ihnen habe man, so berichtet Schmutzler, Vermittlungsabsprachen getroffen, vor allem für die Gewinnung von Pflegekräften.
2022 schon 13 Rekrutierungsreisen unternommen
Zwischen 2020 und dem Frühjahr 2022 hätten alle Auslandsrekrutierungen pandemiebedingt nur online stattgefunden. Dienstreisen ins Ausland habe es nicht gegeben. Die habe man erst im Frühjahr 2022 wieder aufgenommen, berichtet Schmutzler.
Seither habe es bis jetzt (Stand: Ende September 2022) 13 Rekrutierungsreisen ins Ausland gegeben, unter anderem nach Indonesien, Indien, Tunesien, Marokko, Ägypten und Vietnam. Bis Ende des Jahres sei jeweils eine weitere Reise zur Anwerbung von Pflegekräften nach Indien, Jordanien, Mexiko und Brasilien geplant.
Das Muster der Anwerbe-Aktion
Eine typische Rekrutierungs-Aktion laufe, so erläutert Schmutzler, nach folgendem Muster ab: Arbeitgeber melden der Arbeitsagentur Stellen, die sie gerne mit Fachkräften aus dem Ausland besetzen möchten. Gleichzeitig kläre die ZAV mit ihren Partnerverwaltungen im Ausland, wo Potenziale und Möglichkeiten für Rekrutierungen bestehen.
Sofern sich Nachfrage und Potenzial decken, plane man eine Rekrutierungsveranstaltung für einen oder mehrere Berufe. Die Einladung möglicher Bewerber laufe in der Regel über die Partnerverwaltungen des jeweiligen Landes. Dabei stellt Schmutzler klar, dass „vor allem Fachkräfte angesprochen werden, die im eigenen Land aktuell keine berufliche Perspektive haben. Es geht nicht darum, Arbeitskräfte abzuwerben, die im eigenen Land in Lohn und Brot stehen.“
2021 wurden 3.200 Menschen angeworben
An den zwei- bis dreitägigen Auswahlveranstaltungen wählten Mitarbeiter der ZAV geeignete Bewerber zur weiteren Vermittlung aus. Die schlage man dann den Arbeitgebern vor.
Auf diese Weise hätten, so erläutert Schmutzler, die ZAV 2021 insgesamt mehr als 3.200 Arbeitskräfte aus dem Ausland eine Tätigkeit in Deutschland aufgenommen. 2020 seien es knapp 2.500 gewesen. Die größte Gruppe dieser Fachkräfte seien Pflegekräfte gewesen. Im Sommer 2022 habe man beispielsweise in Indonesien 300 und in Indien 250 Pflegekräfte gewinnen können.
Wenn‘s um Geld geht, werden die Informationen spärlich
Alle Rekrutierungsreisen würden „nach der strategischen Setzung durch die Geschäftsführung“ geplant und stünden „unter Genehmigungsvorbehalt des Vorsitzenden der Geschäftsführung“, berichtet Schmutzler.
Bei Fragen nach den Kosten dieser Rekrutierungsmaßnahmen bleiben die Antworten der ZAV trotz Nachfrage nebulös. Man sei „den Grundsätzen der Wirtschaftlichkeit verpflichtet“, heißt es da und: „Alle Dienstreisen finden in Einklang mit dem Bundesreisekostengesetz statt.“
Die Frage, wieviel die 2022 unternommenen Rekrutierungs-Dienstreisen genau gekostet haben, beantwortet Schmutzler nicht, sondern verweist darauf, dass es für die einzelnen Reisen kein separates „Budget“ gebe. Auch auf weitere Fragen bleibt die ZAV die Antwort auch auf Nachfrage schuldig: Wie viele Mitarbeiter waren bei den Rekrutierungs-Reisen dabei und wie hoch waren die dadurch pro Mitarbeiter entstandenen Kosten?
Informationen unserer Redaktion, wonach einzelne Mitarbeiter sich mit Verweis auf ihre Arbeitszeit von montags bis freitags geweigert hätten, für eine Rekrutierungs-Dienstreise einen Flug am Wochenende zu buchen, weil der billiger gewesen wäre, bestritt Schmutzler zurück: „Je nach Erfordernis des Dienstgeschäfts im Ausland finden auch regelmäßig An- und Abreisen am Wochenende statt. Nach Rücksprache mit der Geschäftsführung der ZAV ist uns kein Fall bekannt, in dem eine Mitarbeiterin oder ein Mitarbeiter eine An- oder Abreise am Wochenende abgelehnt hätte.“
Ulrich Breulmann, Jahrgang 1962, ist Diplom-Theologe. Nach seinem Volontariat arbeitete er zunächst sechseinhalb Jahre in der Stadtredaktion Dortmund der Ruhr Nachrichten, bevor er als Redaktionsleiter in verschiedenen Städten des Münsterlandes und in Dortmund eingesetzt war. Seit Dezember 2019 ist er als Investigativ-Reporter im Einsatz.
