„Anatomie eines Falles“ Sandra Hüller ist in dem Cannes-Siegerfilm brillant.

Von Kai-Uwe Brinkmann
„Anatomie eines Falles“: Sandra Hüller ist in dem Cannes-Siegerfilm brillant.
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Auch wenn die zentrale Frage natürlich lautet, was sich ereignet hat, ob Unglück, Mord oder Selbstmord. Ein klassischer Wer-hat‘s-getan-Krimi ist „Anatomie eines Falles“ jedenfalls nicht.

Mühen der Wahrheitsfindung

Justine Triets Film (Goldene Palme in Cannes) muss man wohl als Reflexion über die Mühen der Wahrheitsfindung verstehen, als Nachdenken über die Konstruktion „objektiver“ Realität.

Fakt bleibt, dass der Mann von Schriftstellerin Sandra Voyter (Sandra Hüller) tot vor dem Haus liegt. Am Kopf weist der Körper des Toten eine Wunde auf, die ihm laut Gerichtsmedizin vor dem Sturz aus dem dritten Stock zugefügt wurde.

Nachstellung des Hergangs

Einmal misstrauisch sammeln die Strafverfolger Indizien für einen Totschlag oder mehr. Begehung und Nachstellung des Hergangs vor Ort können einen Tatverdacht nicht ausräumen, allerdings auch nicht erhärten.

Triets Inszenierung hält sich alle Türen offen. Sandra rückt bei späteren Verhören damit heraus, dass sie Affären mit Frauen hatte. Ein heimlich vom Mann angefertigtes Band taucht auf. Zu hören sind Streit, seine Beschwerde über ihre Seitensprünge, dann Schläge und Geschrei.

Streit am Todestag?

Gab es am Todestag erneut Streit? Wollte Sandra den eifersüchtigen Samuel loswerden? Liegt hier ein Motiv für den Schlag auf den Kopf? Wir sehen diese Version auch als Spielszene, aber trauen kann man ihr nicht.

In weiten Teilen spielt der Film vor Gericht. Der Staatsanwalt scheint versessen, Sandra als Täterin zu entlarven. Ihr Anwalt (Swann Arlaud) hebt auf Samuels labile Psyche ab, dessen Neurologe glaubt nicht an einen Suizid. Und wie hat Sandras Sohn (gut: Milo Machado Graner) die Eltern erlebt?

Im Zentrum steht einmal mehr die famose Sandra Hüller. Traurig, verletzt, angefressen, kämpferisch, empört: Erst ihre Darstellung macht das Drama zu großem Schauspielerkino. Die Wahrheit? Sie liegt am Ende im Auge des Betrachters.

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