„Wir brauchen keinen Faden durch das Labyrinth. Wir sind das Labyrinth.“ So zitiert „Underworlds“ (Premiere: Freitag) in den Bochumer Kammerspielen die Schriftstellerin Sophie Strand, die sich laut Programmheft „auf die Überschneidung von Spiritualität, Storytelling und Ökologie“ konzentriere. Damit ist schon viel gesagt über einen den Besucher herausfordernden knapp anderthalbstündigen Abend.
Das Geschehen auf der Bühne beeindruckt. Die vier Darstellerinnen befinden sich zunächst auf einer Art Insel im Nichts, die gewaltige Videoprojektion hinter ihnen gaukelt die Leere des Universums vor, darin erscheint dann ein Ei. Metapher für das Leben.
Auflösung jeglicher Klarheit
Aus den nur von Mobiltelefonen beleuchteten Gesichtern wird die Menschheit. Soweit klar.
Was nun folgt ist aber alles andere als klar. Was es explizit auch nicht sein soll. Denn das Grundprinzip, das Konzept des Abends ist die Auflösung jeder vermeintlichen Klarheit.
Geschichte der Psyche
Auf der Bühne wird in denkbar wildester Weise die Geschichte des Mädchens Psyche nacherzählt, das nach allerhand Wendungen zu einer Göttin wird und mit dem Gott Amor zusammenkommt. Die Veranschaulichung dieses mythischen Stoffes geschieht in nur assoziativ nachvollziehbarer Weise.
Durchaus grandiose, überwältigende Bildwelten brechen über das Publikum herein. Wer sich in den Welten der Memes von TikTok auskennt hat Vorteile und Spaß.

Wer sich in den Welten der Memes von TikTok auskennt hat Vorteile und Spaß. Wer zudem weiß, dass es eine Gemeinschaft „Reality Shifting“ gibt, die im Internet eine meditative Praxis betreibt, sich in eine gewünschte Realität zu „shiften“ eventuell noch mehr. Immerhin zwei Milliarden Aufrufe von #realityshifting im sozialen Medium TikTok sprechen dafür, dass das nicht wenige sind.
Abseits der sowieso abzuschaffenden klaren Handlung tut sich reichlich Unterhaltendes auf der Bühne. Im gewollt gebrochenen Englisch, natürlich willkürlich gemixt mit deutschen Fragmenten und übersetzt per Obertitel, wird Metaebene auf Metaebene eröffnet. Spektakuläre Settings wechseln sich im Sekundentakt ab.
Narrativ der „Heldenreise“
Die Performerinnen zelebrieren einen Parforceritt durch eine mittels knallbunter Popkultur ins Jetzt gewendete Mythologie. Skurrile Kostüme, staunenswerte Masken, physisch anspruchsvolle Performances sind zu sehen.
Zentrale Botschaft scheint zu sein, das Jahrhunderte alte Narrativ der „Heldenreise“ zu diskreditieren und abzuschaffen. Die „Heldenreise“ strukturiert unzählige Romane, Spielfilme und Videospiele und ist gekennzeichnet durch typische Situationsabfolgen und Figuren.
Manifest am Ende
„Am Ende ist der Drache tot“, bilanziert ironisch das Bochumer Stück diese Herangehensweise an Fiktion. Hier und heute ist das anders, am fulminanten Ende steht ein fast klassisches Manifest, das Ei vom Anfang fliegt wieder herbei und das Premierenpublikum im leider nur zu zwei Dritteln gefüllten Saal trennt sich in die Lager „Standing Ovation“ und „müde kopfschüttelnd klatschend“. Langweilig ist dieser zuweilen schrille Trip in die Unterwelt allerdings nie.
Termine: 25. 1., 8. /9. 2.2023; Karten: Tel.(0234) 33 33 55 55.
www.schauspielhausbochum.de
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